Basler Verkehrspolitik am Scheideweg 

Die Regierung möchte das Gebot für eine zehnprozentige Reduktion des motorisierten Individualverkehrs aus dem Gesetz kippen. Ein Richtungswechsel sei das aber nicht, sagt Verkehrsdirektor Wessels.

Die Basler Regierung möchte den Autoverkehr nicht mehr reduzieren müssen. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Das hat es in Basel schon lange nicht mehr gegeben: Der Gewerbeverband spendet einer verkehrspolitischen Absichtserklärung der Regierung Applaus. Auf der anderen Seite zeigen sich Umweltverbände empört.

Die Reaktionen beziehen sich auf einen kurzen Bericht des Regierungsrats zu einer Verkehrsinitiative des Basler Gewerbeverbands mit dem Titel «Zämme fahre mir besser!».  Darin stellt sich die Exekutive hinter das Hauptanliegen der Initianten, den Paragrafen mit dem Gebot, den motorisierten Individualverkehr bis 2020 um 10 Prozent zu reduzieren, aus dem Umweltschutzgesetz zu streichen.

Dieser Passus war 2010 mit der relativ deutlichen Annahme des Gegenvorschlags zur sogenannten Städteinitiative ins Gesetz aufgenommen worden. «Dies hat der Regierungsrat wiederholt als politisch nicht durchsetzbar und daher als unrealistisch bezeichnet», heisst es im Bericht.

Serie von Abstimmungsniederlagen

Kündigt sich damit ein Richtungswechsel in der Basler Verkehrspolitik an? Tatsächlich sind seit der Annahme des Gegenvorschlags zur Städteinitiative alle Vorstösse mit grünen verkehrspolitischen Anliegen an den Abstimmungsurnen gescheitert:

  • 2014 lehnten die Stimmbürger einen 68-Millionen-Franken-Kredit für den Bau einer neuen Erlenmatt-Tramlinie mit einer noch relativ knappen Nein-Mehrheit ab.
  • 2015 erlitten die Strasseninitiative des Verkehrsclubs der Schweiz (VCS) und ein entsprechender Gegenvorschlag an der Urne eine deutliche Abfuhr.
  • Im Mai 2017 mussten die Initianten der Veloring-Abstimmungsvorlage ebenfalls eine bittere Niederlage verkraften.

Bei allen drei Abstimmungsvorlagen konnten sich die Wirtschafts- und Automobilverbände sowie die bürgerlichen Parteien als Sieger feiern lassen. «Das Abstimmungsergebnis hat für die zukünftige Verkehrspolitik in Basel richtungsweisenden Charakter», verkündete die Handelskammer beider Basel nach dem deutlichen Nein zur Strasseninitiative. Und der Gewerbeverband lancierte beschwingt von diesen Abstimmungserfolgen seine beiden Verkehrsinitiativen «Zämme fahre mir besser!» und «Parkieren für alle Verkehrsteilnehmer», die beide in Richtung einer autofreundlichen Verkehrspolitik zielen.

Rot-grüne Regierung im Konflikt mit Rot-Grün

Nach allen Abstimmungsniederlagen trösteten sich die Umweltverbände und Politiker aus dem rot-grünen Lager damit, nach wie vor den gesetzlichen Auftrag zur Verkehrsreduktion hinter sich zu wissen. Dass die Regierung ihnen nun auch noch diesen Richtungspfeiler einer grünen Verkehrspolitik nehmen möchte, sorgt für Empörung.

Als «Affront» bezeichnet Stephanie Fuchs, Geschäftsführerin der VCS-Sektion beider Basel die Absicht der Regierung. «Der Regierungsrat nutzt in einem Akt vorauseilend galoppierenden Gehorsams gegenüber dem Gewerbeverband die Gelegenheit, eine gesetzliche Verpflichtung aus der Welt zu schaffen, die er von Beginn weg nicht ernst genommen hat», sagt sie. Und für Silas Hobi, Geschäftsleiter des Vereins umverkehR, der die besagte Städteinitiative lanciert hatte, grenzt das Vorgehen der Regierung an «Arbeitsverweigerung».

«Vernünftige städtische Verkehrspolitik»

Als Arbeitsverweigerer sieht sich der zuständige  Bau- und Verkehrsdirektor Hans-Peter Wessels natürlich nicht. «Wir haben viele verkehrspolitische Massnahmen zur Förderung des öffentlichen Verkehrs und des Langsamverkehrs umgesetzt», sagt er und verweist unter anderem auf Massnahmen aus dem Teilrichtplan Velo und die grenzüberschreitenden Tramlinien 8 und 3. «Wir verfolgen eine vernünftige städtische Verkehrspolitik und keine Extrempositionen, die an der Realität vorbeizielen.»

Und als «vernünftige städtische Verkehrspolitik» bezeichnet er eine Strategie mit dem Ziel, den motorisierten Individualverkehr auf den kantonalen Strassen zu plafonieren. «Dass es uns gelungen ist, den Autoverkehr trotz des markanten Anstiegs an Arbeitsplätzen und trotz des Bevölkerungswachstums stabil zu halten oder gar etwas zu reduzieren, darf man sehr wohl bereits als Erfolg werten», sagt Wessels. Das sei in keiner anderen Schweizer Stadt gelungen.

«Für eine Reduktion um zehn Prozent müsste man zu radikalen Massnahmen greifen, die von der Bevölkerung nie und nimmer mitgetragen würden», sagt Wessels weiter. Und er verweist auf die Strasseninitiative – «im eigentlichen Sinne eine Art Durchsetzungsinitiative für die Städteinitiative» –, die von der Stimmbevölkerung klar verworfen wurde.

Bei der Auslegung, was denn nun als radikal oder real zu bezeichnen sei, vertritt VCS-Geschäftsführerin Fuchs eine ganz andere Meinung. «Was soll an einer spürbar verbesserten Sicherheit für Fussgänger und Velofahrende und an der konsequenten Vorfahrt für die Fahrgäste von Tram und Bus radikal oder unrealistisch sein?», fragt sie bezugnehmend auf die Hauptanliegen der Strasseninitiative. Dass diese vom VCS lancierten Anliegen an der Urne so deutlich abgelehnt wurde, schreibt sie zum Teil der Regierung zu. «Zwar formulierte die Regierung einen Gegenvorschlag zur Initiative, sie krümmte aber kaum einen Finger, diesem auch zum Erfolg zu verhelfen», sagt sie. «Indem man ständig klagt, wie schwierig oder gar unmöglich eine Reduktion des Autoverkehrs umzusetzen sei, gewinnt man keinen Abstimmungskampf.»

Für Fuchs ist die Verkehrspolitik der Regierung von Mutlosigkeit und Resignation geprägt: «Eine zögerliche Parkraumbewirtschaftung, ein neuer Velostreifen hier, eine Busspur dort reichen nicht aus. Man muss den Mut aufbringen, dem dominanten Autoverkehr in der Stadt etwas Platz wegzunehmen – zugunsten von mehr Lebensraum und für die verträglichen, effizienten Verkehrsmittel.»

Silas Hobi vom Verein umverkehR konkretisiert: «Wir haben zusammen mit anderen Organisationen bereits 2012 einen Massnahmenplan vorgelegt, der im Wesentlichen vier Punkte umfasst:

  • Die Zufahrt in die Stadt mit dem Auto muss stärker dosiert werden.
  • Fahrspuren für den motorisierten Individualverkehr müssen zugunsten des ÖV, des Fuss- und Veloverkehrs abgebaut werden.
  • Der ÖV, Fuss- und Veloverkehr muss gegenüber dem Autoverkehr gerade dann konsequent bevorzugt werden, wenn Zielkonflikte bestehen.
  • Parkraum muss abgebaut und konsequent, das heisst mit Blick auf das Ziel der Reduktion des Autoverkehrs, bewirtschaftet werden.»

Richtungslose Verkehrspolitik

Ist die Absicht der Regierung, das ungeliebte Reduktionsziel allenfalls auch mit einem Gegenvorschlag zur Initiative des Gewerbeverbands aus dem Umweltschutzgesetz zu kippen, ein Zeichen für einen Richtungswechsel in der Basler Verkehrspolitik?

«Nicht wirklich», sagt Fuchs: «Um einen Richtungswechsel vollziehen zu können, muss man zuerst eine klare Richtung eingeschlagen haben.» Und hier sei die Regierung in Sachen Verkehrsreduktion untätig geblieben. «Vorhaben wie der Bau eines Quartierparkings auf dem Landhofareal, ohne gleichzeitig oberirdische Parkplätze abzubauen, bringen mehr Autoverkehr, nicht weniger» sagt sie.

Auch Wessels will von einem Richtungswechsel nichts wissen. «Wir haben die Richtung nicht gewechselt, sondern stets und konsequent darauf hingewiesen, dass sich eine zehnprozentige Reduktion des motorisierrten Individualverkehrs in einen wirtschaftlich prosperierenden Stadt nicht verwirklichen lässt», sagt er. Und er weist darauf hin, dass die Tatsache, dass die Regierung bereit sei, eine Forderung des Gewerbeverbands zu übernehmen, noch lange nicht bedeute, dass man in der Verkehrspolitik nun auf die Linie des Verbands umschwenke. «Eine Verkehrspolitik nach dem Gusto des Gewerbeverbands hätte einen Verkehrskollaps zur Folge», sagt er. «Deshalb halten wir uns nach wie vor gerne und konsequent an die Verfassungs- und Gesetzesbestimmung, wonach der ÖV und der Langsamverkehr zu bevorzugen sind.»

Auch im Gewerbeverband möchte man noch nicht von einem Richtungswechsel in der offiziellen Verkehrspolitik sprechen: «Wir haben Punkte aus den Berichten des Regierungsrates zu unseren Initiativen positiv kommentiert und nicht die Verkehrspolitik der Basler Regierung generell», sagt Gewerbedirektor Gabriel Barell. Diese habe in den letzten Jahren deutlich an den realen Bedürfnissen der Wirtschaft und der Mehrheit der Bevölkerung vorbeigezielt.

Aber es seien erste Schritte in die richtige Richtung getan, sagt Barell weiter. «Die Mehrheit der Bevölkerung goutiert einseitige Massnahmen zuungunsten des motorisierten Verkehrs nicht mehr, das haben die letzten Abstimmungen gezeigt und das müssen nun auch Politik und Verwaltung ernst nehmen.» Deshalb auch die Initiativen, die für den notwendigen Paradigmenwechsel in der Politik stünden.

Korrigenda: Die TagesWoche hat ein Zitat von Regierungsrat Hans-Peter Wessel unvollständig wiedergegeben. Es sind Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen, die zum Inhalt haben, dass der ÖV und der Langsamverkehr zu bevorzugen sind, und nicht nur Verfassungsbestimmungen allein, wie es fälschlicherweise hiess. Der Artikel wurde entsprechend korrigiert.

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