Beim Gewerbeverband häufen sich die politischen Niederlagen. Direktor Gabriel Barell hat den Verband selbstverschuldet ins Abseits geführt. Eine Analyse der Gründe.
Bunt sind bei Gabriel Barell am Abstimmungssonntag nur Anzug, Krawatte und Einstecktuch. Das Gesicht des Basler Gewerbedirektors ist blass. Gleich dreimal hat sein Verband verloren: Die Unternehmenssteuerreform ging bachab, das Wahlgesetz wurde gelockert und die Kasernensanierung angenommen. Drei wuchtige Treffer an einem Tag, davon hinterliess zumindest einer Wirkung.
Die verpatzte Abstimmung über die Kasernensanierung zeigt die Krise, in welcher der Gewerbeverband steckt. Der KMU-Dachverband hatte das Referendum der bürgerlichen Parteien nach kontroversen internen Debatten unterstützt, obwohl das 42-Millionen-Projekt einen Geldsegen für lokale Betriebe verspricht.
Angetrieben vom SVP-nahen Wirteverband entschieden die Delegierten – Vertreter aller angeschlossenen Berufsgruppen –, gegen die Sanierung zu kämpfen. Die Gastro-Vertreter, die bei der Kaserne weder etwas zu gewinnen noch zu verlieren haben, setzten sich dabei gegen den Baumeisterverband durch, der eindeutige wirtschaftliche Interessen an der Sanierung hatte.
Baumeister gegen Bierzapfer
Vor knapp einem Jahr noch setzten sich die Baumeister gegen die Bierzapfer durch: Der Gewerbeverband entschied damals auf Stimmfreigabe vor der Abstimmung über den umstrittenen Neubau des Amts für Umwelt und Energie an der Schifflände.
Das Hin und Her ist für Gabriel Barell ein Problem: Es sind die beiden mächtigsten Teilverbände, die den Kurs der Gewerbler diktieren, nicht er als Direktor. Ein verlässliches Gegenüber ist der Gewerbeverband für die Politik damit nicht mehr.
Die TagesWoche hat für diese Analyse mit anderen Wirtschaftsverbänden gesprochen, mit Insidern aus dem Gewerbeverband und mit Spitzenpolitikern aus dem linken und dem bürgerlichen Lager. Es sind vielfältige Stimmen mit demselben Tenor: Barell und seine Funktionäre haben den Überblick verloren.
Grober Unfug
Der frühere Banker Barell durchlebt derzeit die schwierigste Phase, seit er im Frühjahr 2013 zum Direktor des Gewerbeverbands aufgestiegen ist. Er hat im Herbst die Wahlen verloren, obwohl der Gewerbeverband aggressiv für die bürgerliche Wende im Regierungsrat warb. Barell versuchte lautstark, Einfluss auf den Wahlausgang zu nehmen. Auf Radio SRF wollte er die rot-grüne Regierung diskreditieren, indem er behauptete, praktisch alle Jobs in den letzten Jahren seien in der Pharma geschaffen worden. Das war Unfug, was der Gewerbeverband auch postwendend einräumen musste.
Sein Auftreten war zumindest unglücklich. Haften blieben keine Zweifel an der linken Regierung, sondern an der Informiertheit und Glaubwürdigkeit des obersten Gewerbefunktionärs. Heute sagt Barell: «Das war sicher nicht ideal.»
Teurer Flop
Der Richtungswechsel an der Urne blieb aus, auch im Grossen Rat legte die Linke zu. Und der Gewerbeverband scheiterte mit seinem Plan, genehme Politiker ins Parlament zu befördern: Die mit viel Verbandsgeld gefütterte Spezialliste «Feuer und Flamme fürs Gewerbe» fiel praktisch komplett durch; nur einer von 32 sogenannten Topkandidaten schaffte die Wahl. Zum Flop gesellte sich Ärger: Gewerbefreundliche Kandidaten, die es nicht in die Selektion schafften, fühlten sich ungerecht behandelt.
Barell sagt dazu: «Wir haben Hearings abgehalten und aufgrund dieser sowie der von Parteien zur Verfügung gestellten Kandidatenlisten entschieden.» Er taxiert die «Feuer und Flamme»-Aktion als erfolgreich. Es sei eine Investition in die Zukunft: «Wir haben politische Neueinsteiger aus der KMU-Wirtschaft lanciert und ihnen eine gute Ausgangslage für die nächsten Wahlen verschafft.»
Erny bestimmt den Kurs
Das trifft zumindest nicht auf den wichtigsten Mann Barells auf der Liste zu. Patrick Erny ist der Politikchef im Gewerbeverband, für die FDP wollte er in den Rat einziehen. Trotz viel Präsenz auf Plakaten und in der hauseigenen Zeitung landete Erny auf dem 12. Platz der FDP-Liste Grossbasel Ost. Deutlicher konnten die FDP-Wähler die Machtlosigkeit des Gewerbeverbands nicht demonstrieren. Königsmacher ist der Verband trotz seiner 5500 angeschlossenen Firmen nicht.
Erny ist der starke Mann in der Führungsriege des Gewerbeverbands. Der junge, ehrgeizige Politologe diktiert den kompromissfreien Kurs, er sitzt bei wichtigen Gesprächen zwischen Wirtschaftsverbänden und Regierung am Tisch, während Barell sich aus der Diskussion oft zurückzieht. Erny politisiert weit rechts der Mitte, seine Positionen passen genauso gut zur SVP wie zur FDP.
Auf Augenhöhe kann der Gewerbeverband in dieser Konstellation, mit einem einflusslosen Chef und einem dominanten Untergebenen, nicht verhandeln. Barell hat es nicht geschafft, in drei Jahren einen regelmässigen Arbeitskontakt in die Regierung zu etablieren. Um das zu ändern, hat er jetzt bei Christoph Eymann angedockt. Der soeben aus der Regierung ausgeschiedene LDP-Mann präsidiert ein neues Projekt des Gewerbeverbands namens Smart Regio, das die digitale Vernetzung der Wirtschaft fördern will.
Skandalöser Deal
Mit Eymann hoffen die Gewerbler jenes Kabel in die Exekutive zu legen, das sie in den letzten Jahren selber gekappt haben. Wie gross das Unverständnis mittlerweile ist, zeigt das jähe Ende der Partnerschaft zwischen Kanton und Malermeisterverband beim gemeinsamen Projekt «Spray out». Zwanzig Jahre lang hatte die skandalöse Regelung Bestand, wonach der Malermeisterverband nach eigenem Gusto Steuergelder an seine Mitglieder verteilen konnte, um Graffiti von Hauswänden zu entfernen.
Als die Finanzkontrolle im letzten Herbst die Regelung scharf kritisierte, war Barell lange nicht in der Lage, eine neue gesetzeskonforme Lösung zu erarbeiten. Das Bau- und Verkehrsdepartement brach die Gespräche irgendwann entnervt ab, «Spray out» ist jetzt eine Dienststelle der Verwaltung. Barell hingegen stellt den Konflikt so dar, dass das Baudepartement gar nie an einer neuen Lösung interessiert gewesen sei. Man habe in einem intensiven Austausch mit der Finanzkontrolle gestanden, ein akzeptiertes Konzept habe vorgelegen, sei aber übergangen worden.
Reflexartige Kritik an Links
Durchaus vorstellbar, dass Wessels dem Gewerbeverband einen Denkzettel verpassen wollte. Weil Barell Vorhaben von Rot-Grün reflexartig bekämpft, erreicht er nie eine überparteiliche Autorität. Frei nach der Geschichte vom Hirten und dem Wolf: Wer bei jedem wegfallenden Parkplatz aufschreit, dem glaubt keiner mehr, wenn sich die Verkehrspolitik wirklich gegen KMU richtet. Barell kann mit dieser Kritik wenig anfangen: «Ich spreche halt Klartext, das ist manchmal unbequem.»
Und manchmal wirkt es auch unnötig: Warum der Gewerbeverband den geplanten Veloring verdammt, bleibt sein Geheimnis. Auch mit viel Fantasie sind keine Wirtschaftsinteressen tangiert, wenn Velo- und Autoverkehr entflochten werden. Selbst FDP und CVP haben das erkannt und stehen deshalb hinter dem Projekt. Eine Pleite an der Urne im Mai ist zu erwarten und der Gewerbeverband wird sich einmal mehr ohne Not gegen die Mehrheit gestellt haben.
Barell hat nicht begriffen, dass er seinen KMU nicht hilft, wenn er jedes Mal gegen die politische Mehrheit in diesem Kanton in den Kampf zieht. Er zieht Gegensätze hoch, statt sie einzureissen und Linke auf KMU-Anliegen zu verpflichten. Barell verwechselt Polemik mit Klartext und schlimmer noch – politisieren mit Politik betreiben.
Malamas Gespür für den Vorteil
Der Blick auf seine Vorgänger, den verstorbenen FDP-Nationalrat Peter Malama und Christoph Eymann, zeigt, wie grandios sich Barell verirrt hat. Malama und Eymann waren anders als der Unternehmer Barell Politiker durch und durch. Sie positionierten den Gewerbeverband politisch flexibel. Sie unterstützten, was ihnen half, übten Druck aus, wenn sie sich davon Vorteile versprachen, zeigten sich konziliant, wenn sie einen Kompromiss brauchten. Als Hans-Peter Wessels Baudirektor werden wollte, unterstützte Malama dessen Kandidatur öffentlich. Dass der heutige Gewerbeverband einen SP-Politiker unterstützt, ist undenkbar.
Malama und Eymann halfen den KMU, halfen dem Verband und nicht zuletzt sich selbst. Als Malama an der Grenze zu Deutschland persönlich Autofahrer abpasste und ihnen den Einkaufstourismus ausreden wollte, erhielt er Schlagzeilen, startete aber zugleich auch eine öffentliche Debatte über das Fremdgehen der Konsumenten. Der heutige Gewerbeverband löst keine Diskussionen aus, er schiebt die Probleme der Innenstadt trotzig auf fehlende Parkplatze und Zufahrtsbeschränkungen ab. Damit lässt sich zwar bürgerliche Parteipolitik befeuern, besser geht es den Läden deswegen nicht.
Der falsche Verband
Es ist paradox: Als Unternehmer hat es Barell vollbracht, die altbackene Allerweltsbäckerei «Sutter Begg» aufzufrischen und zum Erfolg zu führen. Als Verbandsdirektor tritt er auf der Stelle, blockiert er statt mitzugestalten. Nach dem Machtpolitiker Malama sollten unter Barell die Interessen der KMU im Zentrum stehen – doch heute ist der Verband politisierter denn je. Entweder ist Barell der falsche Mann für dieses Amt oder der Verband der falsche für diesen Mann.