Die Fans, die Politik, die Polizei und eine veränderte Tonlage

So wie die Empfehlungen an die Behörden ausfallen, bietet das Konkordat zur Sicherheit im Sport zwar immer noch genügend repressive Hebel, aber es scheint sich etwas gewandelt zu haben im Dialog der Parteien. Zum Besseren, wie man hoffen darf. Eine Bestandesaufnahme.

Sion's fans take a selfie in front of Swiss riot police during the Swiss Cup final soccer match between FC Basel and FC Sion at the St. Jakob-Park stadium in Basel, Switzerland, Sunday, June 7, 2015. (KEYSTONE/Jean-Christophe Bott)

(Bild: Keystone/JEAN-CHRISTOPHE BOTT)

So wie die Empfehlungen an die Behörden ausfallen, bietet das Konkordat zur Sicherheit im Sport zwar immer noch genügend repressive Hebel, aber es scheint sich etwas gewandelt zu haben im Dialog der Parteien. Zum Besseren, wie man hoffen darf. Eine Bestandesaufnahme.

Vielleicht steckt schon in der Wortwahl ein bisschen von einem neuen Geist, der bei den Beteiligten herrscht, wenn es um die Umsetzung des Konkordats mit dem sperrigen Namen «Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen» geht. Von «harmonisierenden Empfehlungen» ist die Rede. Und «Harmonie» ist in den vergangenen zehn Jahren – so lange wird in der Schweiz nun schon intensiv über die Sicherheit debattiert und gestritten – kaum einmal augenfällig gewesen. 

2007, im Vorfeld der Euro in der Schweiz und Österreich, trat das griffig zu «Hooligan-Konkordat» verkürzte Papier in Kraft; 2012 wurde eine ausgedehnte, weitere Grundrechte tangierende Version verabschiedet. Die beiden Basler Halbkantone traten dem verschärften Konkordat allerdings nicht bei, unter anderem mit dem Hinweis der Regierungen und einer parlamentarischen Mehrheit, dass etliche Verschärfungen – wie zum Beispiel die Bewilligungspflicht von Veranstaltungen in Basel-Stadt und Baselland – längst gängige Praxis waren.

Nun gibt es also einen Empfehlungskatalog zur Anwendung des Konkordats. Spitzen aus Politik und Fussball haben ihn in einem zwei Jahre währenden Dialog, der «intensiv und konstruktiv» genannt wird, erarbeitet. Das klang auch schon ganz anders. Im Herbst 2011 wurde ein «Runder Tisch» aufgelöst, an dem alle Beteiligten – vom damaligen Sportminister Ueli Maurer bis hin zu Vertretern der Fanprojekte – sassen. Die einen bezeichneten die erzielten Ergebnisse als «ungenügend», die anderen als «nicht praktikabel». Es war die Zeit der Scharfmacher, und Konsens herrschte eigentlich nirgendwo.

» Der aktuelle Katalog mit Empfehlungen zur Anwendung des Konkordats (zum Download)

Beibehaltung der Balance zwischen Repression und Einbezug

Das klingt nun, fünf Jahre später, schon ein bisschen anders. Die Tonlage hat sich verändert, die Zusammensetzung der Gremien auch. Die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) wird nach wie vor von Roger Schneeberger als Generalsekretär vertreten, an Zusammenkünften ist nun aber zum Beispiel auch Baschi Dürr, der Basler Regierungsrat, beteiligt.

Momentaufnahme der Fan-Ausschreitungen am 10. April 2016 am St.-Jakob-Park.

Momentaufnahme der Fan-Ausschreitungen am 10. April 2016 am St.-Jakob-Park.

Und ein bisschen mehr liberaler Basler Geist kann dem Unterfangen, vernünftige Lösungen zu finden, nicht schaden. Dürr kann zwar – wie jüngst nach den schweren Ausschreitungen zwischen FCB-Fans und Basler Polizei vor dem St.-Jakob-Park – in der Öffentlichkeit den Hardliner geben und von «rechtsfreien Räumen» reden, dann aber auch wieder zur überlegten Aufarbeitung übergehen.

Was Anfang Juli als Konsequenz der Basler Krawalle vorgestellt wurde, darf man als verhältnismässig bezeichnen, als den Versuch, die Balance zwischen Repression, Dialog und Einbezug besonnener Fankreise beizubehalten. So ungefähr funktioniert das, was über die Stadt hinaus als «Basler Weg» Eingang in den Diskurs gefunden hat, wenn es um Sicherheit bei Sportveranstaltungen und Fanverhalten geht.

Im nun ausgearbeiteten, vierseitigen Papier der KKJPD tragen viele Aufforderungen ein «Soll»:

  • Die Anreise der Gästefans soll in Zügen oder Bussen erfolgen.
  • Kombitickets sollen die Ultima Ratio sein.
  • Im Bedarfsfall sollen Gesichtsaufnahmen an den Eingängen der Fansektoren gemacht werden.

 Eindeutig heisst es, dass:

  • Clubs nicht für Schäden haften, die durch Fantransporte entstehen. Ein entsprechender politischer Vorstoss war vor zwei Jahren im Nationalrat gescheitert.
  • Bis auf Weiteres wird in den Fansektoren auf einen systematischen Abgleich von Identitätsausweisen der Zuschauer mit der Hooligan-Datenbank verzichtet.
  • Ausserdem sehen die Bewilligungsbehörden davon ab, bei Pyromissbrauch Bussen oder Punktabzüge für die Clubs zu fordern.

Natürlich gefällt hartgesottenen Kurvenfans nicht, auf was man sich da verständigt hat. Und die Liste birgt für kritische, freiheitsliebende und grundrechteachtende Zeitgenossen weiterhin manche Zumutung. Aber die Lage schien auch schon weitaus verfahrener.



Securitas kontrollieren die Zuschauer am Super League Fussballspiel FC St. Gallen gegen den FC Luzern am Sonntag, 11. Maerz 2010 in der AFG Arena in St. Gallen. (KEYSTONE/Ennio Leanza)

Verzicht auf Identitätskontrolle – bis auf Weiteres. Einlasskontrolle im Stadion von St. Gallen. (Bild: Keystone/ENNIO LEANZA)

Fanarbeit: «Der rein repressive Weg hat sich nicht bewährt»

Bei der Aufstellung des am Mittwoch präsentierten Empfehlungskataloges waren die Führung der Swiss Football League (SFL), die Präsidenten der Spitzenclubs aus der Super League sowie Fanarbeit Schweiz «eng eingebunden», wie es heisst. Claudius Schäfer, der CEO der SFL, ist zufrieden mit dem Resultat: «Die Vorbehalte der Swiss Football League sind in die Empfehlungen eingeflossen, unter anderem in der Haftungsfrage bei den Fanreisen und beim Identitätsabgleich an den Eingängen.» Die Liga, so heisst es im Katalog, wird Pflichtenhefte zur Sicherheitsorganisation zum Gegenstand der Lizenzauflagen machen.

Marsch der Basler Fans zum Stadion vor dem Fussballspiel der Super League FC Zuerich gegen den FC Basel im Letzigrund - Stadion in Zuerich am Mittwoch, 8. Mai 2013. (KEYSTONE/STF)

Reizthema Fanmarsch. Hier marschieren Basler Fans vor dem Super- League-Spiel beim FCZ im Mai 2013. (Bild: Keystone)

Fanarbeit Schweiz, die Dachorganisation der sozioprofessionellen Fanprojekte an sechs Fussballstandorten, sieht «ein Umdenken im Umgang mit Fans erreicht» und hebt den «sehr zielführenden und wertschätzenden Austausch» hervor. Auch da waren die Fronten in der Vergangenheit schon verhärteter, und die Fanarbeiter sehen sich in ihrer Linie bestätigt: «Der rein repressive Weg hat sich nicht bewährt.»

Es liege, so heisst es weiter, an den Behörden, die Empfehlungen «mit Augenmass» umzusetzen. «Wir sind gespannt», sagt Geschäftsführer Christian Wandeler und macht eine Einschränkung: «Vor allem bei den Auflagen bei schwerwiegenden Vorfällen hätten wir eine abgeschwächtere Form gewünscht, da die verwendete Formulierung ziemlich viel Interpretationsspielraum bietet.»

Dazu gehört zum Beispiel das «quantitativ bedeutende Abbrennen von pyrotechnischen Gegenständen», was Auslegungssache sein kann. Die zusätzlichen Auflagen, die sich die Behörden vorbehalten, reichen vom Verbot von Fahnen oder Transparenten in den Fansektoren bis hin zu sogenannten Geisterspielen – und zwar abgesehen von Sanktionen durch die Disziplinargremien von SFL oder SFV. Immerhin heisst es im KKJPD-Papier auch: «Es ist sinnvoll, sich gegenseitig abzusprechen.» Auch das klingt nach Fortschritt in der Kommunikation der Parteien.

Der leidgeprüfte FCB-Präsident …

Der FC Basel äusserte sich am Mittwoch nicht, der Club hält es für «der Sache nicht dienlich, wenn einzelne Personen oder Clubs das Ergebnis kommentieren» und verweist an die SFL. Von FCB-Präsident Bernhard Heusler weiss man jedoch nur zu gut, dass er in den Empfehlungen an die Behörden eine angemessene Verhältnismässigkeit wird erkennen können.

Die Basler Fans halfen als 12. Mann, der Mannschaft auf dem Feld beim Fussball Meisterschaftsspiel der Super League zwischen den Young Boys und Basel am Mittwoch, 10. Mai 2006, im Stade de Suisse Wankdorf in Bern. (KEYSTONE/Lukas Lehmann)

Reizthema: Pyros im Fansektor. (Bild: Keystone/LUKAS LEHMANN)

Heusler hat im Umgang mit Fans und den Problemen, die sie verursachen können, reiche Erfahrung und als Jurist einen differenzierten Blick, gerade auch, wenn es um rechtsstaatliche Prinzipien geht. Ausserdem widerstand er in Krisenmomenten stets der Versuchung, in den Chor der Populisten einzustimmen. Er verfolgt eher die Maxime: Was ist umsetzbar und was liest sich nur auf Papier gut.

Bei jedem neuen Vorfall, bei jeder in der Muttenzerkurve gezündeten Pyrofackel oder bei massiveren Randalen von FCB-Fans muss Heusler den Kopf hinhalten – und sich vorhalten lassen, einen zu pfleglichen Umgang mit den Kurvenfans zu haben.

… und ein Brunnenvergifter

Die nicht allzu marktschreierische Aufarbeitung von Randalen – man hat das in Basel in den vergangenen Jahren hinbekommen. Besser jedenfalls als an anderen Fussball-Standorten in der Schweiz. Von Ausnahmen abgesehen.

Jüngst irritierte der baselstädtische Polizeikommandant Gerhard Lips mit der brunnenvergiftenden Aussage in einem Interview mit der «bz Basel»: «Viele Polizisten sind der Meinung, dass Bernhard Heusler mit gewissen heiklen Fans aus der Muttenzerkurve unter einer Decke steckt.» Lips‘ Nachsatz («Ich glaube das nicht und nehme das nicht so wahr») änderte an der Empörung des FCB-Präsidenten nichts. In einem Communiqué des Clubs wurde der Angriff des Polizeichefs als «inakzeptabel» und der Vorwurf als «haltlos», weil nicht überprüfbar und damit «wertlos» bezeichnet.

Was mit plakativen Aussagen passieren kann, erfuhr auch der basellandschaftliche Polizeikommandant Mark Burkhard. Ebenfalls in einem Interview mit der «bz Basel» hatte er von zwei Situationen gesprochen, «in denen um ein Haar ein Polizist einen Fussballchaoten aus Notwehr erschossen hätte». Situationen, die sich in Pratteln und Muttenz bei Extrazügen nach Zürich zutrugen. Im «Blick» wurde wenig später daraus konstruiert: «Wie angespannt die Hooligan-Situation in Basel zurzeit ist.»

Die nach unten temperierte Auseinandersetzung 

Aus dem Justiz- und Sicherheitsdepartement Basel-Stadt verlautete am Mittwoch, dass die Empfehlungen der KKJPD «keine unmittelbaren Änderungen» mit sich bringen. Dass Basel-Stadt die verschärfte Fassung des Konkordats von 2012 nicht ratifiziert hat, ist laut Mediensprecher Martin Schütz nicht relevant. Massnahmen aus dem Katalog würden bereits mit den jüngst vorgestellten Zwischenergebnissen der «Arbeitsgruppe St. Jakob» umgesetzt. Zum Beispiel wird im und um das Stadion die Videoüberwachung massiv ausgebaut. Mit dem Ziel, gezielter und effizienter gegen Störer vorgehen zu können und die Beweissicherung zu verbessern.

Zur Erinnerung: Am 10. April war es aus nichtigem Anlass zu einer äusserst ungewöhnlichen Eskalation der Gewalt zwischen FCB-Fans und Polizei auf der Eventplattform hinter der Muttenzerkurve gekommen. Fünf Polizisten wurden verletzt, einer nach einem gezielten Angriff erheblich. Die Polizei setzte unter anderem Gummischrot ein, wobei ein Fan so schwere Verletzungen erlitt, dass er ein Auge verlor. Anschliessend gab es eine ganze Reihe von Verhaftungen und längere Untersuchungshaft.

Trotz dieser jüngsten, massiven Randale: Die Stimmen, die nach solchen Vorfällen nach Recht und Ordnung und nach noch schärferen Gesetzen und noch härterem Durchgreifen rufen, verhallten bald. Basel hat auch diesen (Rück-)Fall mit kühlem Kopf aufgearbeitet und Schlüsse gezogen. Dass nun auch gesamtschweizerisch eine nach unten temperierte Auseinandersetzung mit Gewalt und Grenzüberschreitungen im Sport zu beobachten ist, kann der Sache nur hilfreich sein.

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