Liebe Grüne, Politik ist kein Lifestyle

Weihnachtsbäume aus der Region, 3D-Fussgängerstreifen oder ein Gemüsebeauftragter: Die Vorstösse der Grünen lesen sich manchmal wie ein Feel-Good-Buch für Hipster. Auch ihre Wohnpolitik wirkt etwas schöngeistig.

Green Dream: Die Grünen scheinen den Kopf in den Wolken zu haben.

Der Advent ist die Zeit der Liebe. Und lieblichen Dingen haben sich die Grünen Basel-Stadt in der Tat gewidmet, wie ihre Vorstösse im Grossen Rat zeigen. Die Grünen fordern zum Beispiel, passend zur Jahreszeit:

– Weihnachtsbäume aus der Region,

– 3D-Fussgängerstreifen für eine «optische Aufwertung und mehr Sicherheit»,

– sowie die Stadtgärtnerei damit zu beauftragen, die Bevölkerung über den Anbau, die Saisonalität und Artenvielfalt landwirtschaftlicher Produkte aufzuklären.

Das klingt mehr nach Träumen aus einem Achtsamkeits-Magazin für Urban-Gardening-Hipster als nach grüner Politik, die etwas bewirken will. (Dazu würde auch noch der Vorstoss der Grünliberalen für eine Velo-Pump-Station für die Bevölkerung passen.)

Es scheint, als ob sich die Grünen in letzter Zeit in Nebensächlichkeiten verlieren. Wo sind die klaren Linien, die grossen Pläne für eine Umweltpolitik, die etwas bewirken wollen?

Jürg Stöcklin ist eines der erfahrendsten Parteimitglieder und Grossrat der Grünen. Auch er bemerkt die lifestyligen Ideen seiner – vor allem jungen – Fraktionskolleginnen und -kollegen: «Ich beobachte auch, dass man heute sehr schnell einen Vorstoss macht und sich vielleicht zu wenig überlegt: Welche politischen Ziele möchte ich erreichen und wie mache ich das am besten?»

Es gehöre für Jungpolitikerinnen und Jungpolitiker zwar auch dazu, Erfahrungen zu sammeln und ihre Möglichkeiten auszuloten. «Politik sollte aber schon auch darin bestehen, inhaltliche Positionen zu erarbeiten und gezielt umzusetzen.»

Wohnpapier: Nicht zu viel Staat

Die sieht Stöcklin in seiner Partei aber durchaus. Zum Beispiel im Wohnpapier, das die Grünen im November veröffentlicht haben. Das Ziel: 1000 neue Wohnungen pro Jahr mittels Verdichtung und die Entwicklung freier Areale in der Stadt. Wir erinnern uns: Im Jahr 2014 engagierten sich die Grünen zusammen mit der BastA! und der SVP an vorderster Front gegen die Stadtrandentwicklung, welche Grünflächen wie den Rankhof verbauen und so neuen Wohnraum für 3400 Menschen erschliessen wollte.

Sie argumentierten, man müsse durchaus Wohnraum schaffen, aber: «Zuerst soll das bestehende innere Potenzial ausgeschöpft werden, ehe man Grünflächen verbaut. Aus den bestehenden Zonen kann noch mehr herausgeholt werden», sagte die damalige Parteipräsidentin, Mirjam Ballmer. Der Widerstand war erfolgreich, die Bevölkerung lehnte das Projekt knapp ab. Die Wohnungsnot ist immer noch gross.

Es wäre also dringend an der Zeit, das erwähnte «Potenzial» auszuschöpfen. Doch die neuen Ideen der Grünen zielen mehr aufs Dekor als aufs Fundament. Gerade bei der radikalsten Forderung im Positionspapier – den Wohnraum in Neubauten auf 38 Quadratmeter pro Person einzuschränken – haben die Grünen noch keine konkreten Instrumente, wie sie umzusetzen wäre.

«Die Frage nach den Instrumenten ist berechtigt», sagt Jürg Stöcklin. «Wir sind mit den Diskussionen noch nicht am Ende.» Ausserdem möchten die Grünen Gemeinschaftsräume in Neubauten (spart Platz) und eine Baumquote (mindestens ein Baum pro gebaute Wohnung).

Hauseigentümerverband findet Grüne vernünftig

Diese Forderungen tun niemandem weh. Das merkt man, wenn man mit der anderen Seite redet. Andreas Zappalà, FDP-Grossrat und Geschäftsführer des Hauseigentümerverbands, sagt: «Die Forderungen der Grünen sind noch vernünftig. Das Papier enthält nichts, worüber ich als Hauseigentümer nicht diskutieren könnte.»

Die zahnlosen Forderungen irritieren, hinter vorgehaltener Hand, sogar die SP. Die Sozialdemokraten haben fast zeitgleich ein Papier zur Wohnpolitik veröffentlicht, das wesentlich stärker in den Markt eingreifen will. Die Sozialdemokraten fordern beispielsweise ein Vorkaufsrecht für den Kanton bei Immobilien und Grundstücken und strenge Auflagen für private Investoren. Bei der SP gilt die Devise: Politik macht man über Zonenpläne. Wer den Boden besitzt, bestimmt über ökologische Standards, über Mietpreise, über Flächengrössen. Ohne staatliche Regulierungen bewirke man umweltpolitisch nichts.

Der grüne Parteipräsident Harald Friedl sieht das allerdings ähnlich: «Wenn der Kanton die Möglichkeit hat, über das Baurecht Vorgaben zu machen, muss er dafür sorgen, dass der Wohnungsbau nachhaltig ist.» Man könne den privaten Investoren auf deren Areal aber nicht alles vorschreiben. «Dort muss der Kanton mit diesen im Dialog stehen.» Der Staat allein sei nicht in der Lage, genug Wohnraum für alle zu bauen.

Auch bürgerliche Politiker ziehen einen Vergleich zwischen Grün und Grün-Rot. «Die Grünen haben Konkurrenz aus der SP in Umweltfragen», sagt Andreas Zappalà. Das ist eines der Probleme der Grünen schweizweit: Im Vergleich mit der SP werden sie häufig weniger ernst genommen, vor allem in sozialen oder wirtschaftlichen Fragen, aber auch in der Umweltpolitik.

O Captain! My Captain! Where Art Thou?

Vielleicht fehlen den Grünen momentan auch erfahrene Schwergewichte, welche die Partei zusammenhalten und ihr Profil geben. Vorzeigepolitikerin und ehemalige Co-Präsidentin Mirjam Ballmer ist nach Freiburg gezogen. Ihre Co-Präsidentinnenkollegin Elisabeth Ackermann ist Regierungsrätin. Und der erfahrene Grüne Michael Wüthrich, der die Umweltkommission im Grossen Rat präsidiert, ist oft durch Streitereien mit Verkehrsdirektor Hans-Peter Wessels absorbiert, etwa wegen der BVB oder der vom Volk beschlossenen Verkehrsreduktion in Basel um zehn Prozent.

Aber Jürg Stöcklin sieht die Personaldecke der Grünen gerade als Stärke. Seine Partei habe sehr gute, fähige junge Leute – etwa Raphael Fuhrer (der mit den Weihnachtsbäumen und dem Gemüsebeauftragten), Lea Steinle und Barbara Wegmann. «Die Grünen haben keine Nachwuchsprobleme, das ist nicht selbstverständlich heutzutage.»

Und Stöcklin sieht mit Befriedigung auf die Erfolge der Grünen zurück: das neue Energiegesetz etwa, das Basel weg von fossilen Energien bringen soll. «Und mit dem Atomkraftwerk Fessenheim kommen wir langsam auch auf die Zielgerade.» Wenn alles klappt, geht Fessenheim 2019 vom Netz. Sicher ist das aber noch nicht.

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