Mehr Ökostrom mit weniger Subventionen – wie soll das gehen?

Nächste Woche debattiert der Ständerat über die Energiestrategie. Von links bis rechts wird über die Höhe und Dauer von Subventionen für die Energiewende gestritten. Unternehmer Anton Gunzinger dagegen schlägt einen völlig anderen Weg ein, der mehr Ökostrom mit weniger Subventionen verspricht.

Sonst sorgt Sonne immer für fröhliche Gesichter. Nicht so, wenn sie das politische Parkett bescheint.

(Bild: sda)

Nächste Woche debattiert der Ständerat über die Energiestrategie. Von links bis rechts wird über die Höhe und Dauer von Subventionen für die Energiewende gestritten. Unternehmer Anton Gunzinger dagegen schlägt einen völlig anderen Weg ein, der mehr Ökostrom mit weniger Subventionen verspricht.

Die Energiestrategie, über die der Ständerat nächste Woche debattiert, spaltet Parteien, Verbände und das Parlament. Besonders umstritten ist die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV), welche die Produktion von Strom aus Sonne, Wind, Biomasse und Wasserkraft quer subventioniert. Dabei stehen sich drei Positionen gegenüber:

  1. Rechte und Economiesuisse wollen Strom aus erneuerbarer Energie weniger stark fördern, als es Bundes- und Nationalrat beschlossen haben. SVP und FDP bekämpfen die Energiewende generell und verlangen eine zeitliche Begrenzung der KEV. Zudem soll der Netzzuschlag, der die KEV finanziert, weniger stark erhöht werden. 
  2. Linke, Umweltverbände und Solarlobbyisten streben eine stärkere Förderung der Stromproduktion aus erneuerbarer Energie an. Unter dem Slogan «Deckel weg» fordern sie, die Kontingentierung der Solarstrom-Förderung sei aufzuheben. Branchenvertreter kritisieren zudem, der Bundesrat habe die Vergütungssätze für eingespeisten Solarstrom zu stark gesenkt. Mit den ab Oktober gültigen 18 Rappen pro Kilowattstunde (kWh), so klagt etwa Solarpionier Thomas Nordmann, liessen sich die Kosten von grossen Fotovoltaik-Anlagen nicht mehr decken. Viele Anlagen könnten darum nur noch mit Dumping-Angeboten realisiert werden. 
  3. Der Bundesrat steht dazwischen. Seine Strategie verfolgt das Ziel, die inländische Produktion von Strom aus Solar-, Wind- und Biomasse-Kraftwerken bis 2035 auf 14,3 Milliarden kWh pro Jahr zu steigern. Das würde rund einen Viertel des Schweizer Stromverbrauchs abdecken. Den Grossteil dieses Ausbaus will der Bundesrat aber erst nach 2020 realisieren. Denn er erwartet, dass die Preise für Solaranlagen weiter sinken, womit sich pro Subventionsfranken langfristig mehr Strom fördern liesse. Dazu die Sprecherin des Bundesamtes für Energie, Marianne Zünd: «Beim heutigen Überangebot an Strom und tiefen Marktpreisen macht es wenig Sinn, den Ausbau der Fotovoltaik möglichst schnell voran zu treiben.» 

Gunzingers vierter Weg

Mehr zum Thema: 

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Den vierten Weg verfolgt der Unternehmer und ETH-Professor Anton Gunzinger in seinem Buch «Kraftwerk Schweiz». Darin fordert er, dass deutlich mehr Strom aus Sonne, Wind und Biomasse erzeugt wird, als es die Strategie des Bundesrats vorsieht.

In Gunzingers bevorzugtem Szenario 2030 soll die Schweiz künftig 19 Milliarden kWh Solarstrom pro Jahr erzeugen. Das wären 22 Mal mehr als im Jahr 2014. Die Produktion von Wind- und Biomassestrom will er gegenüber 2014 ebenfalls vervielfachen (siehe Grafik: «Szenario Gunzinger»). Diese Wende zu einer hundertprozentig erneuerbaren Stromerzeugung, die der Professor «innerhalb von zwanzig Jahren» anstrebt, freut die Umweltverbände.

Gleichzeitig will Gunzinger die KEV abschaffen, was die Solarlobby entsetzt. Anstelle der KEV sollen neue Solarkraftwerke nur noch mit einem einmaligen Investitionsbeitrag von 30 Prozent der Anlagekosten unterstützt werden. Diese Lösung haben Bundesrat und Parlament erst für Kleinanlagen bis 10 Kilowatt Leistung eingeführt. Den Investitionsbeitrag will Gunzinger zudem jährlich um 2 Prozentpunkte senken, womit die Quersubventionierung von Solarstrom ab 2030 ganz auslaufen würde.

Solarstrom contra Marktpreis

David Stickelberger, Geschäftsführer des Verbands Swissolar, kritisiert Gunzingers Ansatz, die Anlagenkosten einmalig zu unterstützen. Das funktioniere höchstens bei kleinen Fotovoltaik-Anlagen. Für grosse Anlagen ab 100 Kilowatt Leistung sei dies jedoch «kein brauchbarer Anreiz». Grosse Anlagen wie etwa die von Gunzinger vorgesehenen alpinen Solarkraftwerke aber seien nötig, um die angestrebte Solarstromproduktion von 19 Milliarden kWh zu erreichen. Um Investoren dafür zu finden, sagt Stickelberger, brauche es die KEV weiterhin.

Die aktuelle Marktsituation stützt Stickelbergers Einschätzung: Der Bundesrat gewährt ab Oktober 2015 für neue Fotovoltaik-Anlagen ab 100 Kilowatt Leistung eine Einspeisevergütung von rund 18 Rappen pro kWh Strom. Der heutige europäische Marktpreis, der sich zwischen 4 und 6 Rappen/kWh bewegt, deckt davon maximal einen Drittel. Mindestens zwei Drittel der Kosten des ins Netz eingespeisten Solarstroms müssen heute also mit Quersubventionen gedeckt werden.

Kostenwahrheit statt Subventionen

Damit fragt sich: Wie lässt sich der massive Ausbau des Solarstroms ohne KEV-Subventionen finanzieren? Anton Gunzinger geht davon aus, dass die Produktionskosten des Solarstroms weiter sinken; in seinem Szenario rechnet er mit Produktionskosten von nur noch 6,6 Rappen/kWh für Dachanlagen im Mittelland und 9,6 Rappen/kWh für alpine Solarkraftwerke; eine Kostensenkung, die Vertreter der Solarbranche als illusorisch bezeichnen.

Auf der andern Seite fordert Gunzinger «volle Kostenwahrheit», also die Überwälzung der Kosten für nukleare Risiken, Umweltschäden oder Klimawandel auf die Energiepreise. Dazu müsste Strom aus Atom-, Kohle und Gaskraftwerken mit einer Energie oder CO2-Abgabe massiv verteuert werden. Auf diese Weise werde Solarstrom auch ohne Subventionen rentabel.

Widerstand von Markt und Politik

Allerdings hat der politische Widerstand die Einführung von Lenkungsabgaben bisher verhindert. So gibt es in der Schweiz erst eine bescheidene CO2-Abgabe auf Brennstoffe. Die beantragte CO2-Abgabe auf fossilen Importstrom hängt politisch in der Luft, ebenso die Energie-Lenkungsabgabe, die Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf einführen will.

Widerstand kommt auch vom Markt: Solange die Stromflut die Preise in den Keller drückt, investieren Schweizer Stromproduzenten nur noch in subventionierte Kraftwerke; dies vorwiegend im Ausland. Darauf angesprochen, räumt Anton Gunzinger ein: «Mein Wunsch nach einer autarken erneuerbaren Schweizer Stromversorgung beisst sich mit den Renditeüberlegungen der Investoren.»

Streitpunkte in der Energiestrategie

Auf neue Atomkraftwerke verzichten, die Energieeffizienz steigern, fossile Energie ersetzen und die Stromproduktion aus erneuerbarer Energie fördern – das sind die Kernpunkte der Energiestrategie 2050. Die Mehrheit des Nationalrats genehmigte letzten Dezember diese Vorlage des Bundesrates mit wenigen Änderungen. Nächste Woche entscheidet der Ständerat darüber. Die Mehrheit der ständerätlichen Energiekommission (UREK-SR) beantragt unter anderem folgende Änderungen:

  • Atomausstieg – aber wann? Umstritten ist, wie lange die bestehenden Schweizer AKW laufen dürfen. Der Nationalrat befristete die Lebensdauer der ältesten beiden Werke Beznau I und II auf maximal 60 Jahre. Die Betreiber der jüngeren AKW Gösgen und Leibstadt müssen nach 40 Betriebsjahren alle zehn Jahre ein «Langzeitbetriebskonzept» vorlegen. Sie dürfen ihre AKW danach nur weiter betreiben, wenn die Sicherheitsbehörde dieses Konzept genehmigt. Die UREK-SR lehnt diese neue Regelung ab. Demnach sollen alle alten AKW gemäss bisherigem Gesetz solange Strom produzieren, wie die Sicherheitsbehörde ENSI diese Werke als sicher beurteilt.
  • CO2-Abgabe auch auf Strom? Die UREK-SR beantragt, die CO2-Abgabe auch auf Strom aus fossiler Produktion aus dem In- und Ausland auszuweiten. Der Nationalrat hatte einen entsprechenden Minderheitsantrag knapp abgelehnt.
  • Ökostrom – wie viel? Der Bundesrat setzte das Ziel, bis zum Jahr 2035 die Stromproduktion aus erneuerbarer Energie exklusive Wasserkraft auf 14,5 Milliarden Kilowattstunden (Mrd. kWh) pro Jahr oder rund einen Viertel des heutigen Schweizer Stromverbrauchs zu erhöhen. Der Nationalrat formulierte dieses Ziel zum «Richtwert» um. Die UREK-Ständerat senkte diesen Richtwert auf 11,5 Mrd. kWh.
  • KEV – wie lange noch? Mit der kostendeckenden Einspeisevergütung und Einmalbeiträgen für kleine Fotovoltaik-Anlagen fördert die Schweiz die Stromproduktion aus Solar-, Wind-, Biomasse- und kleinen Wasserkraftwerken. Bundes- und Nationalrat wollen dieses Förderungsmittel, das mit einem Netzzuschlag finanziert wird, nicht befristen. Die UREK-SR beantragt, die Einmalvergütuing ab 2031, die KEV schon sechs Jahre nach Inkrafttreten der Energiestrategie-Vorlage abzuschaffen.
  • Wasserkraft – wie fördern? Kleine Wasserkraftwerke mit einer Leistung von 1 bis 10 Megawatt sollen durch die KEV gefördert werden, beschloss der Nationalrat. Die untere Grenze legte er fest, weil kleinere Wasserkraftwerke nur wenig Strom produzieren, aber vielen kleinen Bächen das Wasser abgraben. Die UREK-SR senkte diese Untergrenze wieder auf 0,3 Megawatt.
  • Effizienzpflicht für Stromverkäufer: Der Nationalrat verpflichtete die Stromlieferanten, die Effizienz des Stromeinsatzes bei sich und ihren Kunden zu steigern. Die UREK-SR beantragt, auf diese Stromspar-Vorschrift zu verzichten.

Bei den erwähnten Abweichungen gegenüber dem Nationalrat handelt es sich um Anträge der UREK-Mehrheit. Diesen Mehrheits- stehen viele Minderheits-Anträge gegenüber. Eine lange Debatte mit vielen Abstimmungen ist damit im Ständerat programmiert.

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