Die syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge sind für die Türkei nicht nur eine Last, sie sorgen auch für mehr Nachfrage und kurbeln so das Wachstum an. Aber Strukturschwächen und die Kriege in den Nachbarländern bremsen die türkische Wirtschaft.
Umgerechnet zehn Milliarden Dollar hat die Türkei nach eigenen Angaben bisher für die Unterbringung und Versorgung der syrischen Flüchtlinge aufgewendet – viel Geld. Die rund 2,5 Millionen Schutzsuchenden aus Syrien verursachen aber nicht nur Kosten. Sie kurbeln auch die Wirtschaft des Gastlandes an.
Nach vorläufigen Berechnungen hat das türkische Bruttoinlandprodukt im vierten Quartal 2015 rund fünf Prozent zugelegt. Das wäre das stärkste Quartalswachstum seit fast zwei Jahren. Zwar haben die Flüchtlinge bisher keine Arbeitserlaubnis. Hunderttausende sind aber illegal beschäftigt. Ihr schwarz verdientes Geld fliesst in den Konsum. Auch die staatlichen Ausgaben für den Bau der Flüchtlingslager und für die Versorgung der Menschen fliessen in die Wirtschaft zurück.
Abzulesen ist der Effekt dieser «Flüchtlingsdividende» unter anderem daran, dass in den Grenzprovinzen, wo die Mehrheit der Flüchtlinge lebt, die Inflation mit knapp elf Prozent um etwa einen Prozentpunkt höher ist als im Landesdurchschnitt. Das deutet auf eine grössere Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen hin.
Boom auf Pump
Aber die türkische Wirtschaft kämpft mit Strukturproblemen – auch wenn diese Schwächen lange vom «Boom am Bosporus» überdeckt wurden. In den Jahren 2003 bis 2012 erlebte die Türkei das steilste Wirtschaftswachstum ihrer jüngeren Geschichte. Das statistische Pro-Kopf-Einkommen verdreifachte sich.
Aber nachhaltig war dieses Wachstum nicht. Denn es gründete sich vor allem auf den starken Binnenkonsum. Und der wurde mit dem Zustrom ausländischen Risikokapitals finanziert, das die türkischen Banken als Verbraucherkredite vergaben – ein Boom auf Pump. Seit 2013 leidet die Türkei wie die meisten Schwellenländer unter einem massiven Abfluss ausländischen Kapitals.
Die Türkei ist in die Inflation gerutscht: Auch auf den Basars in Istanbul steigen die Preise und der Konsum geht zurück. (Bild: REUTERS/Murad Sezer)
Auch die Bürgerkriege im Irak, in Syrien und in Libyen, die wichtige Absatzmärkte waren, bremsen das Wirtschaftswachstum. Ein weiterer schwerer Rückschlag, vor allem für den Tourismus, ist der Konflikt mit Russland nach dem Abschuss eines russischen Bombers durch die türkische Luftwaffe im vergangenen November.
Nun lassen die Terroranschläge, denen im Januar auch elf deutsche Urlauber in Istanbul zum Opfer fielen, zusätzlich die Buchungen auf dem wichtigen deutschen Markt deutlich einbrechen. Der Reiseveranstalter TUI meldet für die Türkei einen Rückgang um 40 Prozent.
Die Lira schwächelt
Hinzu kommen chronische strukturelle Schwächen der türkischen Wirtschaft, wie die viel zu geringe Sparquote, das Technologie-Defizit und die mangelnde Innovationskraft, die hohe Importabhängigkeit und die Unzulänglichkeiten des Bildungssystems. Und nun sorgen auch noch der wiederaufflammende Kurdenkonflikt und die jüngste Terrorserie für Besorgnis unter Wirtschaftsführern und Investoren.
Auch die zunehmende Verstrickung des Landes in den Syrienkrieg und die innenpolitische Polarisierung unter dem zunehmend autoritär agierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdogan werden in Wirtschafts- und Finanzkreisen als Belastung wahrgenommen. Diese Sorgen spiegeln sich in der Schwäche der türkischen Lira und steigenden Renditen der türkischen Staatsanleihen.
Die Regierung will syrischen Flüchtlingen ermöglichen, legal Arbeit aufzunehmen. Das könnte zu sozialen Spannungen führen.
Die türkische Regierung hat ihre Wachstumsprognosen für dieses Jahr bereits mehrfach erhöht – zunächst von drei auf vier und jetzt auf 4,5 Prozent. Die Experten des Unternehmerverbandes Tüsiad erwarten ein Wachstum von 3,6 Prozent, die EU geht in ihrer Winterprognose von vier Prozent aus. Das wäre viel für die Verhältnisse europäischer Industrieländer, aber nicht genug für ein Schwellenland wie die Türkei. Sie braucht ein Wachstum von mindestens fünf, besser sechs Prozent, um ihre Beschäftigung zu sichern.
Die Arbeitslosenquote liegt aktuell mit zehn Prozent bereits auf dem höchsten Stand seit vier Jahren. Jetzt will die Regierung syrischen Flüchtlingen ermöglichen, legal Arbeit anzunehmen. Damit sollen Schwarzarbeit und Lohndumping zurückgedrängt werden. Aber der Druck auf den Arbeitsmarkt dürfte dadurch weiter steigen. Das könnte zu sozialen Spannungen führen.