«Wenn du über ein Land wie unseres singst, bist du automatisch politisch»

Eaiddhi und Thaiddhi sind die Söhne von Mynamars bekanntestem Komponisten. Heute sind sie die zentralen Figuren in einer Kulturszene, die sich den Zwängen der Tradition entzieht.

Polit-Ikone Aung Sang Suu Kyi hängt zwar prominent im Proberaum von Eaiddhis Band, dennoch geht es hier weniger ums sie. «The Lady diente uns Kreativen seit der Öffnung als Schutzschild. Nun müssen wir ihr Rückendeckung geben. Sie ist doch schon alt», so Thaiddi. In Kulturfragen lastet viel Hoffnung auf den Schultern der Brüder. (Bild: Ruben Hollinger)

Eaiddhi und Thaiddhi sind die Söhne von Mynamars bekanntestem Komponisten. Heute sind sie die zentralen Figuren in einer Kulturszene, die sich den Zwängen der Tradition entzieht.

Der Bass ist nur ein kaputtes Knarzen. Nicht der gewünschte Klang, selbst für das Debütalbum von Kultureshock, der ältesten Punkband Myanmars. Die Effektgeräte sind defekt. Ein Schulterzucken und Toningenieur Eaiddhi beschliesst, das Instrument direkt ins Mischpult zu schlaufen. «Wir müssen mit den vorhandenen Möglichkeiten Musik machen», konstatiert er und leuchtet mit dem Handy nach einem funktionierenden Steckplatz hinter dem Mischpult.




Eaiddhi baut lieber im eigenen Land eine Szene auf als sich in Europa als Kulturexot beklatschen zu lassen. (Bild: Ruben Hollinger)

Von seinem Praktikum in Deutschland kennt Eaiddhi besser ausgerüstete Studios. Der 29-jährige Vollblutmusiker tourte dort mit seiner alten Band Side Effect im Vorprogramm der Ärzte. «Wir spielten in Europa vor Zehntausenden Menschen, bekamen Applaus. Aber ich wusste nie, ob sie uns wirklich mögen oder nur freundlich waren zu den Exoten aus Myanmar.» Darum flickt Eaiddhi heute lieber wieder in Yangon das Equipment im Proberaum seiner neuen Band No U Turn zusammen.




Frontmänner im Studiotalk: Ye Ngwe Soe von No U Turn mit Tigermütze und Skum von Kultureshock. (Bild: Ruben Hollinger)

Er will die Menschen im eigenen Land bewegen. Nicht nur mit dem burmesischen Punk seiner Band. Eaiddhi nutzt den Proberaum auch als Studio für andere Bands. Zwischen Eierkartons blicken Kurt Cobain oder The Sex Pistols von den Wänden – die üblichen Verdächtigen. Kopf an Kopf mit ihnen hängen Ko Ba Hein, der als Studentenführer einst an der Seite von Landesvater Aung San für die Unabhängigkeit des Landes kämpfte und die jetzige politische Leaderin: Aung Sans Tochter Aung San Suu Kyi. «The Lady hängt nur hier, weil uns das Poster-Design im Stil der Streetwear-Marke Obey gefällt», relativiert Eaddhi die politische Aussage der Poster.



Flickt heute lieber Equipment zusammen als vor Zehntausend-Publikum zu spielen: Eaiddhi im Proberaum seiner neuen Band No U Turn.

Flickt heute lieber Equipment zusammen als vor einem Publikum aus Zehntausenden zu spielen: Eaiddhi im Proberaum seiner neuen Band No U Turn. (Bild: Ruben Hollinger)

Er hat es satt, von ausländischen Journalisten ständig nach seiner Einschätzung der Situation Myanmars gefragt zu werden. «Wenn du über ein Land wie unseres singst, bist du automatisch politisch. Wir haben überall Probleme. Aber als Musiker kämpfen wir in erster Linie mit anderen Problemen als mit der Politik.»

In Yangon, der mit sechs Millionen Einwohnern mit Abstand grössten Stadt Myanmars, gibt es keine Clubs, wo regelmässig Konzerte gespielt werden. Es gibt auch keine Labels oder Veranstalter, die Subkultur fördern. Darum leistet Eaiddhi Basisarbeit. Er organisiert mit seinem Jam-It-Label eine Konzertreihe mit Musik quer durch alle Stilrichtungen und unterstützt als Mischer und Geldgeber Bands, die sich mit dem Wandel im Land beschäftigen.



«Wir müssen der Lady Rückendeckung geben»: Die Brüder Eaiddhi und Thaiddhi.

«Wir müssen der Lady Rückendeckung geben»: Die Brüder Eaiddhi und Thaiddhi. (Bild: Ruben Hollinger)

Ganz ähnlich agiert sein älterer Bruder Thaiddhi, Filmemacher und Organisator des ersten Dokfilm-Festivals in Myanmar. Spricht man in Yangon mit Kulturschaffenden, fällt irgendwann einer der beiden Namen. Die Brüder engagieren sich stark für den Aufbau einer Szene. Doch fehlt es nach einem halben Jahrhundert Abschottung nicht nur an Strukturen – auch das Publikum muss erst noch überzeugt werden. Thaiddhi: «Die ältere Generation interessiert sich für Traditionelles, die Jungen für importierten Kommerz.»

Thaiddhi fordert dennoch keine Förderung von der neuen Regierung. «The Lady diente uns Kreativen seit der Öffnung als Schutzschild. Nun müssen wir ihr Rückendeckung geben. Sie ist doch schon alt.» Doch bei aller Freude über den Wechsel bleibt der 32-Jährige ein kritischer Geist. Und auch wenn man den frisch vermählten Mann mit Gemütlichkeitsbauch kaum als Revoluzzer sieht. Thaiddhi geht die aktuellen Missstände nicht nur intellektuell an.



Kampf gegen Missstände: Thaiddhis Graffitis gegen den grassierenden Bau-Boom.

Kampf gegen Missstände: Thaiddhis Graffitis gegen den grassierenden Bau-Boom. (Bild: Ruben Hollinger)

Als Mann der Tat sprayt Thaiddhi in Yangos Strassen Graffitis gegen den grassierenden Bau-Boom – Bagger, deren zahnbewehrte Schaufeln den Politikern das Gehirn wegfressen. «Man muss die Leute hier wachrütteln. Und ich brauch wohl einfach den Kitzel des Illegalen, das Wegrennen.» Von Verboten liess er sich im Kampf gegen Missstände noch nie abschrecken. Das Geschehen in Myanmar hält der Filmemacher seit bald zehn Jahren mit der Kamera fest.



Thaiddhis Graffiti zeigen die Missstände Myanmars auf.

Thaiddhis Graffiti zeigen die Missstände Myanmars auf. (Bild: Ruben Hollinger)

Noch unter der Militärjunta zog er 2008 los und drehte illegal seinen Debütfilm «Nargis – When Time Stopped Breathing» über den verheerenden Zyklon, der das Land verwüstete und über 100’000 Todesopfer forderte. Auch weil das damalige Regime die Grenze für ausländische Hilfe geschlossen hielt. Der Dokumentarfilm wurde an verschiedenen internationalen Festivals gezeigt. Auch in Prag, wo Thaiddhi studierte. Allerdings lief der Film unter einem Pseudonym.

Premiere in Myanmar feierte die Doku erst beim 2. Wathann Film Festival in Yangon. Bei der ersten Ausgabe, gleich nach der Öffnung nahm Thaiddhi als Organisator noch Rücksicht: «Die Zensurbehörde war frisch abgeschafft. Trotzdem stand die Erstausgabe unter Beobachtung der Regierung. Da ich das Kloster nicht verärgern wollte, das mir die Räumlichkeiten zur Verfügung stellte, waren die Beiträge nicht sehr politisch.» Bei der zweiten Ausgabe hatte Thaiddhi dann Rückendeckung von einer Menschenrechtsorganisation, und Aung San Suu Kyi kam als Besucherin. «Da wollte das alte Regime keine Probleme machen.»



Thaiddhi musste auch schon mal für seine Arbeit ins Gefängnis.

Thaiddhi musste auch schon mal für seine Arbeit ins Gefängnis. (Bild: Ruben Hollinger)

Heute kann er fast überall drehen – ausser es geht grade um chinesische Minen. Weil er vor ein paar Tagen mit Bruder Eaiddhi als Tonmeister den illegalen Jade-Abbau in den Grenzregionen filmte, hätte das Treffen in seiner kleinen, dank internationalen Aufträgen leidlich laufenden Produktionsfirma, fast nicht geklappt. Statt beim gemütlichen Tee im Büro sassen beide im Knast. Sie hatten sich bei der Recherche auf chinesischen Boden verirrt. Eaiddhi: «Es war beunruhigender als in einem einheimischen Gefängnis, da uns keiner verstand. Glücklicherweise wurden wir nach zwei Tagen entlassen. Wir hätten auch vergessen werden können.»

Für die Kulturszene Myanmars wäre dies ein tragisches Missverständnis gewesen. Während in der Politik Aung San Suu Kyi als Tochter von Staatsgründer Aung San zur fast schon religiös verehrten Hoffnungsträgerin der Modernisierung wurde, liegt in der Kulturszene viel auf den Schultern von Eaiddhi und Thaiddhi – den Söhnen von Myanmars bekanntestem Komponisten Maung Thit Min. Die Brüder nehmen den Aufbau der Szene selbst in die Hand – nicht nur mit ihrem eigenen Schaffen. Sie nutzen den Nachlass ihres 2011 an Krebs verstorbenen Vaters, der über 1000 Songs für burmesische Sänger schrieb. Mit den daraus hervorgehenden Tantiemen fördern sie kritische und zeitgenössische Kultur anderer, um das Interesse der Landsleute für das aktuelle Geschehen zu wecken.



«Immer mehr junge Leute hören Hip-Hop. So finden wir Gehör und können Myanmar bewegen»: Rapperinnen T-Zin und Triple-A.

«Immer mehr junge Leute hören Hip-Hop. So finden wir Gehör und können Myanmar bewegen»: Rapperinnen T-Zin und Triple-A. (Bild: Ruben Hollinger)

Gerade finanzierten die Brüder das Debütalbum des Frauen Hip-Hop-Duos Y.A.K. «Immer mehr junge Leute hören Hip-Hop. So finden wir Gehör und können Myanmar bewegen», prophezeit Rapperin T-Zin. Die junge Frau strahlt Selbstbewusstsein aus und scheut entgegen den asiatischen Konventionen die klaren Worte nicht. Ihr Konfliktgebiet ist schnell definiert. «Die Menschheit nach Geschlechtern zu trennen ist so unsinnig, wie Kriege zwischen Volksgruppen und Religionen, die unsere Nation spalten.» Frauenrechte sind das dominierende Thema von ihr und Mitrapperin Triple-A. «Die Zeit der Mauerblümchen ist vorbei. Wir lassen unser Talent nicht durch Tradition erdrücken.»

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Hier gehts zu Teil 1 und Teil 3 der Myanmar-Reportage von Olivier Joliat.

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