Sparen, wo immer es nur geht – das ist das oberste Credo der Bürgerlichen im Baselbiet. Es gilt nur dann nicht, wenn die Sparwut einige wenige aus den eigenen Reihen bedroht.
Wie der bürgerliche Filz dafür sorgt, dass es ihm und den Seinen nicht an den Kragen, dass ihm kein Rappen und kein Mandat durch die Lappen geht – auf Kosten der Steuerzahler und des Service public –, das zeigt exemplarisch das Theater um die Autobus AG in Liestal (AAGL).
Der Kanton plant eine Fusion
Wohin die Reise für die AAGL gehen soll, das hat der Kanton schon im Jahr 2015 in seiner Eigentümerstrategie festgehalten. Schriftlich und unmissverständlich: «Der Kanton BL unterstützt die Konzentration der Konzessionen auf eine Transportunternehmung … zur Erhöhung von Effektivität und Wirtschaftlichkeit.»
Bei der privaten AAGL ist der Kanton der Hauptaktionär – mit 22 Prozent der Aktien. Beim öffentlichen Unternehmen BLT hält der Kanton 43,1 Prozent, die Baselbieter Gemeinden halten 21,8 Prozent. Der Kanton schreibt in der BLT-Eigentümerstrategie längst von den Plänen, die er verfolgt:
«Die BLT AG strebt die Übernahme weiterer Linien des öffentlichen Verkehrs an. Dadurch schafft das Unternehmen eine einheitliche Trägerorganisation des öffentlichen Verkehrs im Kanton Basel-Landschaft.» Das meint explizit auch Buslinien: «Eine Konzentration des nicht schienengebundenen öffentlichen Verkehrs wird unterstützt», heisst es weiter.
Traumhochzeitsantrag für den Sparkanton
Im Mai dieses Jahres wurden BLT-Direktor Andreas Büttiker und BLT-Verwaltungsratspräsident André Dosé beim Baselbieter Finanzdirektor Anton Lauber (CVP) und bei Sabine Pegoraro (FDP), Vorsteherin der Bau- und Umweltdirektion (BUD), vorstellig. Im Gepäck hatten sie einen ÖV-Fusionsplan, der von den sparbeflissenen Regierungsräten mit Wohlgefallen aufgenommen werden musste. Der Plan betraf die AAGL.
Der private ÖV-Betreiber führt mehrere Buslinien vom Knotenpunkt Liestal aus. 6,1 Millionen Franken bezahlte der Kanton Basel-Landschaft der AAGL dafür im Jahr 2016. Die BLT erklärte nun, die Buslinien für 2,1 Millionen Franken weniger betreiben zu können – im gleichen Takt. Die rund hundert AAGL-Mitarbeiter wollte die BLT übernehmen. Nur beim Kader sah man Sparpotenzial.
Konkret hatten die ÖV-Spezialisten aus Oberwil zwei Sparbereiche identifiziert. So fährt die AAGL pro Jahr rund eine Million Franken ein, die man in der Bilanz Jahr für Jahr woanders findet. Einmal als Rückstellungen für die (bereits sanierte) berufliche Vorsorge, dann als «Linienrückstellungen».
«Wir können das zu einem deutlich günstigeren Preis bei gleicher Leistung machen.» – André Dosé, VR-Präsident BLT
Die zweite Million wollten Büttiker und Dosé durch einen Abbau beim Overhead der AAGL einsparen. Sieben Kaderleute, etwa im Marketing und in der Geschäftsleitung, würden bei einer Übernahme überflüssig, so wie auch der gesamte Verwaltungsrat. Was der AAGL-Verwaltungsrat verdient, weiss der Steuerzahler nicht genau. Obwohl der Kanton seit 2015 eine Veröffentlichung der Vergütungen im Geschäftsbericht explizit verlangt. Die AAGL foutiert sich um die Anweisung des Hauptaktionärs: Auch im aktuellsten Bericht fehlt die Information.
«Die AAGL kosten im Vergleich zum BLT-Angebot zwei Millionen pro Jahr zu viel, das unterschreibe und garantiere ich jederzeit. Wir können das zu einem deutlich günstigeren Preis bei gleicher Leistung machen», sagt BLT-Verwaltungsratspräsident André Dosé auf Anfrage der TagesWoche.
Ein Sparplan aus dem Wunschbuch jedes Politikers – ohne Leistungsabbau, ohne Protest und Referendum. Lauber und Pegoraro stärkten den BLT-Chefs den Rücken. Sie baten André Dosé, das Gespräch mit Christian Haidlauf zu suchen, dem VR-Präsidenten der AAGL. Er solle die Möglichkeiten einer «liaison amicale», einer freundschaftlichen Fusion, ausloten. Eine solche hatte die BLT bereits 2013 mit der Autogesellschaft Sissach–Eptingen vollzogen. Und mit der Übernahme der Waldenburgerbahn im Jahr 2016 durch die BLT kann der Kanton jährlich fast eine Million Franken sparen.
Filz gegen Fusion
Das gemeinsame Abendessen verlief harmonisch. Dosé und Haidlauf kehrten in ihre Verwaltungsräte zurück und erzählten von konstruktiven Gesprächen. Bei den Liestalern war die Harmonie aber von kurzer Dauer. Nur Tage später folgte die Absage der AAGL an die Regierung: kein Interesse.
Kurz darauf geschah hinter verschlossenen Türen Seltsames. An einer Regierungssitzung zauberte Sabine Pegoraro einen Kompromissvorschlag aus der Tasche. Die Konzession solle bei der AAGL bleiben, die seit vielen Jahren angestrebte Fusion abgesagt werden – dafür würde der Kanton den Leistungsauftrag um 700’000 Franken nach unten drücken.
Wie sie auf diese Zahl kam, erklärte Pegoraro nicht. Gegenüber der TagesWoche bestreitet sie den Vorgang: Es sei eine «Unterstellung», und sie sei «falsch».
Der Entzug des Auftrags würde das Ende der Autobus AG Liestal bedeuten.
«Generell gilt aber», fügt Pegoraro an, dass im Rahmen des Bestellverfahrens des Kantons alle Transportunternehmungen im Baselbiet bei ihren Offerten für die Jahre 2018 und 2019 «die Vorgaben der Bau- und Umweltschutzdirektion (BUD) nicht eingehalten» hätten – «Budgetüberschreitung», so die Regierungsrätin. Darum sei durch die BUD «die anzustrebende Kostenreduktion für jedes Transportunternehmen individuell ermittelt und eingefordert» worden. Betrug die eingeforderte Reduktion im Fall der AAGL 700’000 Franken? Pegoraro: «Über die Höhe der geforderten Beträge werden keine Angaben gemacht.» Man habe aber Zweitofferten erhalten, die «merklich tiefere Kosten aufweisen».
Anton Lauber soll an der besagten Regierungssitzung entgeistert reagiert haben. Der Sparminister wirft Pegoraro seit Längerem vor, ihre Sparziele nicht einzuhalten. Und jetzt wollte sie ohne Not auf das Einsparen von 1,4 Millionen Franken jährlich wiederkehrender Kosten verzichten? Lauber versenkte Pegoraros Lösung: Für Harmonie fehlt dem Kanton das Geld.
Die Autobus AG schuf derweil Fakten – und säte Zwietracht, die den Kanton teuer zu stehen kommen sollte. Den vom Kanton vorgeschlagenen neuen VR-Kandidaten lehnte sie ab. Statt dem ausgewiesenen ÖV-Fachmann Christoph Bühler kürte das Unternehmen den unbekannten Lukas Haldemann. Was Bühler aus Sicht der AAGL unmöglich machte, war seine VR-Tätigkeit für die BLT. Man befürchtete, der Wirtschaftsanwalt würde die Fusion vorantreiben.
Die Manöver der Bus-Betreiber wurden dreister. Der «Schweiz am Wochenende» erzählte VR-Präsident Haidlauf Anfang Juni, obwohl er längst persönlich und offiziell im Bilde über das Fusionsbegehren war, er fände es «speziell», dass die BLT über das Begehren spreche, «ohne zuerst direkten Kontakt aufzunehmen». Eine Fusion sei sicher «nicht auf dem Radar».
«Man sieht ja, woher dieser Verwaltungsrat kommt», sagt SP- Landrat Stefan Zemp.
Währenddessen übernahm Regierungsrat Lauber in der Sache das Steuer und ging in die Gegenoffensive. Die Baselbieter Regierung beschloss, die Konzession der AAGL neu auszuschreiben – und informierte den AAGL-VR am 20. Juni, dem Tag vor der AAGL-Generalversammlung, darüber. Eine Neuausschreibung der Konzession würde für die private Aktiengesellschaft fast sicher den Entzug ihrer Haupteinnahmequelle bedeuten: So günstig wie die BLT würde sie ihre Linien kaum betreiben können. Der Entzug des Auftrags wiederum würde das Ende der Autobus AG Liestal bedeuten.
«Die AAGL wurde bis anhin nur aus den Medien und nicht von den massgebenden Stellen mit dem Thema Fusion konfrontiert» – das behauptete VR-Präsident Christian Haidlauf vor versammelten Aktionären an der Generalversammlung. Die Wahrheit – dass er längst vom Kanton und vom BLT-VR-Präsidenten persönlich informiert worden war –, die erzählte er nicht.
«Die Eigentümerstrategie ist für uns nicht nur ein Papier, sondern ein klarer Auftrag. Wir sind auch eingeladen worden von der Regierung, die von der BLT vorgeschlagene Kostenreduktion zu besprechen, und haben dann auch entsprechend ein konkretes Angebot gemacht und Gespräche geführt», stellt BLT-VR-Präsident André Dosé klar.
«Bananenrepublik Baselland»
Analog zur steigenden Nervosität im Verwaltungsrat der Autobus AG wurde der Druck auf allen Kanälen noch weiter erhöht.
Ein Leichtes, bei den Verflechtungen. Der Verwaltungsrat besteht aus Präsident Christian Haidlauf (Anwalt und Richter, von der SVP portiert), Vizepräsident Thomas de Courten (Ex-Wirtschaftskammer, SVP-Nationalrat), Sandra Sollberger (SVP-Nationalrätin), Christof Hiltmann (FDP, Vertrauter von Wirtschaftskammer-Direktor Christoph Buser und Gemeindepräsident von Birsfelden) und dem VR-Neuling Lukas Haldemann (Unternehmer). Letzterer ist bisher erst damit aufgefallen, auch geschäftlich Auftragnehmer der AAGL zu sein, was, wie die «bz Basel» berichtete, ein No-Go ist. Doch Haldemann befindet sich in bester Gesellschaft: Seine VR-Kollegin Sollberger hatte für ihr Malergeschäft ebenfalls schon einen lukrativen Auftrag bei der AAGL geangelt.
«Man sieht ja, woher dieser Verwaltungsrat kommt. Und man kann sich ja denken, was da im Hintergrund für Spiele laufen», sagt Stefan Zemp, Unternehmer und SP-Landrat aus Sissach. Zemp hat eine Interpellation zum Thema BLT-AAGL eingereicht – seine kritischen Fragen wurden bisher nicht beantwortet. «Bananenrepublik Baselland – danach riecht die ganze Sache», sagt Zemp.
Lähmendes Spiel der Verflechtungen
Das Spiel nahm seinen Lauf. De Courten und Sollberger haben die Regierungsräte Thomas Weber (SVP) und Monica Gschwind (FDP) eindringlich bearbeitet. So entstand in der Regierung eine Pattsituation: Weber und Gschwind für AAGL-Heimatschutz, Lauber und Isaac Reber (Grüne) für die Neuausschreibung des Leistungsauftrags. Und irgendwo dazwischen die unglückliche FDP-Verkehrsdirektorin. Unentschlossen, planlos.
Oder aufgrund des Drucks von allen Seiten womöglich von einer Lähmung ergriffen. «Dass die BUD mit der FDP und der Wirtschaftskammer verfilzt ist, das ist ja nichts Neues», sagt Landrat Stefan Zemp. Der Generalsekretär der BUD wechsle ja gerade zur Wirtschaftskammer und werde dort Vizedirektor. «Der hätte ja sein Büro bei der BUD gleich behalten können», sagt Zemp.
«Beharrliche Überprüfung der Staatsaufgaben, konsequente Ausgabendisziplin … zur Reduktion von Steuern, Abgaben und Gebühren für alle» – dafür steht AAGL-VR-Vizepräsident Thomas de Courten laut seiner Website ein. Der Nationalrat hätte die Gelegenheit gehabt, jährlich zwei Millionen zu sparen. Gegenüber der TagesWoche pocht er auf die Eigenständigkeit der AAGL und lobt sie als «sehr schlanken und effizienten Betrieb».
Es ist die alte Baselbieter Geschichte: Der Filz gewinnt. Der Kanton, und mit ihm der Steuerzahler, verliert.
Die Frage, warum man nicht gleich oder ähnlich günstig wie die BLT fahren könne, kann de Courten nur ausweichend beantworten, betont aber, man scheue «den Vergleich mit der Konkurrenz nicht, solange er fair, sachgerecht und auf Augenhöhe erfolgt». Angesprochen auf das vermutete versteckte Sparpotenzial in verschiedenen AAGL-Rückstellungen antwortet de Courten: «Rückstellungen sind definitionsgemäss Verbindlichkeiten, die hinsichtlich ihres Bestehens oder der Höhe ungewiss sind, aber mit hinreichend grosser Wahrscheinlichkeit erwartet werden.» Ausserdem seien sie «betriebsnotwendig» und bildeten aus diesem Grund «kein Sparpotenzial».
Für Aussenstehende gibt der AAGL-Geschäftsbericht wenig Aufschluss über solche Aussagen. Der Grund: Der KMU-Betrieb Autobus AG hat eine Firmenstruktur wie ein Grosskonzern. Eine Holding beinhaltet zwei Tochtergesellschaften: Die AAGL öffentlicher Verkehr und die AAGL Dienstleistungen. Die AAGL ÖV, um die geht es, bezieht fast sämtliche Leistungen von ihrer Schwester, der AAGL. Dass der Öffentlichkeit verborgen bleibt, ob hier oder da Quersubventionierungen der verschiedenen Unternehmensbereiche vorkommen, hat die «bz» nachgewiesen.
Druckversuche auf die Regierung bestreitet de Courten. Allerdings räumt er ein: «Selbstverständlich suchten und suchen wir das Gespräch und den konstruktiven Dialog mit dem Kanton als Auftraggeber, der zuständigen Direktion und den entsprechenden Fachstellen.»
Die verheerendste Nebelpetarde
Das SVP-FDP-Netzwerk entfaltete zuletzt auch im Landrat Wirkung. Christoph Buser, FDP, Direktor der Wirtschaftskammer, liess seinen Sozius Christof Hiltmann nicht sitzen. Buser baut den Birsfeldner Gemeindepräsidenten schon länger zum kommenden Regierungsrat auf – er soll nach den Vorstellungen der Wirtschaftskammer den FDP-Sitz von Pegoraro erben, die vermutlich nicht mehr zur Wiederwahl antreten wird.
Buser kam seinen AAGL-Verbündeten zu Hilfe, indem er die bisher verheerendste Nebelpetarde des Gegenangriffs zündete: Er verlangte in einem Postulat, der Kanton müsse gleich sämtliche ÖV-Konzessionen neu ausschreiben, also auch jene der BLT. «Gefährliches Spiel mit dem Service public», sagt SP-Landrat Stefan Zemp dazu: «Am Ende kommt irgendein Grosskonzern aus dem Ausland, und was dann?»
Die Folgen derartiger Gross-Ausschreibungen sind Verkehrsexperten bekannt: jahrelange, enorm aufwendige Prozesse mit vielen Unsicherheiten, wie entsprechende Beispiele aus den Kantonen Bern oder Luzern zeigen.
Gewinner und Verlierer
Busers Postulat will die Regierung nach den Herbstferien beantworten.
Sie wird es kaum annehmen – zu gross wäre das Chaos. Aber der Filz hat allem Anschein nach die von der Regierung langfristig aufgegleiste Verkehrspolitik zum Erliegen gebracht. Die Eigentümerstrategien des Kantons: reine Papiertiger.
«Ich erwarte von der Regierung, dass dieses Ziel weiter verfolgt wird, solange es in der Eigentümerstrategie steht», sagt BLT-VR-Präsident André Dosé.
Dem steht nun einiges im Weg. Zwar sagt Regierungsrätin Sabine Pegoraro, es gelte noch immer der Beschluss der Regierung, die AAGL-Linien auszuschreiben. Und Regierungsrat Lauber sagt, der Gesamtregierungsrat habe «die Ausgangslage analysiert und wird das weitere Vorgehen zu einem späteren Zeitpunkt festlegen». Tatsächlich aber hat die Regierung einen Entscheid getroffen, ihn jedoch noch nicht kommuniziert.
Während der Kanton zu viel für ÖV-Leistungen ausgibt, fallen Leistungen weg, steigen die Kosten für den ÖV-Nutzer.
Nach Informationen der TagesWoche liess sich die Regierung vom Filz umgarnen. Sie hat zwar immer noch vor, eine Ausschreibung vorzunehmen. Aber frühestens im Jahr 2023 – unter fadenscheinigen Begründungen, etwa dem Auslaufen der eidgenössischen AAGL-Nacht-Konzession (Linien N28, N51, N52 und N23) im Dezember 2023. Selbst dann sei das Geschäft, eigentlich längst geplant, noch genau zu überprüfen.
Es ist die alte Baselbieter Geschichte: Der Filz gewinnt. Der Kanton, und mit ihm der Steuerzahler, verliert. Zwei Millionen Franken pro Jahr, mindestens. Und die Bürgerinnen und Bürger verlieren noch mehr: Während der Kanton zu viel für ÖV-Leistungen ausgibt, fallen Leistungen weg, steigen die Kosten für den ÖV-Nutzer.
Das zeigt etwa die Antwort der Regierung auf die Interpellation von Landrätin Sandra Strüby, SP, aus Buckten. Strüby wollte wissen, ob die Regierung «allenfalls die Rücknahme einzelner Leistungskürzungen» beim ÖV erwäge (Umfang: 0,9 Millionen Franken), die im Vorjahr beschlossen worden waren. Es winken ja plötzlich 2,1 Millionen mehr. Die Regierung antwortete Mitte September: «Eine Verknüpfung von Einsparungen beim Leistungseinkauf mit Einsparungen durch Sparmassnahmen gemäss Vorgabe des Landrates ist … heute nicht möglich.»