Gut zwei Jahre nachdem die Baselbieter Politik durchgeschüttelt wurde, rumort es wieder. Neue Fragen sind aufgetaucht, alte erweisen sich als nie geklärt. Es geht um das System Wirtschaftskammer, das die Politik im Kanton seit Jahrzehnten prägt. Es geht um ein Wechselspiel aus Geld, Macht und Gefälligkeiten. Um ein Amigo-Netzwerk, das eigentlich als zerschlagen galt.
Um zu verstehen, was heute passiert, muss man ins Jahr 2015 zurückblicken. Damals nutzten die zuvor stillen Kritiker der Wirtschaftskammer den Wahlkampf um National- und Ständerat zum Angriff. Eine Enthüllung löste die nächste ab. Die Brandmauern der Wirtschaftskammer stürzten ein und zum Vorschein kam ein ausgeklügeltes System aus politischen und finanziellen Abhängigkeiten.
Das übliche Muster dahinter: Oben schiesst der Kanton Geld ein und durch ein verästeltes Firmengeflecht tröpfelt es über Leistungsaufträge – etwa für Tourismusförderung und Schwarzarbeits-Kontrolle – in die Wirtschaftskammer. Das System am Laufen hielten bürgerliche Politiker, die von der Nähe zu den mächtigen Gewerbevertretern profitierten.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt bis heute wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung und Betrug.
Vor allem bei den Kontrollen gegen Schwarzarbeit auf Baselbieter Baustellen deckten lokale Medien Missstände auf. Diese Aufgabe hat der Kanton 2009 an zwei Organisationen namens Zentrale Arbeitsmarkt-Kontrolle (ZAK) und Zentrale Paritätische Kontrollstelle (ZPK) ausgelagert. Beide werden getragen von Wirtschaftskammer und Gewerkschaften, aber finanziert vom Staat. 380’000 Franken jährlich erhielt die ZAK von 2010 bis 2013, die ZPK gar 600’000 Franken. 2014 schenkte der klamme Landkanton nach und verdoppelte die Subventionen.
Das Besondere an der Organisation der Kontrollen: Personal und Infrastruktur bezogen ZAK und ZPK von einer Firma namens Arbeitsmarkt-Services AG (AMS), die zum Firmengeflecht der Wirtschaftskammer gehört. Die AMS stellte Leistungen in Rechnung, die ZAK – und damit letztlich Kanton und Bund – bezahlte.
Die Medienkampagne dazu zeigte Wirkung. FDP-Mann Christoph Buser, Direktor der Wirtschaftskammer, verpasste trotz grossem Mitteleinsatz den Einzug ins eidgenössische Parlament. Sein Ziehvater und Architekt des Systems, Hans Rudolf Gysin, wurde zum Rückzug aus seinen Ämtern gedrängt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt bis heute wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung und Betrug. Und das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco prüfte die Rückzahlung von Bundesgeldern für die Schwarzarbeits-Kontrolle.
Schnell einen Schlussstrich gezogen
Das Netzwerk hat seither erheblich Schaden genommen. Vor einem Jahr beerdigte das Baselbieter Stimmvolk das sogenannte «Energiepaket» des Kantons, bei dem die Wirtschaftskammer die Administration hätte übernehmen sollen. Eine fest eingeplante Geldquelle versiegte, bevor sie sprudelte.
Glaubt man nun Stimmen aus dem Inneren der Organisation, regeneriert sich das umstrittene Netzwerk derzeit aber wieder. Unter gütiger Mithilfe der Baselbieter Politik: Eine abschliessende Aufarbeitung der Skandale hat nie stattgefunden, die Regierung hat sich beeilt, einen Schlussstrich unter die Vorgänge bei den Organen ZAK und ZPK zu ziehen. Noch streitet man sich vor Gericht um Rückzahlungen der ZAK für das Jahr 2014, weil damals deutlich zu wenig kontrolliert wurde, doch der Rest ist abgehakt.
Der Kanton machte das mit Rückendeckung des Seco, das schweizweit den Kampf gegen Lohndumping und Schwarzarbeit überblickt und dafür die Kantone finanziell unterstützt. Das Seco hatte nach der Enthüllungswelle den Wirtschaftsprüfer KPMG damit beauftragt, die Betriebs- und Lohnkosten der ZAK unter die Lupe zu nehmen. Der Verdacht, der damals im Raum stand, lautete: Die ZAK habe höhere Löhne ausgewiesen als effektiv bezahlt wurden. Dies als Trick, um höhere Subventionen einzustecken.
Anschein von grober Misswirtschaft
Bei der KPMG nahm sich die auf Wirtschaftskriminalität spezialisierte Forensik-Abteilung der Sache an. Im Fokus der Untersuchung stand das aussergewöhnliche Konstrukt der Kontrollorganisationen: Sämtliches Personal sowie die Infrastruktur bezog die ZAK von der Firma AMS, die zum Geflecht der Wirtschaftskammer gehört. Was die Ermittler fanden, erweckt den Anschein von grober Misswirtschaft.
Doch das Seco schloss die Akte, als der Schlussbericht vorlag. Alle Ungereimtheiten wurden als «Mängel in der Buchführung» auf die Seite gelegt.
Der unter Verschluss gehaltene Bericht mit dem Codenamen «Projekt Tahan» liegt der TagesWoche (und anderen Medien) vor. Er offenbart eine Fülle an fragwürdigen Vorgängen, obwohl er oft nur an der Oberfläche kratzt.
Ungeklärter Erklärungsbedarf
Schon der Aufbau der Kontrollorganisationen wirft Fragen auf, denn für das Kader der Wirtschaftskammer war er äusserst lukrativ. Hans Rudolf Gysin beispielsweise, damals Direktor der Wirtschaftskammer, liess sich seine Dienste mit bis zu 400 Franken pro Stunde vergüten.
116’000 Franken kostete die Vereinsgründung, so viel wurde jedenfalls der ZAK dafür in Rechnung gestellt. Weder im Bundesgesetz noch in der Leistungsvereinbarung findet sich eine Grundlage, die das rechtfertigen würde. Das stellten die KPMG-Forensiker fest – verfolgten die Sache aber nicht weiter.
Was Gysin sich teuer vom Steuerzahler abgelten liess, war die Errichtung eines Systems, von dem die Wirtschaftskammer reichlich profitierte. So hat sich die ZAK etwa über Jahre via AMS in ein ganzes Stockwerk an der Grammetstrasse 16 in Liestal eingemietet, obwohl sie nur drei Arbeitsplätze benötigte. Erst 2014 bezahlte die ZAK, was sie effektiv nutzte. So sanken die Mietausgaben von 33’000 auf 13’000 Franken pro Jahr. Die KPMG nennt diese Vorgänge «erklärungsbedürftig». Sie lässt es aber dabei bewenden, statt Erklärungen einzufordern.
Fehlende Belege
Es zeigt sich, dass vor allem in den ersten drei Jahren Steuermittel, wenn auch nicht veruntreut, dann doch rechtlich nicht abgesichert eingesetzt wurden. So jedenfalls beurteilt das die KPMG.
2010 bis 2013 existierte kein Kostenschlüssel zur Umlage der Betriebskosten der AMS auf die ZAK. Man habe auf Erfahrungswerte zurückgegriffen, Schätzungen angestellt und Pauschalkosten in Rechnung gestellt, rechtfertigte sich die AMS. KPMG stellte fest, dass jede Logik fehlte und die Zahlungen nicht nachvollziehbar sind.
Für sämtliche Betriebskosten, welche die AMS der ZAK verrechnete, fehlen die Originalbelege, welche die Kosten plausibel gemacht hätten. Die KPMG entschied deshalb, acht Stichproben zu machen. Die Ergebnisse sind haarsträubend. Zu verrechneten «Weiterbildungskosten» fehlen Originalrechnungen, für weite Teile der Kosten finden sich überhaupt keine Belege.
Ein Beispiel: 5000 Franken kostete die Reinigung des AMS-Büros alleine im ersten Halbjahr 2013. Dafür zuständig war gemäss Daniel Joos, Finanzchef der Wirtschaftskammer, vermutlich die Putzfrau der Wirtschaftskammer. 68 Prozent der Kosten übernahm die ZAK, obwohl sie nur einen Bruchteil der Räume beanspruchte. Auch hier fehlen Rechnungen und die Plausibilisierung der Kosten.
Die Forensiker kapitulierten: «Wir stellen für sämtliche Buchungen der vorliegenden Stichproben fest, dass uns keine originalen Urbelege vorgelegt wurden, welche uns ermöglicht hätten, die Kosten auch auf Stufe AMS weiter zu validieren.»
Gewerkschaft im undurchsichtigen Dunstkreis
Auch für den Gewerkschaftsbund Baselland, er ist Partner auf Arbeitnehmerseite bei der ZAK, lohnte sich die neue Kontrollstelle. Dessen Emissär, SP-Mann Daniel Münger, hielt der Wirtschaftskammer bis zuletzt die Treue. Die Gewerkschaft erhielt alleine 2014 75’000 Franken für eine Anlaufstelle für Arbeitnehmer, dazu kamen 40’000 Franken für eine Hotline zur Meldung von Verdachtsfällen. Was das gebracht hat, weiss niemand.
Die KPMG hält fest, dass diese sogenannten Präventionsmassnahmen «nach unserem Verständnis des Bundesgesetzes gegen die Schwarzarbeit nicht explizit unter die Kontrolltätigkeit zur Bekämpfung von Schwarzarbeit fallen». Nachgehakt haben die Forensiker auch hier nicht.
Münger und Konsorten liessen es sich auf Kosten des Steuerzahlers jedenfalls gutgehen. Vor jedem Weihnachtsfest wurde teurer Wein eingekauft. Zwischen 2000 und 2800 Franken pro Jahr für weihnächtliche Weingeschenke an den Vorstand wendete die ZAK auf. Gesetzesgrundlage: Fehlanzeige.
Abenteuerlich sind die Lohnabrechnungen, wo für einen bei der AMS angestellten Kontrolleur 827 Arbeitsstunden geltend macht wurden, obwohl dieser in der Rekrutenschule weilte. Ein gekündigter Kontrolleur soll gemäss Buchführung noch 712 Stunden für die ZAK gearbeitet haben, als er längst freigestellt war.
Baustellenkontrollen im Winter
Noch nicht mal die Qualität der Kontrollen stimmte. So stellte die KPMG fest, dass die ZAK ungewöhnlich häufig im Winter Baustellen inspizierte – also dann, wenn die Bautätigkeit am geringsten ist. Die ZAK begründet das damit, dass präventive Arbeiten «keinen saisonalen Schwankungen unterstellt sind».
Die Kontrolleure wehrten sich von Beginn weg gegen die Kontrollen durch die KPMG. Die ZAK, so heisst es in einer Stellungnahme zum Bericht, «erachtet die nachträgliche Infragestellung einzelner Kostenpositionen und damit den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung durch die KPMG als nicht statthaft». Man sei frei gewesen, im Rahmen der Leistungsvereinbarung die Subventionen nach Gusto einzusetzen. Und tatsächlich hat der Kanton Basel-Landschaft bis zur Untersuchung durch die KPMG nie ein detailliertes Reporting erstellt.
Die Regierung setzt bei der Schwarzarbeitsbekämpfung weiterhin auf die Wirtschaftskammer.
Der Schlussbericht «Projekt Tahan» stellt dem Kanton ein vernichtendes Zeugnis aus, obwohl er oft in der Hälfte der Recherche stehenbleibt: Mit den Steuermitteln wurde munter jongliert, ohne dass es die Regierung auch nur am Rande interessierte.
Gleichwohl setzt die Regierung weiterhin auf die Wirtschaftskammer als Partner bei der Schwarzarbeitsbekämpfung. Die beschädigten Organe ZAK und ZPK wurden in eine neue Körperschaft überführt. Diese heisst Arbeitsmarktkontrolle für das Baugewerbe (AMKB) und liegt nach wie vor fest in den Händen der Gewerkschaften und der KMU-Familie. Der Revisor der neuen Organisation ist über eine Holding Mitglied der Wirtschaftskammer.
Die Regierung findet keine Antworten
Alles bleibt in der Familie, alles bleibt, wie es war. Das System Gysin, das System Wirtschaftskammer, sie scheinen unzerstörbar.
Vielleicht aber auch nicht. Die gut informierte SP-Landrätin Kathrin Schweizer hat im Parlament einen Fragenkatalog eingereicht zu Geldströmen, Verwicklungen der neuen Kontrollorganisation mit der Wirtschaftskammer, zu überschrittenen Budgets und gebrochenen Versprechen. Die gesetzliche Frist zur Beantwortung der Anfrage ist mittlerweile abgelaufen. In der Volkswirtschaftsdirektion von Thomas Weber (SVP) soll Nervosität herrschen, plausible Antworten lassen sich nicht so einfach finden.
Zumindest scheinen also die Zeiten, als die Baselbieter Regierung und die Wirtschaftskammer die Öffentlichkeit für dumm verkaufen konnten, vorbei zu sein.