Drahtseilakt für den FCB mit Netz und doppeltem Boden

Nach dem nationalen Fehlstart muss der FC Basel bei Paok Saloniki beweisen, ob er den internationalen Ansprüchen gewachsen ist.

Ein Gewitter biblischen Ausmasses ist am Montagnachmittag über Thessaloniki hinweg gefegt. Die brütende Hitze ist fürs Erste abgekühlt, und eine reinigende Wirkung hat der Natursturm vielleicht auch für den FC Basel. Einen kühlen Kopf wird es brauchen, um an diesem Dienstag die erste Qualifikationsaufgabe zu bestehen, und heiss wird die Atmosphäre im Toumba-Stadion ohnehin werden – ganz gleich, wie die Witterung sich entwickelt.

Es ist drei Tage nach dem ernüchternden Saisonstart mit der Last-Minute-Heimniederlage gegen St. Gallen eine weitere von etlichen Bewährungsproben, die dem Team von Raphael Wicky in den nächsten Tagen und Wochen bevorstehen. Wichtig für das Selbstvertrauen und für die Wahrnehmung der Mannschaft in der Öffentlichkeit. Bedeutsam für das Standing von Trainer und Sportdirektor und für das Seelenheil eines ganzen Klubs und den fussballinteressierten Teil seiner Stadt.

Eines ist diese Qualifikation nicht, wenn man Präsident Bernhard Burgener gedanklich folgen mag: Als zwar wichtig, aber keineswegs existenziell hat er in der Vorwoche das Erreichen der Champions League genannt. Es ist auch ein langer Weg dorthin. Drei K.-o.-Runden gilt es zu überstehen, sechs Spiele, die eingebettet sind in den Liga-Alltag bis Ende August.

Hinter der Ziellinie wartet nicht nur sportliches Renommee, sondern ein Jackpot, wie ihn Basel noch nicht gesehen hat. Aufgrund der reformierten Geldverteilung striche der FCB über 37 Millionen Franken ein, noch bevor in der Gruppenphase der erste Ball gespielt wäre.

Eine Frage des Selbstvertrauens

Eine gewisse Gelassenheit, was das Finanzielle und Wirtschaftliche betrifft, können sich die Basler erlauben, weil die Transfereinnahmen 2018 bereits weit jenseits der 50-Millionen-Franken-Grenze liegen. Am Ende des Jahres wird so oder so ein Plus resultieren.

Mindestens Europa League, wo es zwar weit weniger, aber doch auch ein paar Millionen zu verdienen gibt, will der FCB spielen. Und dafür hat die Uefa Netz und doppelten Boden eingebaut. Heisst: Scheidet der FCB gegen Paok aus, macht er in der Ausscheidung zur Europa League weiter (dann gegen Viitorul oder Vitesse Arnheim). Kommt er in der Champions League eine Runde weiter (dann gegen Spartak Moskau), hat er wiederum die Gruppenphase der Europa League bereits auf sicher.

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Auf der Anreise nach Griechenland am frühen Montagmorgen hat Marco Streller erst einmal aus freien Stücken darauf hingewiesen, dass der FCB seit er als Sportdirektor firmiert, zum dritten Mal das Startspiel einer Halbserie verloren hat. «Das gibt nicht gerade unheimliches Selbstvertrauen. Da kommt man nicht mit der ganz breiten Brust nach Thessaloniki.»

Der fünfte Anlauf für Paok

Kommt hinzu, dass Basel auf einen Gastgeber trifft, der sich grosse Chancen ausrechnet, zumindest die erste Runde zu überstehen – und das gegen einen im internationalen Ranking weit höher eingestuften Gegner. Die jüngsten Ergebnisse des FCB und die Verluste von Leistungsträgern werden in der zweitgrössten Stadt Griechenlands als Gunst der Stunde begriffen.

Die Chronik zeigt, dass Paok schon ein paar Mal dicht dran war. Vier Anläufe zur Champions League hat Paok genommen und jedes Mal ist er zum Teil sehr knapp gescheitert. Zweimal (2010 und 2016) reichte es gegen Ajax Amsterdam trotz 1:1-Auswärtsremis nicht, gegen Schalke 04 (2013) widerfuhr den Griechen das gleiche Schicksal und auch gegen Maccabi Tel Aviv (2004) zogen sie den Kürzeren.

Es scheint, die Basler spüren die Entschlossenheit der Griechen. Wicky hat Respekt vor Paok, der vergangene Saison Zweiter in der Liga und Cupsieger wurde, der sich gerade für über zwei Millionen Euro den brasilianischen Flügelflitzer Leo Jaba und damit den teuersten Transfer der Klubgeschichte geleistet hat, und der auf die frenetische Unterstützung seiner Fans im mit 27’000 Zuschauern nahezu ausverkauften Toumba rechnen kann.

40 gegen 27’000

Da wird der FCB mit 40 Fans, die ein Ticket für den Gästesektor nachgefragt haben, ziemlich auf sich alleine gestellt sein. «Schade», findet Valentin Stocker den Boykott der Muttenzerkurve, die sich nicht der geforderten Personalisierung beim Ticketkauf unterwerfen wollte. «Ich hoffe dann auf umso mehr Unterstützung in einer Woche beim Rückspiel», so Stocker.

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Der Trainer sieht das ähnlich: «Wir werden alles tun, damit unsere Fans sich beim Heimspiel reinbeissen können.» Davor muss der FCB zeigen, ob er der Aufgabe gewachsen ist gegen einen Gegner, den Wicky als sehr erfahren und sehr gut organisiert bezeichnet sowie bis dato im Kern unverändert zur Vorsaison. Ausserdem ahnt Wicky: «Es wird bei jeder Halbchance sehr laut werden im Stadion. Aber wir kennen den Gegner sehr genau. Wir sind gut vorbereitet.»

«… diese Spiele musst du dann halt gewinnen»

Ins gleiche Horn stösst sein Sportdirektor: «Wir wissen, was uns erwartet. Es wird sehr heiss sein und das Stadion ein Hexenkessel. Als Spieler habe ich mich auf solche Spiele gefreut.» Wie wenig über Wohl und Weh entscheiden kann, das hat Streller erst kürzlich gemeinsam mit Ex-Präsident Bernhard Heusler rekapituliert, der wie er selbst Teil der jüngeren Basler Erfolgsgeschichte war: «Wir haben uns daran erinnert, wie viele kritische Situationen es damals gab, als ein Spiel über den weiteren Fortgang des Vereins entschieden hat – aber diese Spiele musst du dann halt auch gewinnen.»

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Auch dieses Mal hängt einiges ab von der Art und Weise des Auftritts, vom Resultat. Selbst die griechischen Journalisten interessierten sich am Vorabend des Spiels dafür, wie kritisch Wicky seine Zukunft als FCB-Trainer beurteilt. «Ich bin ein positiv denkender Mensch, ich will keine Energie mit negativen Überlegungen verschwenden», entgegnete Wicky. «Es geht nicht um mich.»

«Wir gehen mit gemischten Gefühlen in die Partie», räumt Streller ein, «aber man muss auch positiv bleiben. Es ist nicht so, dass wir total verunsichert sind. Wir haben Spieler, die schon Champions League gespielt haben, die wissen, worum es geht.»

Petretta für Widmer – die naheliegende Option

Wenn dann Raphael Wicky über Nacht das Besetzungsproblem auf der rechten Abwehrseite nach Silvan Widmers krankheitsbedingtem Ausfall löst und wenn er am Dienstag wieder zum Champions-League-Wicky der vergangenen Saison wird, dann kann eine Gegenbewegung in Gang kommen zur Skepsis, die sich bereits wieder rund um den FC Basel verbreitet hat.

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