Führungsspieler und Mittelmass: Die 21 Schweizer in der Bundesliga

Fünf Captains, vier Torhüter, mehrere Führungsspieler und viel stabile Mittelklasse: Unser Autor schätzt die Schweizer in der Bundesliga ein und vermutet, dass bald noch mehr Schweizer in Deutschland spielen könnten.

VFL Wolfsburg team captain and goalkeeper Diego Benaglio holds up the German soccer Cup tropy DFB Pokal as he is flanked by manager Klaus Allofs (L) and VFL Wolfsburg CEO Francisco Javier Garcia Sanz in Wolfsburg, Germany May 31, 2015. VfL Wolfsburg scored three times in 16 minutes to come back from a goal down to beat Borussia Dortmund 3-1 on Saturday and land their first German Cup final win, a fitting coronation after a hugely successful season. REUTERS/Hannibal Hanschke DFB RULES PROHIBIT USE IN MMS SERVICES VIA HANDHELD DEVICES UNTIL TWO HOURS AFTER A MATCH AND ANY USAGE ON INTERNET OR ONLINE MEDIA SIMULATING VIDEO FOOTAGE DURING THE MATCH

(Bild: Reuters/HANNIBAL HANSCHKE)

Fünf Captains, vier Torhüter, mehrere Führungsspieler und viel stabile Mittelklasse: Unser Autor schätzt die Schweizer in der Bundesliga ein und vermutet, dass bald noch mehr Schweizer in Deutschland spielen könnten.

Die Schweizer Spieler in der Fussball-Bundesliga geben den Deutschen Rätsel auf. Zumindest im ARD-«Morgenmagazin», wo die Moderatoren in einem Weihnachtsquiz aus drei unwahrscheinlich anmutenden Feststellungen die eine richtige Aussage herausfiltern sollten. Sicher waren sie sich von vornherein nur, dass die Schweizer nie und nimmer, wie in der Sendung behauptet, den höchsten Ausländeranteil in der höchsten deutschen Fussballspielklasse stellen.

Falsch! Und so staunten sie im Kölner Studio dann doch sehr, als sie erfuhren, dass 21 Spieler aus dem kleinen Nachbarland in der grossen Bundesliga beschäftigt seien. Da kommen nicht einmal die Kollegen aus Brasilien, dem Land des fünfmaligen Weltmeisters, mit, die den deutschen Spitzenfussball mit 20 Profis bereichern.

Dabei ist es eigentlich gar kein unlösbares Rätsel, warum die Schweizer in der Bundesliga so begehrt sind. Max Eberl, der Sportdirektor von Borussia Mönchengladbach, spricht aus Erfahrung, wenn er hervorhebt:

«Das sind Spieler, die sich schnell integrieren lassen, die die Sprache kennen, die Mentalität kennen, den Charakter haben, fussballerische Qualität besitzen und bezahlbar sind. Das Gesamtpaket macht sie so interessant.»

Die Gladbacher, ein Spitzenklub der Bundesliga, sind mit ihren Schweizern auch in dieser Saison sehr gut gefahren, obwohl sich ihr über Jahre höchst erfolgreicher helvetischer Trainer Lucien Favre nach einer unerwarteten Serie von fünf Niederlagen zum Saisonstart Knall auf Fall von den Rheinländern verabschiedete.

Zurück blieben vier seiner Landsleute, von denen Granit Xhaka als zentraler Lenker des Spiels unter Favres Nachfolger André Schubert zum Captain aufstieg. Am Sonntag, dem letzten Spieltag der Hinrunde, wurde er im Duell mit Aufsteiger Darmstadt 98 (3:2) vorzeitig in die Winterpause geschickt – per rote Karte nach einer Tätlichkeit gegen Niemeyer.

Ein Makel, der die hervorragende sportliche Bilanz des immer noch zu Unbeherrschtheiten neigenden Baslers eintrübte. Eine rote, zwei gelb-rote und vier gelbe Karten im ersten Teil der Bundesligasaison, das ist die Hypothek, die auf dem Anführer der Borussia lastet.



Moenchengladbach's Granit Xhaka, center, shouts at Darmstadt's Peter Niemeyer, bottom, after a foul during the German Bundesliga soccer match between Borussia Moenchengladbach and SV Darmstadt 98 in Moenchengladbach, Germany, Sunday, Dec. 20, 2015. Xhaka received the red card by referee Benjamin Brand, left, after that scene. (AP Photo/Martin Meissner)

Ein Führungsspieler, der noch geführt werden muss: Granit Xhaka (Mitte) leistet sich immer noch einige Aussetzer. (Bild: Keystone/MARTIN MEISSNER)

Xhaka hatte an der erst vor kurzem gerissenen wochenlangen Siegesserie der Gladbacher einen ähnlich grossen Anteil wie sein Landsmann Yann Sommer, der zu den besten Bundesliga-Torhütern gehört. Positiv fiel bei der «Elf vom Niederrhein» bei seinen wenigen Einsätzen auch das erst 18 Jahre alte Zürcher Abwehrtalent Nico Elvedi auf.

Einzig der vierte Schweizer im Bunde, Angreifer Josip Drmic, für zehn Millionen Euro vom Klassenkonkurrenten Bayer 04 Leverkusen losgeeist, konnte die hohen Erwartungen in der Hinrunde nicht erfüllen. Wie fast alle schweizerischen Offensivstars, die in der Bundesliga ihr Glück versucht haben, tut er sich nach einer starken Saison beim damaligen Erstligaverein 1. FC Nürnberg (2013/14) schwer, seinen Platz in der Stürmer-Hierarchie der Bundesliga zu finden.

In der Abteilung Attacke bleibt unter den Schweizern, die in Deutschland aufblühten, nach wie vor Stéphane Chapuisat unerreicht, der in seinen grossen Jahren bei Borussia Dortmund (1991 bis 1999) zwei Meisterschaften (1995/1996) und den Champions-League-Triumph 1997 feierte und in 228 Bundesligaspielen 106 Treffer erzielte, die drittmeisten unter allen ausländischen Profis, die in der Bundesliga eine neue Heimat fanden.



Augsburg's goalkeeper Marwin Hitz instructs his team during the German soccer cup (DFB Pokal) match between FC Augsburg and Borussia Dortmund at the WWK Arena stadium in Augsburg, Germany, Wednesday, Dec. 16, 2015. (AP Photo/Matthias Schrader)

Marwin Hitz dirigiert die Defensive des FC Augsburg. (Bild: Keystone/MATTHIAS SCHRADER)

Das Gros der Schweizer Profis, die derzeit zum Inventar der Bundesliga gehören, glänzt mit soliden Tugenden. Defensive Mittelfeldspieler und Abwehrgrössen erfüllen damit ihre Aufgaben. Und die vier erstklassigen Stammtorhüter Diego Benaglio (VfL Wolfsburg), Sommer, Marwin Hitz (FC Augsburg) und mit Abstrichen Roman Bürki (Dortmund ) haben ebenso verlässliche Ballfängerkünste in ihrem reichhaltigen Repertoire.

Freundlich, hilfsbereit und höflich

Dazu kommen schweizerische Führungsqualitäten, die sich darin offenbaren, dass gleich fünf Eidgenossen ihren Teams als Captain vorangehen: Johan Djourou (Hamburger SV), Pirmin Schwegler (TSG 1899 Hoffenheim), Fabian Lustenberger (Hertha BSC), Benaglio und der leider manchmal zu heissblütige Xhaka. Wenn fast ein Drittel aller Captains der Bundesliga Schweizer sind, ist das ein Ausweis sowohl für deren sportliche als auch menschliche Qualität.

Was so gut wie alle Schweizer auszeichnet, die im deutschen Fussball auch ihr Land repräsentieren, sind Primärtugenden wie Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Höflichkeit, die Gabe, zuhören zu können und die Fähigkeit, die Interessen einer Gruppe mit Charme, Intelligenz und Durchsetzungsvermögen zu vertreten. 

Diego Benaglio, der langjährige Stammgoalie der Schweizer Nationalmannschaft, ist seit dreieinhalb Jahren Captain beim VfL Wolfsburg und vertritt den Bundesliga-Topklub national wie international vorbildlich mit seiner Ruhe, Erfahrung und Persönlichkeit. «Ein starker Keeper, eine starke Führungsfigur», sagt Trainer Dieter Hecking über den 32 Jahre alten Zürcher, der schon seit 2008 die Nummer eins beim niedersächsischen Konzernklub ist.

Diego Benaglio steht beim Vfl Wolfsburg als Captain im Mittelpunkt. Das wird auch bei der Weihnachtsaktion deutlich.

So überzeugend wie Benaglio, der auch einen italienischen Pass besitzt, trat Djourou in dieser vergleichsweise sorgenfreien Saison beim Hamburger SV auf. Dessen Abwehr war er auch im Abstiegskampf der vorigen Spielzeit oft genug eine Stütze. Der 28 Jahre alte Verteidiger mit ivorischen Wurzeln, gereift in der Premier League beim FC Arsenal, erzielte in den 15 Bundesliga-Einsätzen dieser Saison zwei Tore und hielt in seinem engsten Arbeitsumfeld den Laden dicht.

Granit Xhaka, ein Secondo kosovarischer Herkunft, ist erst 23 und doch längst so weit, sportliche Führungsaufträge verantwortungsbewusst zu übernehmen. Der Gladbacher Stratege, nicht nur in Ottmar Hitzfelds Betrachtung «von hoher internationaler Klasse», ist unter allen Schweizer Bundesliga-Aufsteigern dieser Saison der auffälligste. Manche in Deutschland erinnert er mit seiner gewaltigen Schusskraft schon an den jungen Michael Ballack. Lenkt er in Zukunft seine Leidenschaft im Spiel noch zuverlässiger in die richtigen Bahnen, steht einer womöglich grossen Karriere wenig im Weg.

Schweizer Spieler als stabile Mittelklasse

Xhaka verkörpert jetzt schon das Herz des Gladbacher Spiels und ist zu einem international begehrten Profi aufgestiegen, an dem der FC Arsenal und der FC Bayern München schon Interesse gezeigt haben sollen. Sein Vertrag mit der Borussia, wo sich der Basler wohl fühlt, läuft indes bis 2019 und soll ab 2017 eine Ausstiegsklausel in Höhe von 30 Millionen Euro enthalten.

Gleich alt wie Xhaka ist Ricardo Rodriguez, der seit 2012 beim VfL Wolfsburg mit seiner Eleganz am Ball und seiner Kunstfertigkeit bei Standardsituationen glänzt. Rodriguez besitzt von allen Schweizer Bundesliga-Stammkräften neben Xhaka den höchsten Marktwert, hat sich aber wie sein Kollege bis 2019 an seinen Klub gebunden, der national wie international hohe Ziele verfolgt. In dieser Spielzeit glänzte Rodriguez, dessen Bruder Francisco erst auf einen Kurzeinsatz beim VfL kam, auch aufgrund von Verletzungen noch nicht so wie im vorigen Spieljahr.

Die meisten der in der Bundesliga sesshaft gewordenen Schweizer Spieler verkörpern so etwas wie die gehobene Mittelklasse. Sie sind allzeit bereit, ihre Aufgaben und Aufträge verlässlich zu erfüllen, und stets dazu in der Lage, mannschaftsdienlich am grossen Ganzen zu arbeiten. Kapitäne wie Schwegler und Lustenberger, auch der Wolfsburger Innenverteidiger Timm Klose, der Bremer Aussenbahnspieler Ulisses Garcia und der vielseitige Leverkusener Offensivspieler Admir Mehmedi stehen sinnbildlich für diese Tugenden.



epa05076730 Mainz coach Martin Schmidt waves before the German Bundesliga football match between Hertha BSC and FSV Mainz 05 at the Olympiastadion in Berlin, Germany, 20 December 2015. ....(EMBARGO CONDITIONS - ATTENTION: Due to the accreditation guidelines, the DFL only permits the publication and utilisation of up to 15 pictures per match on the internet and in online media during the match.) EPA/Lukas Schulze

«Landsmann-Nachzug» in Mainz: Trainer Martin Schmidt hat auf diese Saison hin Fabian Frei vom FC Basel verpflichtet. (Bild: Keystone/LUKAS SCHULZE)

Es gibt aber auch Schweizer Profis, die die eigenen Erwartungen und die an sie gerichteten Ansprüche noch nicht wunschgemäss einlösen konnten. Dazu gehören etwa Drmic, der Hoffenheimer Steven Zuber, sein im Sommer vom FC Basel verpflichteter Mannschaftskamerad und Innenverteidiger Fabian Schär, Valentin Stocker in Berlin oder der wegen einer langwierigen Verletzung (Sehnenteilriss im Oberschenkel) schon seit Monaten aussetzende Mainzer Neuzugang Fabian Frei.

Letzteren hat der Schweizer Trainer des 1. FSV Mainz 05, Martin Schmidt, als «Königstransfer» bezeichnet, als der Nationalspieler vom FC Basel zu den Rheinhessen wechselte. Auch ohne Frei spielten die Mainzer eine gute Hinrunde. Mit ihm soll es nach der Winterpause noch besser werden.

Das hofft der allzeit angriffslustige Schmidt, der in Frei den Spieler zu finden glaubt, der bei den Mainzern demnächst eine zentrale Mittelfeldrolle übernehmen könnte. Gut möglich, dass Frei die Phalanx der schweizerischen Bundesliga-Paradeprofis schon bald bereichert.

Dass künftig noch mehr Schweizer die Bundesliga beleben, erscheint angesichts der verlässlich guten Erfahrungen mit ihnen ziemlich wahrscheinlich. Ein erfreulicher Tatbestand, der in Zukunft auch den Fernsehmoderatoren des ARD-«Morgenmagazins» keine Rätsel mehr aufgeben dürfte.

Tabelle der Bundesliga nach der Vorrunde 2015/16.

Tabelle der Bundesliga nach der Vorrunde 2015/16. (Bild: Screenshot www.bundesliga.de)

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