Neun Jahre alt war Yann Sommer, als er zum ersten Mal diese betörende Magie spürte, die eine Fussball-WM in ihren besten Momenten entwickeln kann. Der junge Basler war mit seinen Eltern im Urlaub in der Provence, wo die Familie ein Ferienhaus besass, es waren jene denkwürdigen Sommerwochen, die ganz Frankreich glücklich machten.
Die berühmte Équipe Tricolore um Zinédine Zidane spielte bei der Weltmeisterschaft vor eigenem Publikum und gewann am Ende den Titel. «Das ist eine grosse Erinnerung, es war für mich ein tolles Erlebnis», erzählt Sommer, der die kindliche Begeisterung von damals immer noch fühlen kann.
Bilder tauchen auf, von Gemüsehändlern, «die ihr Obst weggeräumt haben, um Trikots zu verkaufen», die emotionale Wucht dieser Tage haben ihn «tief beeindruckt». Und sie hat einen Traum reifen lassen: «Ich dachte, okay: Das möchte ich auch einmal erleben mit meinem Land», erzählt der 29-Jährige.
Die Mannschaft dankt ihrem Goalie
Natürlich lässt sich diese Geschichte vom französischen WM-Triumph nur schwer auf die kleine Schweiz übertragen, deren Nationalmannschaft am Dienstag in St. Petersburg (16 Uhr) gegen die zähen Schweden um den Einzug in den WM-Viertelfinal spielt.
Ziemlich nah ist der ehemalige Goalie des FC Basel seinem Kindheitstraum aber schon gekommen. Er erlebt das Weltturnier zwar nicht in seinem Land, aber als Spieler für sein Land. Und nach den drei Gruppenspielen sind viele Experten der Ansicht, dass er bei seinen ersten WM-Einsätzen aus der Gruppe der Schweizer herausragte.
«Wir haben zu viele Chancen zugelassen, wir können uns bei Yann bedanken», sagt Blerim Dzemaili nach dem 2:2 gegen Costa Rica. Laurent Prince, der technische Direktor des Schweizerischen Fussballverbandes, braucht nur ein Wort, um Sommers Leistungen zu beschreiben: «Weltklasse!»
Angeblich soll der FC Liverpool, dessen Torwartproblem spätestens im Champions-League-Finale erkennbar wurde, eine Verpflichtung des 38-fachen Nationalspielers in Erwägung ziehen, der auf der Höhe seines Schaffens angelangt ist. Und der bei diesem Turnier der abstürzenden Favoriten eine einmalige Chance für seine Schweizer wittert. «Ich spüre eine riesige Freude», sagt Sommer mit Blick auf das Achtelfinal gegen die Schweden, denn die Mannschaft von Trainer Vladimir Petkovic sei in den vergangenen Jahren deutlich gereift.
Als Beispiel für diese Entwicklung führt Sommer gerne die engen WM-Playoff-Duelle mit Nordirland an, als die Mannschaft in Belfast auf einem katastrophalen Platz ein 0:0 über die Zeit rettete und nach dem 1:0 im Hinspiel für Russland qualifiziert war. «Da hat man gesehen, dass wir vorangekommen sind», sagt Sommer.
Die speziellen Methoden des Goalie-Trainers Patrick Foletti
Diese Argumentation ist auch deshalb relevant, weil die Schweizer im Achtelfinal der WM 2014 an Argentinien scheiterten und zwei Jahre später bei der EM in der gleichen Runde an Polen. Die gewonnenen K.o.-Spiele in der Qualifikation taugen nun als Indiz dafür, dass die Mannschaft auch in solchen Partien überleben kann. Und Sommer verkörpert die erlangte Reife wie kaum ein anderer im Team, zumal der erfahrene Kapitän Stefan Lichtsteiner – wie auch Innenverteidiger Fabian Schär – gesperrt sein werden.
Sommer strahle «Selbstvertrauen und Sicherheit» aus und gebe damit auch den Mitspielern ein «Gefühl der Ruhe», sagt der Schweizer Torwarttrainer Patrick Foletti gegenüber der «Aargauer Zeitung». Er gilt als Mastermind hinter dem Schweizer Torwartboom.
Neben Sommer stammen nämlich mit Dortmunds Roman Bürki, dem Augsburger Marvin Hitz und dem ehemaligen Wolfsburger Diego Benaglio diverse andere Spitzenkeeper aus der kleinen Alpennation. Sie alle wurden mit Folettis besonderen Trainingsmethoden geschult. Mit einer speziellen Brille zum Beispiel, die das Sehen für Sekundenbruchteile verhindert, um eine schnellere Berechnung der Flugbahnen des Balls zu üben.
Sommers grosse Stärke bleibe aber seine Wirkung auf das Spiel der eigenen Mannschaft, sagt Foletti. Er lobt Sommers «einwandfreies taktisches Verhalten im defensiven und im offensiven Bereich und die mentale Verfassung, seine Coolness, mit dem Druck und den Emotionen während eines Spiels umzugehen». Das seien die Gründe, dass der Gladbacher und nicht Bürki das Tor der Schweizer hüte.
Nun soll Yann Sommer mit seinen Fähigkeiten dazu beitragen, dass die kleine Fussballnation Schweiz erstmals seit dem Heimturnier vor 64 Jahren in einen WM-Viertelfinal vorstösst.