«Das RAV sagt, ich soll jedes Gramm Vitamin B nutzen. Aber ich bin 60! Ich habe keine Chance»

Wie lebt man als Arme im reichen Basel? Die Stylistin Helene Traber erzählt.

Eigentlich will sie gar nicht. «Können wir ein andermal reden? Nächstes Jahr vielleicht? Ich gehe jetzt», sagt Helene Traber*, spreizt ihren perfekt manikürten kleinen Finger ab und nimmt einen Schluck Tee. «Das bringt ja doch nichts.» Der Raum ist gut geheizt, draussen ist ein kalter Basler Dezemberabend. Der Tee dampft. Helene Traber bleibt sitzen, obwohl sie eigentlich gehen will. Kerzengerader Rücken, das lange Haar streng nach hinten gebunden.

Schon lange kennt sie das Gefühl, in ­Situationen zu kommen, in die sie nicht geraten wollte. Und aus denen sie trotz ­aller Anstrengungen nicht wieder herauskommt. Wo alles Reden, ganz besonders das Reden, nichts bringt. Aber Helene Traber redet jetzt trotzdem. «Januar und Februar werden kritisch, sehr kritisch», sagt sie. Sie stellt die Tasse auf den Tisch. «Seit zwei Jahren geht es nicht mehr. Und Ende Dezember ist Schluss.»

«Ich will schaffen, aber ich bekomme keine Arbeit.»

Schluss? Helene Traber erzählt. Knappe Sätze zwischen kurzen Schlucken und längerem Schweigen. Die Hochzeit. Der Sohn. Die Scheidung nach 30 Jahren Ehe. Der Umzug. Die kleine Wohnung in Basel. Arbeit. Geld. Verzweiflung. Wut. «Am ­Anfang hatte ich etwas Geld von der Scheidung. Vor zehn Jahren habe ich wieder angefangen zu arbeiten.» Acht Jahre lang ging das so. «Ich verdiente im Schnitt 3500 Franken im Monat», sagt die Stylistin. «Es war nicht viel, aber es reichte. Keine Schulden, kein Luxus. Alles bezahlt: Wohnung, Krankenkasse, Versicherung», sagt sie. «Aber das war einmal.»

Über die Jahre gingen mehrere Firmen konkurs, für die sie arbeitete. Arbeitslosigkeit. «Das RAV hat mich unterstützt. Der letzte Termin ist Ende Dezember. Dann ist das Sozialamt dran», sagt sie leise. Und dann laut: «Ich will schaffen, aber ich ­bekomme keine Arbeit.» Sie schüttelt den Kopf. «Der junge Mann vom RAV sagte mir, ich solle nicht verzagen. Ich würde es gut machen. Aber beim RAV haben sie mir auch schon gesagt, ich soll jedes Gramm Vitamin B nutzen, sonst hätte ich keine Chance.» Die Teetasse ist fast leer. «Ich bin 60 Jahre alt. Ich habe keine Chance», sagt Helene Traber.

Irgendwann drehen die Leute durch

Auch Freunde und Bekannte helfen nicht weiter. «Sie äussern Bedauern. Sie fragen, ob ich denn Unterstützung erhalte», sagt sie. «Es ist sehr belastend. Man kann es niemandem erklären, was mit einem passiert. Und niemand will es hören. Wenn es geht, rede ich mit niemandem darüber.»

«An Weihnachten kommt mein Sohn. Geschenke liegen nicht drin. Ich backe Guetzli.»

«Das Essen kommt zuletzt», sagt sie. Vorher müsse sie alles andere bezahlen. Der Rest sei für ihre Ernährung. «Das will doch niemand hören. Menschen mit vollem Bauch interessiert das nicht.» Und ihr Sohn? Sie ist stolz auf ihn. Er hat studiert. «An Weihnachten kommt er zu mir. Aber Geschenke gibt es nicht. Er weiss das, wir haben es besprochen. Geschenke liegen nicht drin. Ich werde Guetzli backen», sagt sie. «Wenn das RAV und das Sozialamt so weitermachen mit dem Druck, dann drehen die Leute irgendwann durch», sagt Traber plötzlich wie nebenbei. «Die nehmen nicht auf mich Rücksicht. Alle im gleichen Topf, die Anständigen und die Unanständigen», sagt sie.

«Als wäre ich eine Verbrecherin»

«Ich hatte jetzt meine ersten Abklärungen beim Sozialamt. Es ist ein Riesendruck. Die wollen alles sehen, alle Unter­lagen, es ist, als wäre ich eine Verbrecherin», sagt sie. «Keine Privatsphäre mehr, keine Freiheit. Sie nehmen mir alles», sagt Traber, das Kinn trotzig erhoben.

Leise sagt sie dann: «Ein halbes Jahr lang werden sie meine volle Miete bezahlen. Danach weniger, haben sie gesagt.» Ihre Wohnung, die sie gleich nach der Scheidung gefunden hat, kostet 1100 Franken im Monat. Sie ist ihr Ein und Alles. Wie wird es ihr für die Wohnungsmiete reichen, wenn die Unterstützung gekürzt wird? «Sie müssen mich totschlagen, ­anders ziehe ich nicht aus.»

*Name geändert

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