«Nicht visionär» – ein Zürcher Stadtforscher über die Dreispitz-Leuchttürme

CMS und Migros haben ihre Pläne für die Nordspitze des Dreispitz-Areals veröffentlicht. Der Stadtsoziologe Philipp Klaus hätte da ein paar Verbesserungsvorschläge.

Leuchtturmvergleich: Wer hat den Längsten? (Bild: Illustration: Nils Fisch)

Die TagesWoche schrieb zu den geplanten Hochhäusern auf dem Dreispitz: «Dieses Städtebauprojekt von Herzog & de Meuron schlägt so ziemlich alles, was es in Basel an innovativem Städtebau bereits gibt.» Und auch die Wettbewerbsjury, welche das Projekt aus sechs eingereichten Vorschlägen zum Sieger auserkoren hatte, sprach von einem «visionären Projekt». Anders tönt es aus Zürich. Der Stadtsoziologe Philipp Klaus ist Inhaber des Inura Zürich Institut. Er sieht im Projekt von Herzog & de Meuron «nichts Visionäres».

«Es ist wuchtig, das ist klar», sagt er. Doch es handle sich hier um «Leuchtturmarchitektur», in diesem Fall nicht mit einem Kongresszentrum oder Opernhaus, sondern mit Wohntürmen. Das komme aus einem Standortwettbewerbs-Denken zwischen den Städten heraus, die Frage laute: «Wer hat den Höchsten?»

https://tageswoche.ch/allgemein/entwicklungsgebiet-mit-runden-leuchttuermen-ecken-und-kanten/

So plant Zürich auf dem Hardturm-Areal aktuell fast gleich hohe Türme: Sie sollen 137 Meter in den Himmel ragen, die auf dem Dreispitz-Areal zweimal 135 und einmal 160 Meter. Der Wettbewerb zwischen Zürich und Basel dauert schon eine Weile; als Roche im Jahr 2015 ihren neuen, ebenfalls von HdM entworfenen 178-Meter-Turm einweihte, titelte die NZZ: «Roche-Turm überragt Prime-Tower.»

Der Effekt nutzt sich langsam allerdings etwas ab. Hochhäuser seien nichts Besonderes mehr. Sie zu bauen «ist in Mode», sagt der Zürcher Stadtsoziologe. Ebenso wie die geplanten Fassaden mit viel Glas und Beton und Viereckstrukturen, die ebenfalls nicht als visionär zu bezeichnen seien. Er gibt zu bedenken: «Die Architektur hat eine Auswirkung auf die Stimmung der Menschen.»

Wenn «urbane Quartiere» tötelen

Die Menschen sollen es auf dem Dreispitz gut haben. Besitzerin des Bodens ist die Christoph Merian Stiftung (CMS), Baurechtsnehmerin die Migros. Ziel ist gemäss Jurybericht, dass auf dem Dreispitz-Areal ein lebendiges, urbanes Quartier mit «spezifischer Identität» entsteht.

Plan und Realität sind allerdings nicht immer dasselbe. Das zeigen etwa die Erfahrungen auf dem Erlenmatt-Areal. Auch dort war ein lebendiges Quartier geplant. Doch lange Zeit tötelte es vor sich hin, bis sich die Stiftung Habitat erbarmte, den Ostteil des Areals kaufte und jetzt versucht, ihm mittels Genossenschaften und Mitwirkung der Bewohnerinnen und Bewohner, Leben einzuhauchen.

Ein anderes Beispiel: der Messeplatz. Im Vorfeld der Abstimmung um den Messeneubau, ebenfalls entworfen von Herzog & de Meuron, hiess es, der Platz werde mit dem Neubau belebter und attraktiver. Stattdessen herrscht gähnende Leere, wenn nicht gerade Messe ist.

Pärke und Fussgänger sind ein guter Ansatz

Am Dreispitz soll das anders werden. Zwei Pärke, Gastrobetriebe und Läden sollen das Quartier beleben. Diese Strategie hat sich in der Stadtentwicklung bewährt. «Das könnte funktionieren», sagt denn auch Philipp Klaus: «Allein die Masse an Leuten sorgt für Leben.» 1400 Bewohnerinnen und Bewohner sollen dort dereinst wohnen, dazu sollen 1400 Arbeitsplätze kommen. Auch die Strategie, bei den Parkplätzen zu sparen, belebe. «Dann gehen die Leute zu Fuss durchs Quartier, statt in der Tiefgarage zu verschwinden.»

Die Frage sei allerdings, welche Läden und öffentlichen Einrichtungen neben der grossen Migros aufs Gelände kommen, sagt Klaus: «Es braucht Restaurants, die gemütlich sind und in denen die Leute sich wohlfühlen. Wenn die Restaurants zu kühl oder teuer sind, kommt niemand.» Klaus zieht den Vergleich zu Zürich. Im neuen Quartier Zürich West sieht er solche «kühlen» Betriebe. «Am Abend ist ein Teil des Quartiers wie ausgestorben.»

Dasselbe beim Walliseller Richti-Areal: Die Stadtplaner hatten grosse Hoffnungen, weil das Areal nahe beim Bahnhof liegt und Platz für Erdgeschossläden hätte. Doch das städtische Leben, das man dort wollte, kam nicht wie gewünscht. Die Konkurrenz aus dem wenige Hundert Meter entfernten Einkaufszentrum ist zu gross.

Die gute, alte (mühsame) Mitwirkung

Ähnliche Gefahr könnte auf dem Dreispitz drohen: Dort werden, leicht versetzt, weiterhin der Migros-M-Park und das Obi-Baucenter stehen – logisch, die Migros ist Baurechtsnehmerin. «Doch Türkenkioske oder andere Quartierläden werden es schwer haben, dort zu überleben», sagt Klaus. Er empfiehlt deshalb, die Mieten tief zu halten, um Lädelibetreiber anzulocken.

Die Erfahrung zeigt: Leben lässt sich nicht so einfach auf dem Reissbrett planen. Oft müssen Bauherren oder Stadtsoziologen nach den Bauarbeiten nochmals über die Bücher. Deshalb setzt Basel bei kantonseigenen Projekten häufig auf Mitwirkung: Indem man die Bewohnerinnen und Bewohner von Anbeginn mit ins Boot holt und ihre Bedürfnisse einbezieht, hofft man auf ein besseres Zusammenleben, beispielsweise bei der Quartierplanung Klybeck plus.

Das läuft nicht immer rund, und erst recht nicht schnell, wie das Hinundher um «Rheinhattan» oder um Verkehr und Baupläne am Bahnhof im Gundeli zeigen. Die Interessen von Besitzern, Investoren, Kanton und Bevölkerung sind schwer unter einen Hut zu bekommen.

«Basel ist und muss die Hochhaus-Stadt der Schweiz sein – allein schon wegen der Bodenknappheit.»

Jacques Herzog

Es gibt aber auch erfolgreiche Beispiele. Eines, das immer wieder als Glanzprojekt genannt wird (mit ein paar pointierten Ausnahmen), ist die Kalkbreite in Zürich. Dort konnten sich die Bewohnerinnen und Bewohner in unzähligen Workshops einbringen, das Projekt ist belebt, die Mieten vergleichsweise günstig.

Ähnliche Mitwirkungsprozesse empfiehlt Klaus auch der CMS und der Migros. Es sieht nicht schlecht aus: In den neben den Türmen geplanten nur 30 Meter hohen Stadthäusern sollen gemäss Jurybericht Genossenschaften entstehen, die günstige Mietwohnungen für Familien anbieten. «Gerade Familien bringen sich oft ins Quartierleben ein, organisieren Anlässe und fördern das Zusammenleben», sagt Klaus.

Ob das in den geplanten Hochhäusern auch der Fall ist, ist fraglich. Dort sollen Wohnungen im mittleren und oberen Preissegment entstehen. «Wenn man so weit weg vom Boden ist, geht man weniger raus und plaudert mit den Nachbarn», sagt Klaus. Die Frage sei, ob es Gemeinschaftsräume gebe, die die Bewohner teilen. Doch wollen Hochhaus-Bewohner das überhaupt?

Gegen Hochhäuser lässt sich heute allerdings nicht viel vorbringen. Architekt Jacques Herzog sagte der TagesWoche: «Basel ist und muss die Hochhaus-Stadt der Schweiz sein – allein schon wegen der Bodenknappheit.»

«Das vorliegende Projekt sieht aus wie eine Renditemaschine.»

Stadtsoziologe Philipp Klaus

Für Klaus bewirkt die Höhe allein allerdings noch keine Verdichtung: «Man könnte die Wohnungen kleiner bauen. Auch Wohnungen für Reiche.» Das Platzproblem in den Städten komme unter anderem vom erhöhten Flächenbedarf, gerade von Gutverdienern. «Da wohnt dann eine Person alleine auf 90 Quadratmetern.» Es sei klar, dass private Bauherren diese Nachfrage decken. «Aber die CMS als Stiftung könnte hier auf die Migros einwirken und den Flächenbedarf pro Person beschränken.» Allerdings sieht er dafür keine grosse Chance: «Das vorliegende Projekt sieht aus wie eine Renditemaschine.»

Eine Renditemaschine, die auch eine Auswirkung aufs Gundeli haben könnte. Die CMS erhofft sich positive Auswirkungen, wie Stiftungsdirektor Beat von Wartburg im Interview mit der TagesWoche sagt: «Wir erhoffen uns zudem, durch das Projekt auf der Nordspitze Druck von den bestehenden, günstigen Wohnungen nehmen zu können, allen voran im Gundeli.» Die Frage ist, ob durch das erhöhte Angebot an Wohnungen die Mieten im Quartier sinken.

Laut Klaus könnte das sein. Es könnte aber auch das Gegenteil passieren: Dass die Mieten raufgehen, weil das Quartier aufgewertet wird und Franchise-Ketten und Fast Food die alten Läden verdrängen. Alles lässt sich eben nicht vorausplanen.

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