Mit Marketingsprech kennt sich der erfahrene Detailhandelskaufmann Christian* aus. Er weiss, dass die Werbephrasen nicht immer halten, was sie versprechen. Ihm war auch klar, dass es sich nicht um einen Traumjob handelte, als er sich im Sommer auf ein wohlklingendes Inserat für eine Teilzeitarbeit als Verkäufer im Einrichtungsgeschäft Zara Home bewarb. Doch Christian war seit einem halben Jahr erwerbslos und deshalb froh, wieder arbeiten zu können.
Das Unternehmen suchte für die Niederlassung an der Freien Strasse in Basel eine «ausgesprochen service- und dienstleistungsorientierte» Person. Jemanden, der Mode lebe und sich als Fashion Victim bezeichne. Dass letzterer Begriff wörtlich zu verstehen ist, damit hat Christian aber doch nicht gerechnet.
Unzumutbare Anstellungspolitik
Sein Vertrag mit Zara Home war erst mal auf einen Monat befristet, er hätte ihn danach um einen weiteren Monat verlängern können. Erst ab dem dritten Monat wäre der Vertrag – beidseitiges Interesse vorausgesetzt – in eine unbefristete Anstellung übergegangen. Ein Vorgehen, das bei Zara Home Standard ist, wie Christian von seinen Kollegen erfuhr.
Inditex, weltgrösster Textilkonzern mit Sitz in Spanien und das Unternehmen hinter Marken wie Zara, Zara Home und Massimo Dutti, hält sich so frei von Verbindlichkeiten. Die potenziellen neuen Mitarbeiter werden in der Ungewissheit allein gelassen. Erst später sollte Christian erfahren, dass mit dieser unzumutbaren Anstellungspolitik der Tiefpunkt im Arbeitsverhältnis noch nicht erreicht war.
Der Detailhandel gehört zu den Tieflohnbranchen, insbesondere das Verkaufspersonal steht unter hohem Druck. Prekäre Arbeitsbedingungen sind an der Tagesordnung, seit 2011 der Gesamtarbeitsvertrag (GAV) gekündigt wurde. Die Sozialpartner liegen seither im Streit und können sich nicht auf einen neuen GAV einigen.
Im vertragslosen Zustand verschlechterte sich die Lage für die Verkäuferinnen und Verkäufer zusehends. Die für Arbeitsmarktkontrollen zuständige, sogenannte Tripartite Kommission (TPK) des Kantons stellte «missbräuchliche Lohnunterbietungen» fest und wendete sich an den Regierungsrat.
Drei Franken weniger pro Stunde
Dieser erliess 2017 den für drei Jahre gültigen «Normalarbeitsvertrag (NAV) mit zwingenden Mindestlöhnen». Seit dem 1. Juli 2017 ist dieser NAV nun in Kraft und soll gewährleisten, dass die Verkäuferinnen und Verkäufer zumindest in Lohnfragen nicht alles mit sich machen lassen müssen. Der Vertrag gilt für alle Detailhandelsbetriebe in Basel, die über mehr als vier Angestellte verfügen und nicht einem GAV angeschlossen sind.
Der NAV enthält eine Tabelle, in der die Mindestlöhne je nach Ausbildungsstand und Arbeitserfahrung der Angestellten präzise aufgeschlüsselt sind. Christian mit seinem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis und den zehn Jahren Berufserfahrung hätte demzufolge einen Stundenlohn von 22,35 Franken zugute gehabt. Das Maximum.
Zara Home aber bezahlte ihm lediglich 19,45 Franken, also fast drei Franken pro Stunde weniger. Dies zeigt eine Lohnabrechnung, die der TagesWoche vorliegt.
Christian erfuhr vom NAV und dem zwingenden Mindestlohn erst, nachdem er bei Zara Home für den ersten Monat unterschrieben hatte. Eine Vertragsverlängerung kam so natürlich nicht mehr infrage. Zudem bekam er in dieser Zeit ohnehin ein anderes Jobangebot.
Also liess Christian den Vertrag auslaufen und kämpft seither für sein Recht. Ende August reichte er beim Zivilgericht ein «Schlichtungsgesuch in arbeitsrechtlicher Angelegenheit» ein. Ausserdem meldete er sich beim Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA), das die Einhaltung des NAV im Auftrag der Regierung überwacht.
Nicole Hostettler, AWA-Leiterin, erklärt auf Anfrage, dass sie Kenntnis habe von diesem Fall. «Wir nehmen nun die üblichen Abklärungen vor. Sollte sich herausstellen, dass hier ein Verstoss gegen den Normalarbeitsvertrag besteht, werden wir das Unternehmen zu einer Lohnnachzahlung auffordern.» Die Erfahrung zeige, dass diesen Aufforderungen in der Regel Folge geleistet werde. Die Chancen, dass Christian noch zu seinem Geld kommt, sind also intakt.
Aus Modeopfern Menschen machen
Inditex ist ein riesiges Unternehmen und die Arbeitsverträge für Zara Home werden in der Schweizer Zentrale in Fribourg ausgestellt. Da es sich um einen standardisierten Vorgang handelt, ist davon auszugehen, dass Christian kein Einzelfall ist. Kontrolliert das AWA also, ob bei Zara Home oder sogar bei allen Inditex-Marken in Basel der NAV systematisch missachtet wird?
Hostettler darf keine Auskunft geben zu einzelnen Unternehmen. Doch generell führe die Tripartite Kommission regelmässig Kontrollen durch. Mindestens zwei Unternehmen würden pro Monat vertieft geprüft, seit Inkrafttreten des NAV sind das insgesamt 56 Betriebe.
«Bis dato hat das AWA in drei Betrieben Lohnunterschreitungen bei einzelnen Arbeitsverträgen festgestellt», sagt Hostettler. In allen drei Fällen laufe derzeit die Frist für das rechtliche Gehör der Unternehmen. «Aus den bisherigen Daten ziehen wir die Schlussfolgerung, dass Lohnunterschreitungen im Detailhandel in Basel-Stadt nicht die Regel, sondern glücklicherweise Einzelfälle sind.»
Christian wird zu seinem Recht kommen, auch wenn es letztlich nicht um viel Geld geht. Doch er vermutet, dass sich in dieser Branche nur wenige zu wehren wissen. Seine Hoffnung ist, dass nun mehr Verkäuferinnen und Verkäufer vom NAV erfahren. So dass aus den Modeopfern Menschen werden, die für ihre Rechte einstehen können.
* Name geändert
Die Zara-Home-Zentrale in Fribourg hat uns für eine Stellungnahme an den Hauptsitz in Spanien verwiesen. Die Anfrage wurde nicht innert der gesetzten Frist beantwortet.