Der Basler Pop-Preis diskreditiert die Szene

Die Jubiläumsausgabe des Basler Pop-Preises wirkt fast so, als sollte man die Auszeichnung zum Wohl der Szene abschaffen. Nach zehn Jahren scheint die Zeit reif für eine Neuorientierung.

Fragwürdige Nominierungen. Was will der Pop-Preis eigentlich fördern?

Viel scheint in der Basler Musikszene nicht passiert zu sein in diesem Jahr. Nur zwei Namen haben sich auf der Nominiertenliste für den Pop-Preis seit der letzten Ausgabe verändert.

Offenbar hat der ausrichtende RFV Basel auf die Kritik reagiert, dass der Jahrgang 2017 eine reine Männerangelegenheit war – mit Ausnahme des Preisträgers Zeal & Ardor, wo mit Rafaela Dieu eine Frau am Bass steht.

Eine weitere Nominiertenliste ohne Frauen ging also nicht. Vor allem nicht in dem Jahr, in dem der RFV Basel – ganz seiner Tradition als Pionier in der Schweizer Förderlandschaft entsprechend – die erste Vorstudie zu Frauen in der Musikbranche lancierte und mitfinanzierte. Also wurden nun neben Alma Negra, Audio Dope und Zeal & Ardor auch Anna Aaron und La Nefera nominiert.

Die beiden Künstlerinnen haben ohne Frage Format, und in der Basler Szene gibt es zweifellos Frauen, denen dieses Jahr der Pop-Preis gebührte. Nur setzen diese beiden Nominationen ein falsches Zeichen – und helfen am Ende weder den Künstlerinnen wirklich noch der Szene. Und schon gar nicht dem Basler Pop-Preis.

Der Preis ist nach der RFV DemoClinic, dem neu eingeführten Resonate-Wettbewerb und dem RegioSoundCredit nicht nur das Höchste aller Fördermodule des RFV Basel: Die Trophäe und das Preisgeld von 15’000 Franken sollen zudem die überragende Band oder Künstlerin des zu Ende gehenden Jahres auszeichnen.

Vom Zeitgeist motivierte Füller

Die beiden nominierten Künstlerinnen hatten 2018 durchaus ein super Jahr. La Nefera gewann im März mit dem Latin-Brass-Projekt Error 404 Band Not Found bei der Newcomer-Förderung DemoClinic ein professionelles Coaching im Wert von 5000 Franken. Im Mai spielte die energiestrotzende Rapperin mit ihrem nicht minder mitreissenden Kaotik Trio beim ersten Resonate-Abend im Atlantis. Dazu kamen Auftritte an diversen Basler Open Airs. Beim Basel-Ramallah Project der Kaserne Basel konnte La Nefera auch etwas internationale Erfahrung schnuppern.

Die Frau hat in diesem Jahr sicher viel erlebt. Im Dezember vermittelt Jennifer Peres, wie La Nefera mit bürgerlichem Namen heisst, bei «RFV macht Schule» Wissen und Leidenschaft an den ganz jungen Nachwuchs. Doch der Sprung von der DemoClinic zum Pop-Preis in acht Monaten? Sollte man da nicht noch etwas zuwarten?

Bei der zweiten nominierten Künstlerin, Anna Aaron, könnte man sich eigentlich abschauen, wie cleverer und verantwortungsvoller Karriereaufbau funktioniert. Nach zwei Jahren Krise, Pause und Neufindung meldete sich Aaron im April bei der BScene eindrücklich zurück. Das neue Album der bisher einzigen Pop-Preis-Double-Gewinnerin, die 2011 sowohl die Jury- wie auch die Publikums-Trophäe holte, ist eigentlich bereit zur Veröffentlichung.

Ihr neues Management und Label beschlossen jedoch: Wir wollen keinen Schnellschuss! Lieber investiert man in einen soliden Wiederaufbau der Karriere und wartet mit dem grossen Album-Release bis 2019.

Warum fehlte diese vorausblickende Ruhe bei der jährlichen Rückschau des Basler Pop-Preises? Nun wirken Aaron und La Nefera im Vergleich zu den anderen drei Nominierten wie politisch oder vom Zeitgeist motivierte Füller. So wie letztes Jahr Audio Dope und Alma Negra, als der RFV Basel nach Kritik an der Rocklastigkeit der Auswahl scheinbar beweisen musste: Wir haben auch elektronische Musiker auf Spitzenlevel.

Die Folge der überstürzten Nominierungen: Die vielversprechenden Hoffnungsträger sind im Jahr darauf noch präsenter, wenn Album und Tour rollen – wenn sie also eigentlich richtig reif wären für die retrospektive Auszeichnung. So wie Audio Dope und Alma Negra dieses Jahr. Doch denkt man dann nicht: Ah geil, jetzt haben sie es nochmals geschafft? Zum wiederholten Mal nominiert sein klingt im Musikbusiness nach Ladenhüter.

Die Basler Szene ist heute stilistisch so breit gefächert, international präsent und gefragt wie noch nie.

Und sind wie jetzt gleich drei von fünf Künstlern zum zweiten Mal in Folge nominiert, sieht es aus, als hätte Basel eine lahme Musikszene, wo sich dieselben fünf bis zehn Protagonisten im Jahresturnus um die Provinz-Trophäe bewerben. Ein komplett falsches Bild.

Etablierte, ehemalige Nominierte und Preisträger wie Zatokrev, The Bitch Queens oder Serafyn spielten letztes Jahr teils sogar in den USA. Annie Goodchild trat dieses Jahr zwar nicht an der Baloise Session auf, veröffentlichte dafür aber ein neues Album. Sarah Reid wuselt mit so vielen tollen Projekten im Untergrund, dass sie endlich mal auf einen Schild gehievt gehört.

Neuere Namen wie Asbest, Immigration Unit oder East Sister erobern international ein Publikum. Und der mittlerweile in Berlin ansässige Mehmet Aslan erweitert mit seinem musikalischen Zeitsprung von orientalischer Folklore zum elektronischen Clubbing das Tour-Spektrum von Basler Künstlern sogar bis nach Indien, Japan und China.

Mehmet Aslan erweitert von Berlin aus den musikalischen Horizont und Tour-Radius der Basler Szene.

Klar steht nicht jeder Basler Band oder Musikerin plötzlich eine Weltkarriere offen wie Zeal & Ardor, die bei der Titelverteidigung am 14. November nicht teilnehmen können, weil sie nach der US-Tour gerade zwei Monate in Europa spielen, bevor es dann nach Australien und immer weiter geht.

Aber auch abgesehen von diesem absoluten Ausnahmefall ist die Basler Szene heute stilistisch so breit gefächert, international präsent und gefragt wie nie – egal, ob bei Konzerten, in Clubs oder im Netz.

Der Basler Pop-Preis dagegen – eigentlich dazu gedacht, die Spitze der Basler Musikschaffenden gegen aussen endlich gebührend zu ehren und zu würdigen – diskreditiert die Szene.

Vorschläge zur Besserung

Das Problem liegt im Auswahlprozedere. In der eigentlich löblichen Absicht, eine möglichst breit abgestützte Jury aufzustellen, können alle ehemaligen RFV-Juroren Vorschläge einreichen. Um Personen aus Deutschland oder anderen Schweizer Städten die Mühe zu ersparen, sich durch ein ganzes Jahr zu recherchieren, verschickt der RFV eine sehr umfassende Liste mit dem Titel «Basler Bands, die im vergangenen Jahr von sich reden gemacht haben».

Dieses Jahr umfasste die Liste rund 35 Bands, die für den RFV Basel valable Kandidaten wären. Dazu ein paar Notizen zu aktuellen Veröffentlichungen, Anzahl Facebook-Fans, Tourneen usw. Doch die Vorschläge waren nicht verbindlich, die rund 70 Jurorinnen und Juroren konnten eigene Namen ergänzen. Der RFV Basel versucht, möglichst keinen Einfluss zu nehmen.

Der Pop-Preis gehört nicht erst bei den letzten fünf Nominierten juriert, sondern von Anfang an kuratiert.

Diese freie Wahl ist theoretisch fair. Doch führt sie ohne flankierende Kriterien zu fraglichen Resultaten. Wer sich nur nach Listen, Werten und Bauchgefühl orientiert, hat keinen Blick für Entwicklungen und Stimmungen, die auf Papier und Websites schwer nachvollziehbar sind. Und wer wie die meisten der 70 Juroren selber im Musikbusiness agiert, ist eher geprägt vom Druck, als Erster das nächste grosse Ding zu entdecken und zu feiern.

Dieses Branchen-Syndrom ist bei der höchsten Basler Auszeichnung für Populärmusik aber der falsche Ansatz. Der Pop-Preis gehört nicht erst bei den letzten fünf Nominierten juriert, sondern von Anfang an kuratiert. Denn bei einer Auswahl von mindestens 35 möglichen Bands kommt es dann zu einer szenegerechten Selektion. Es könnte mehr Spannung und Interesse bei Publikum und Medien geweckt werden – gerade auch für die nominierten Bands.

Und der ausrichtende RFV Basel müsste eine willkürlich wirkende Auswahl auch nicht mehr damit verteidigen, dass man dafür keine Verantwortung trage. Er könnte selbst überraschende Nominationen mit stolz geschwellter Brust promoten, gerade weil sie überraschend sind.

Dann könnte man mit gutem Grund und Gewissen auch alle fünf Nominierten für das Geleistete honorieren und eine Band oder Künstlerin zusätzlich mit dem Hauptpreis küren – wie das etwa beim Schweizer Musikpreis der Fall ist. Heute dagegen bekommen die «Besten», abgesehen vom Jury-Sieger, nur ein paar Getränke-Jetons – und im Falle des Publikum-Gewinners noch eine Trophäe.

Dieses Prinzip hat der RFV heuer beim neu lancierten Resonate-Wettbewerb, wo es um die zunehmend wichtiger werdende Live-Präsenz einer Band geht, bereits selbst eingeführt. Aus allen Einsendungen wählt eine Jury drei Bands für den finalen Konzertabend. Alle drei erhalten eine hohe Gage als Honorierung für das Geleistete und als Förderung für die weitere Karriereentwicklung.

Der RFV im Umbruch

Der RFV Basel reagiert auf Nachfragen offen. «Hinter den kritisierten Nominationen von Anna Aaron und La Nefera stehen wir, weil wir denken, dass sie sehr verdient und berechtigt sind», erklärt die stellvertretende Geschäftsleiterin Seline Kunz.

Weitere Kritik nimmt der RFV gerne entgegen. Das Team ist nach den im September erfolgten Abgängen von Karl Baumgartner (zehn Jahre) und Geschäftsleiter Tobit Schäfer (17 Jahre) im Umbruch: «Den nutzen wir, um vieles zu überdenken», sagt Seline Kunz. «Die Szene hat sich verändert, und es gibt sicher berechtigte Kritik – nicht nur beim Basler Pop-Preis.»

Deshalb suchen sie und ihre neuen Mitstreiter inklusive dem verbliebenen Silberrücken Chrigel Fisch schon jetzt intensiv den Dialog mit der Szene. «Dieses Jahr haben wir am Prozedere nichts verändert, da wir als Team erst ab 1. Januar 2019 komplett sind, wenn der neue Geschäftsleiter Alain Schnetz dazustösst», sagt Kunz. Und ergänzt: «Wir wollen uns Zeit nehmen für zukunftsträchtige Entscheidungen. Von einem Schnellschuss würde die Szene kaum profitieren.»

Der Autor Olivier Joliat ist Drummer bei den Lombego Surfers, die 2012 und 2016 für den Pop-Preis nominiert waren – jeweils zwei Jahre nach dem Release eines Albums. 2016 wurden sie mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.

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