Über die Hälfte der rund 8,5 Millionen Menschen, die in der Schweiz leben, sind Frauen. In der Basler Popmusik sind es mickrige zehn Prozent. Das zeigt eine Vorstudie des RFV – Popförderung und Musiknetzwerk Region Basel, für die rund 900 Formationen der vergangenen zehn Jahre untersucht wurden.
Die Zahl schmerzt – und erstaunt, spielen doch bei der Mehrheit der bisherigen Pop-Preis-Gewinner Frauen mit. Und die Stimmen von Anna Rossinelli oder Nicole Bernegger hört man Rhein auf, Land ab.
Die Studie erklärt dies damit, dass die Musikerinnen der Region wesentlich aktiver und professioneller seien als das Gros der männlichen Mitstreiter. Warum es nur so wenige weibliche Musikschaffende gibt, kann man aber nicht mit Zahlen erklären.
Stattdessen werfen die Zahlen eine Menge Fragen auf: Wie kommts? Wer ist schuld? Was können wir tun, damit sich etwas ändert? Oder muss sich gar nichts ändern?
Zeit zu reden. Also haben wir vier Menschen aus dem Musikgeschäft an einem Tisch versammelt. Platz nahmen Seline Kunz, Fachleiterin beim RFV und Musikerin; Fabienne Schmuki, CEO des Labels und der Agentur Irascible und im Vorstand des RFV; Cécile Meyer, als Musikerin besser bekannt unter dem Namen Anna Aaron; und Sandro Bernasconi, Booker bei der Basler Kaserne.
Seline Kunz, du hast diese Zahlen zusammengetragen. Warum braucht eine kleine Stadt eine Vorstudie zum grossen Thema Frauenanteil in Bands?
Seline Kunz: Bisher war einfach klar: Es hat weniger Frauen als Männer auf den Bühnen. Weil wir beim RFV oft über Gründe und Lösungen für dieses Ungleichgewicht diskutiert hatten, wollten wir in unserem Wirkungsbereich endlich konkrete Zahlen. Um einen Stein ins Rollen zu bringen, der vielleicht auch in anderen Regionen oder national etwas bewegt. Denn wir gehen nicht davon aus, dass sich Basel grundlegend von Zürich oder Bern unterscheidet.
Gab es auch eine Überraschung oder nur Zahlen, die Bekanntes belegen?
Kunz: Allein die Zahlen sind eindrücklich: 90 Prozent der Musikschaffenden sind Männer! Die 10 Prozent Frauen sind aber sehr aktiv. In 23,5 Prozent der regionalen Bands spielt mindestens eine Frau. Sehr spannend und wichtig ist auch eine Erkenntnis zur Förderung: Die Erfolgsquote von Bands mit mindestens einer Frau liegt weit höher als die von reinen Männerbands.
Bands mit Frauen sind empirisch gemessen besser?
Kunz: Es geht weniger um eine qualitative Wertung. Aber Bands mit Frauen sind im Schnitt professioneller. Das finde ich eine schöne Erkenntnis.
Es könnte auch heissen, Frauen werden bei der Förderung bevorzugt.
Kunz: Wir gehen davon aus, dass unsere Jurys die Bands nach qualitativen und professionellen Kriterien beurteilen, nicht nach Geschlecht.
«Die Frage, ob die Musik gut oder schlecht ist, war falsch. Ich hätte mich fragen sollen: Bin das ich oder nicht?»
Bei Förderpreisen geht es auch immer um Zeitgeist. Sandro Bernasconi, du besuchst als Booker der Kaserne seit Jahren Szene-Festivals, wo sich die angesagten Bands präsentieren. Spielen dort heute mehr Frauen als vor fünf Jahren?
Sandro Bernasconi: Sowohl beim «Airwaves» in Reykjavik als auch beim «Primavera» in Barcelona stehen mehr Frauen auf den Bühnen als bei den grossen Open Airs in der Schweiz. Die Diskussion, die hier geführt wird, fand international längst statt: Frauen sind auf Bühnen selbstverständlich. Aber die Schweiz ist bei Genderdiskussionen auch in anderen Bereichen der Gesellschaft im Hintertreffen. Das Land ist generell konservativer und es braucht lange, bis sich Neuerungen durchsetzen.
Bei Schweizer Festivals standen diesen Sommer gerade mal 15 Prozent Frauen auf den Bühnen.
Fabienne Schmuki: Die Keychange-Initiative aus England strebt bis 2022 eine Quote von 50:50 für Musikfestivals an.
Dieses Ziel wäre für Basel mit seiner Geschlechterquote der Musizierenden von 90:10 doch etwas krass.
Schmuki: Mir scheint auch, dass die Newcomer in der Schweiz viel männerlastiger sind als diejenigen im Angebot der internationalen Labels. Da hat die Förderung im Ausland definitiv schon früher gegriffen. Gut, springen nun auch in der Schweiz die Menschen auf das Thema an. Feminismus ist gerade in Mode.
Die Vorstudie spricht von Hemmschwellen für Frauen, auf die Bühne zu treten. Cécile Meyer, wie waren deine ersten Schritte, als Anna Aaron Konzerte zu spielen?
Cécile Meyer: Auf der Bühne bietet man viel Angriffsfläche und Frauen sind je nach persönlicher Lebenssituation besonders verwundbar. Ich brauchte sehr lange, bis ich das Gefühl hatte: Das ist meine Musik. Bis dahin hatte ich grosse Zweifel. Das machte es schwierig, auf die Bühne zu gehen.
Und wie ist es heute?
Meyer: Heute weiss ich: Die Frage, ob die Musik gut oder schlecht ist, war falsch. Ich hätte mich fragen sollen: Bin das ich oder nicht? Seit ich zu 100 Prozent weiss, dass ich die Musik spiele, die ich machen will, stellt sich die Frage nach gut oder schlecht gar nicht mehr.
«Momentan sitzen vor allem Männer an den Hebeln. Es gibt kaum Frauen, die Schweizer Festivals programmieren.»
Ein guter Tipp für alle Newcomer. Mädchen mangelt es gemäss der Vorstudie an Vorbildern. Darum organisiert der RFV Basel Konzerte für Grundschulen, für die mit Bleu Roi oder Serafyn extra Bands gewählt wurden, in denen Männer und Frauen spielen – damit Mädchen Musikerinnen sehen, denen sie nacheifern wollen. Gewinnt man so mehr Frauen für die Musik?
Schmuki: Ich gehe an das Konzert einer Frau, finde es toll und will darum selber Musik machen? Dieses Schema ist wohl zu einfach. Es geht weniger um das eine Erlebnis. Heute schalte ich das Radio ein, gehe an ein Konzert oder gucke den Strassenmusikern vor dem Einkaufszentrum zu – und ich sehe Männer. Bei «RFV macht Schule» geht es darum, Schülerinnen und Schülern zu zeigen: Es ist völlig normal, dass Frauen und Männer Musik machen, die gut – oder auch schlecht – ist.
Nun gibt es zwei Fördermodelle: Bottom-up, wo man früh mit der Förderung beginnt, oder Top-down, wo man Frauen mit Quoten ihren Platz auf Bühnen oder im Radio sichert. Welches bringt mehr?
Kunz: Ich denke, man muss es breit abstecken. Früh sensibilisieren, aber auch regulieren. Wenn verschiedene Leute an verschiedenen Hebeln ziehen, verändert sich am meisten. Ausserdem entsteht so das Gefühl, dass man gemeinsam für eine grössere Diversität sorgt, die unsere Gesellschaft besser abbildet.
Schmuki: Momentan sitzen vor allem Männer an den Hebeln. Darunter glücklicherweise auch solche wie Sandro, die sensibilisiert sind und Frauen programmieren. Aber es gibt kaum Frauen, die Schweizer Festivals programmieren.
Bernasconi: Wobei das Openair Zürich mit Marion Meier als Bookerin auch kaum Frauen auf den Bühnen hat.
Schmuki: Absolut. Aber es geht viel weiter. Je mehr Frauen auch Ton, Licht oder einen der vielen Jobs machen, die zum Musikbusiness gehören, desto durchlässiger wird das Ganze.
Die Diversifizierung hebt Privilegien auf. Das heisst aber nicht, dass du als weisser Mann keine Chance mehr hast.»
In der Studie kommt das Argument: Bands mit Frauen sind bei der Förderung erfolgreicher. Bei Firmen mit Frauen in Kaderpositionen sagt man auch: Denen geht es wirtschaftlich besser, die haben mehr Erfolg, machen mehr Gewinn. Ist der wirtschaftliche Wert bei Musik das richtige Argument?
Kunz: Es ist eines von vielen und mir gefällt es, weil es zeigt, dass es keine Qualitätseinbussen gibt, wenn man Frauen bucht.
Schmuki: Für die Politik ist das Argument super und wichtig. Für andere ist es weniger relevant. Es ist gut, Fakten zu haben, da diese in gewissen Bereichen einfach wichtig sind.
Nebst dem Geschlecht sollen auch der soziale Hintergrund sowie andere Herkunftskriterien bei der Förderung berücksichtigt werden. Da habe ich als privilegierter weisser Mann keine Chance mehr, dass meine Musik gefördert werden kann.
Kunz: Klar, die Diversifizierung hebt sicher gewisse Privilegien auf. Doch das heisst nicht, dass du keine Chance mehr hast. Die Sensibilisierung für kulturellen Hintergrund, Ethnizität, soziales Milieu, Geschlechtervielfalt ist wichtig, um das vorhandene Potential herauszuholen. Damit wird die gesamte Palette der Gesellschaft sichtbar und nicht nur ein privilegierter Teil davon. Und wenn es kulturell bunter und breiter wird, profitierst auch du.
Ein Charakterzug der Pop-Kultur ist doch, dass bunte Randerscheinungen den Mainstream begeistern. Genauso wie die Protestkultur gesellschaftlich Brisantes thematisiert. Das wird durch einen regulierenden Kriterienkatalog für Fördergelder doch erstickt.
Kunz: Ich denke, es ist eher befreiend. Die Buntheit und Rebellion ist sicher Teil der Pop-Kultur. Trotzdem: Schaut man genauer hin, findet man auch dort gewisse Herrschaftsstrukturen, die auch in anderen Teilen der Gesellschaft verankert sind. Die Popwelt ist nicht so frei.
Schmuki: Wenn tatsächlich kein Protest mehr entstehen würde, weil Regulierungen zu mehr Frauen im Pop führten, dann würde Form den Inhalt bestimmen. Daran glaube ich in dieser Diskussion nicht.
Haben Frauen in der Szene wirklich so einen schweren Stand?
Schmuki: Momentan ist es schlicht so, dass Frauen weniger Chancen haben, auf grosse Bühnen zu kommen. Die Musikszene selber ist aber schon sensibilisiert und schnödet nicht über Frauen.
Meyer: Ich habe in der Diskussion eh das Gefühl, dass ich das als Musikerin aus einer anderen Perspektive sehe.
«Wenn ich mit Musikfirmen im Ausland zu tun habe, treffe ich auf viel mehr Frauen als in der Schweiz.»
Was war denn deine Erfahrung als junge Frau, die ein Album aufnehmen und auf die Bühne wollte? Welche Steine lagen da im Weg?
Meyer: Nicht so viele. Vielleicht war ich jung und naiv und das Thema deshalb nicht so präsent. Bei den ersten Aufnahmen wurde viel über meinen Kopf hinweg entschieden. Ich hatte Demos mit Klavier, etwas Perkussion und Stimme und daraus wurde für mich ein Album produziert. Bei den folgenden Alben hatte ich das Glück erst mit David Kosten in London, dann mit meinem Bruder über Monate im Studio zu arbeiten. So – und natürlich auch über Youtube-Tutorials – lernte ich genug, dass ich nun am Punkt bin, wo ich meine Musik mehr oder weniger selber produzieren kann.
Hattest du nie das Gefühl, benachteiligt zu werden, weil du eine junge Frau bist?
Meyer: Nein, überhaupt nicht. Ich habe auch immer viel mit Frauen gearbeitet. Im Büro meiner Promo-Agentur in Paris waren nur Frauen – und ein kleiner Praktikant (grosses Gelächter am Tisch). Ich hatte eine Tourmanagerin, meine Agentin in Deutschland war eine Frau, in der Band hatte es Frauen. So habe ich das erlebt.
Findet nicht sowieso gerade ein Generationenwechsel statt? Es ist nicht mehr so viel Geld im Business, die Majorlabels haben ausgedient und junge Agenturen drängen auf den Markt.
Schmuki: Klar gibt es heute mehr junge Agenturen – und andere Art und Weisen, wie mit Bands gearbeitet wird. Aber der Frauenanteil im Schweizer Musikbusiness hat sich in den vergangenen zehn Jahren kaum geändert: Ich sehe noch immer sehr wenig Frauen bei Labels und Agenturen. Bei IndieSuisse, dem Schweizerischen Verband unabhängiger Labels, bin ich die einzige Frau, die ein unabhängiges Label vertritt – und das bei über 50 Mitgliedern! Wenn ich mit Musikfirmen im Ausland zu tun habe, treffe ich auf viel mehr Frauen als in der Schweiz.
Was machst du bei Irascible für die Frauenförderung?
Schmuki: Wir haben unter unseren Promotionsmandaten relativ viele Musikerinnen. Ausserdem stelle ich nach Möglichkeit Praktikantinnen ein. Mit dem Livegeschäft direkt habe ich allerdings nichts zu tun.
«Es ist interessant, dass junge Frauen länger an ihrer Musik schrauben, bevor sie ein Demotape einschicken.»
Und als Label für Newcomer?
Schmuki: Ich hab nie nachgezählt, aber intuitiv würde ich sagen: Drei Viertel der Bewerbungen oder Demos, die wir bekommen, sind von männlichen Künstlern. Wir werden vermutlich eher in der Rock-lastigen Ecke wahrgenommen. Wir kriegen sehr viele Einsendungen von 16-jährigen Buben, die in ihrem Bandraum ein Demo aufnehmen und einschicken, obwohl es schrecklich klingt. Wenn ich etwas von einem Mädchen bekomme, dann ist das schon relativ gut produziert. Die Hemmschwelle ist irgendwie höher.
Meyer: Das mit den Demos finde ich interessant. Da ist man direkt an der Quelle. Man muss nicht spekulieren: Okay, vielleicht sind die Frauen schon da, aber sie werden nicht genug gefördert. Demos zeigen eins zu eins, wer aktiv ist und wie. Ich finde auch mega interessant, dass junge Frauen eventuell eine grössere Hemmschwelle haben, dass sie länger an etwas schrauben, bis sie es einschicken.
Kunz: Das hat mit gesellschaftlichen Strukturen zu tun. Mädchen wird in der Sozialisation und Erziehung noch immer viel weniger gelehrt, aktiv für etwas einzustehen, selbstbewusst zu agieren und sich als Akteurin in Szene zu setzen. Darum muss man für Mädchen Vorbilder schaffen, die zeigen: Hey, du kannst das, mach mal, probier mal! Es ist wichtig, dass man hier die Hebel zieht und einen Stein ins Rollen bringen kann, schon ganz früh.
Ist das nicht sogar der wichtigste Stein?
Kunz: Ich würde nicht sagen, dieser Stein ist wichtiger als der andere. Man muss breit denken und an verschiedenen Hebeln ziehen – und nicht die Verantwortung auf einen Bereich abschieben, denn dann lehnen sich die anderen zurück. Die gesellschaftliche Transformation durch das Empowerment von Mädchen voranzutreiben, ist ein Hebeli. Ich denke, wir haben und brauchen ganz unterschiedliche Möglichkeiten und Mittel.
«Als Richtwert sind Quoten eine Hilfe. Doch wird die Zahl zum Gesetz, bin ich dagegen. Man muss flexibel sein.»
Sandro, du hast dich vor ein paar Jahren auf das gender-sensible Booking eingelassen. Ist das eine Einschränkung oder eröffnet die Quote ein interessantes Feld, auf das du dich ohne Druck nicht eingelassen hättest?
Bernasconi: Wenn man eine Band buchen muss, weil sie den gesetzten Normen entspricht, hängt die Quote über dem Kopf wie ein Damoklesschwert. Aber als Richtwert sind Quoten eine Hilfe, und Zahlen wie die aus der Vorstudie wichtig zum Sensibilisieren. Doch wird die Zahl zur Regel, zum Gesetz, bin ich dagegen. Man muss variieren, flexibel sein.
Wie sehen die Zahlen denn bei der Kaserne aus?
Bernasconi: Wir hatten schon Jahre mit vielen starken Frauen, obwohl das gar nicht geplant war, sondern sich aus dem Angebot so ergeben hat. Schliesslich geht es nicht nur um Mann oder Frau, sondern um Diversität: Das kann man auf das dritte Geschlecht ausdehnen oder geografisch. Ich habe mich bewusst für eine Entwicklung entschieden, auf die ich mich voll einlassen kann. So komme ich auch persönlich in neue Welten rein.
Zum Beispiel?
Queer in Brasilien ist gerade so ein Thema, zu dem ich recherchiere. Mir war nicht klar, wie gross diese Szene dort ist, und was dort gerade mit Quebrada Queer passiert, wie die mit ihrer Sexualität umgehen. Gerade weil Brasilien das Land ist, in dem am meisten Trans-Menschen und Homosexuelle getötet werden, und gleichzeitig die Nachfrage nach Filmen mit Trans-Leuten auf Redtube am grössten ist. Das ist für uns völlig unvorstellbar.
Cécile, wie ist es als Musikerin, wenn man hier mit Queer-Gender-Themen kommt?
Meyer: Ich habe das Gefühl, hier provozieren eher Themen wie Selbstständigkeit, Selbstbestimmtheit und natürlich auch eine Art Macht. Es geht hier niemals um Leben und Tod. Aber man kann durchaus provozieren. Etwa, wenn ich als Frau sage: Ich will jetzt nicht unbedingt gerade ein Kind, ich will jetzt einfach Musik machen. Und ich will es alleine machen.
Wer kann sich daran stören?
Meyer: Lustigerweise – oder eher krasserweise – wird man oft aus den eigenen Reihen angegriffen. Andere Frauen fühlen sich wohl provoziert, weil sie sich vielleicht auch verunsichert fühlen, gerade wenn es um so sensible Themen geht. Und wenn ich dann als Frau hinstehe und sage: Hey, ich kann auch etwas völlig anderes haben als diese vorgegebenen Modelle – das kann schon starke Emotionen hochbringen.
«Ich kenne viele Musikerinnen, zu denen ich hochschaue. Und ich überlege nicht: Oh, eine Frau. Es sind einfach coole Leute.»
Ist das nicht auch ein Kompliment, wenn man was bewegt?
Meyer: Aber es ist jetzt auch nicht in erster Linie mein Ziel. Und ich finde, ich muss nicht immer darüber reden, dass ich eine Frau bin und Musik mache. Ich muss es nicht immer so betonen. Ich mache einfach Musik. Man muss nicht immer darauf rumhacken, dass man das alles als Frau auch kann (lacht).
Bist du in Sachen Gleichstellung schon dort, wo alle gern hinkommen möchten?
Meyer: Es klingt jetzt immer so, als gäbe es sehr wenige Musikerinnen oder sehr wenig Produzentinnen. Aber ich finde, es gibt viele. Ich kenne viele Frauen, zu denen ich hochschaue und von denen ich finde, die sind mega. Und ich überlege mir nicht: Oh, das ist eine Frau. Sondern ich finde, es sind einfach coole Leute.
Bernasconi: Das Gefühl habe ich manchmal auch. Das ist wohl der subjektive Blick, wenn man viele Musikerinnen kennt und toll findet. Aber dann kommt so eine Vorstudie und belegt, dass es eben extrem wenige sind. Sieht man die nackten Zahlen, ist es krass. Dann weiss man: Shit, es ist überhaupt nicht so, wie man denkt.
Kunz: Die Vorstudie zeigt auch, dass es zwar wenige Frauen gibt im Musikgeschäft, aber diejenigen, die es gibt, sind sehr aktiv. Das würde dafür sprechen, dass sie sichtbar sind und gut unterwegs.
«Es gibt immer noch Momente, in denen Leute denken, mein Geschäftspartner sei der Chef und ich seine Assistenz.»
Ist es denn als Frau toll, im Musikbusiness unterwegs zu sein? Dieses hat wegen Machismo und sexueller Übergriffe einen sehr schlechten Ruf. Oder Musikerinnen werden von Securitys nicht Backstage gelassen, weil man sie für Groupies hält.
Meyer: Ich habe nie so etwas erlebt. In anderen Bereichen meines Leben gab es schon Sexismus, immer wieder. Aber jetzt wirklich konkret auf die Musik bezogen, habe ich das nie erlebt. Zum Glück.
Kunz: Ich habe im Musikbereich zum Glück auch nie eine extreme Erfahrung gemacht. Eigentlich ist es eine gute Nachricht, dass das uns jetzt nicht passiert ist. Aber ich denke, da gibts sehr unterschiedliche Erfahrungen. Es kommt auch auf die Szene an. Im Rap/Hip-Hop gibt es vielleicht noch stärkere Stereotypen. Die Szene ist noch stärker männerdominiert.
Fabienne, du bist seit Jahren auf der Label/Agenturen-Seite unterwegs, wo eigentlich die grusigen, alten Böcke sitzen müssten.
Schmuki: Ich habe zum Glück auch nie schlimme Erfahrungen gemacht. Es kommt, glaube ich, ein bisschen aufs Milieu an. Ich bin in einem männlichen, aber immerhin feministisch aufgeklärten «Haufen» sozialisiert worden. Klar sind die Sprüche in der Musikbranche manchmal derb, aber ich finde das okay. Damit kann ich umgehen.
Gibt es gesellschaftliche Stereotypen, die nervig werden?
Schmuki: Es gibt immer noch Momente, in denen Leute denken, mein Geschäftspartner sei der Chef und ich seine Assistenz. Dann das grosse Staunen: Ah, du bist auch Chefin! Mittlerweile ist mir das scheissegal. Man lernt, damit umzugehen. Mit anderen Sachen hoffentlich nicht. Mir sind zum Glück keine sexuellen Übergriffe gegen Leute bekannt, die ich näher kenne. Ich sage nicht, dass es nicht passiert. Aber in diesem kleinen Schweizer Indie-Kuchen kann man sich das vielleicht auch nicht leisten. Der Ruf wäre ziemlich schnell hinüber.
Der sexuelle Reiz, die Faszination, das Schwärmen gehört ja auf die Bühne. Ist eine Frau auf der Bühne der Killer, verliebe ich mich sofort für die Dauer des Konzertes. PJ Harvey? Heiraten, mit allen Problemen, die man sich mit ihr auflädt!
Kunz: Das darfst du ja auch!
Schmuki: Das habe ich auch, wenn ich Nick Cave sehe, dann würde ich ihn auch heiraten, dreimal hintereinander (lacht).
Bernasconi: Auch mit allen Problemen?
Schmuki: Auf alle Fälle.
«Ich glaube nicht, dass es grossen Eindruck hinterlässt, wenn man einfach ein paar Frauen auf die Bühne stellt.»
Sandro, wenn du beim Kampf um Sponsoren für ein Festival klar sagst: Wir programmieren viele Frauen-Bands. Würde dir das Vorteile bringen?
Bernasconi: Das bezweifle ich aufgrund von den Begegnungen, die ich mit den Marketing-Leitern hatte (lacht). Man könnte bei gewissen aufgeschlossenen Betrieben sicher etwas holen. Aber wer sind die klassischen Sponsoren der Privatwirtschaft? Die wollen ihre Produkte publik machen. Denen ist scheissegal, ob da jetzt Frauen oder Männer auf der Bühne stehen.
Schmuki: Das ist wieder die Diskussion um Wirtschaftlichkeit und Qualität: Wenn das Booking diverser wäre, wäre das Programm interessanter und auch für das Publikum spannender. Aber grosse Festivals müssen natürlich viele Tickets verkaufen, damit sie rentieren. Ich glaube, die Programmatorinnen und Programmatoren, die etwas abseits vom Mainstream suchen und sich intensiver damit auseinandersetzen, stossen auch auf spannendere, auf diversere Acts. Die findet man aber sicher nicht bei den Festivals mit grossen Sponsoring-Verträgen. Wenn du wie beim Gurtenfestival 20’000 Billets verkaufen musst, dann ist es am einfachsten, die grossen Bands zu buchen, die dir angeboten werden. Und dann sind das wohl 80 Prozent Männer. Das nervt mich an der Diskussion über die Festivals immer.
Die auch diesen Sommer wieder aktuell ist.
Schmuki: Ja, dann schaut man wieder auf dieselben paar grossen Festivals und klagt. Man könnte aber auch schauen, wer es denn besser macht. Und warum geht man nicht an die musikalisch interessanten und diversen Festivals? Die gibts ja auch. Die Grossen mit Quoten ändern? Klar, kann man versuchen. Vielleicht gibts dort irgendwann mehr Frauen. Aber ich glaube nicht, dass es das Verständnis oder die Sensibilisierung bei den Leuten irgendwie verändert, wenn man Beyoncé anstatt die Toten Hosen auf die Bühne stellt.
Kunz: Ich finde es sehr wichtig, dass man genauer hinschaut und sieht: Bei den kleineren Festivals bewegt sich einiges, da ist viel vorhanden. Die grossen soll man aber genauso anschauen und kritisieren. Sie sind schliesslich am sichtbarsten und haben am meisten Vorbildfunktion. Sichtbarkeit ist Macht.
Kann man die grossen Festivals, die heute vor allem als Kommerz-Veranstaltungen funktionieren, nicht auch an ihre historische Verantwortung erinnern? Immerhin entstanden die meisten als Protestveranstaltungen der Gegenkultur.
Schmuki: Ich bin da eher pessimistisch. Die Open Airs haben heute das Publikum, das sie verdienen. Dem kannst du noch so oft Bilder zeigen, wie das Gelände aussieht, wenn alle ihre Zelte liegen lassen – sie räumen trotzdem nicht auf. Darum glaube ich nicht, dass es grossen Eindruck hinterlässt, wenn man einfach «ein paar Frauen auf die Bühne stellt». Es ist gut, wenn man hinschaut und versucht, etwas zu ändern. Ich befürchte aber, bis eine richtige Sensibilisierung auf allen Ebenen stattgefunden hat, wird es länger gehen, als es von den ersten Schritten des Rock ’n’ Roll bis heute dauerte.