Robi-Ikone Hanslin: «Das wird jetzt richtig toll»

Nach seinem Kampf gegen die GGG steht der grösste Basler Kinderbetreuer nun auf eigenen Füssen. Und der vermeintlich geschasste Geschäftsführer Andreas Hanslin sitzt wieder am Steuer.

Der Ablöse-Kampf von der GGG hat Andreas Hanslin nicht ermüdet. Der alte und neue Geschäftsleiter des Vereins Robi-Spiel-Aktionen strotzt vor Energie, Ideen und Zuversicht für die Zuklunft. 

Beim grössten privaten Anbieter für Kinderbetreuung in Basel, den Robi-Spiel-Aktionen, ging es in diesem Jahr drunter und drüber. Die Finanzen waren aus dem Lot geraten, Geschäftsführer und Vereinsikone Andreas Hanslin wurde öffentlich der Veruntreuung von 500’000 Franken verdächtigt, und dann schien es für die Robi-Leute auch noch so, dass die Trägerin GGG Basel ihnen unter dem Deckmantel einer Rettungsaktion jegliche Freiheit rauben wollte.

https://tageswoche.ch/stadtleben/meuterei-auf-dem-robi/

Inzwischen haben sich die Wogen geglättet, die GGG lenkte letztlich ein und übergab vergangene Woche die volle Verantwortung an den neuen Vorstand des Vereins Robi-Spiel-Aktionen. Und Hanslin, der während des Konflikts einen Maulkorb erhielt, darf wieder mit den Medien sprechen.

Andreas Hanslin, Sie sind jetzt wieder Geschäftsführer der Robi-Spiel-Aktionen, die GGG hat die Loslösung gutgeheissen. Gleich nach dem Entscheid beschrieben Sie dies als schönes Gefühl der grossen Freiheit.

Sagte ich grosse Freiheit? Nun, es war ein sehr intensives und forderndes Jahr auf einer emotionalen Achterbahn.

Aber jetzt feiern Sie den Höhepunkt, oder nicht?

Nein. Das Schönste war die grosse Solidarität, die ich bekam, nachdem eine Lokalzeitung einen Artikel über die Robi-Spiel-Aktionen schrieb, und die Lage so wirken liess, als hätte ich 500’000 Franken veruntreut. Das war frei erfunden! Der Artikel war natürlich mein Tiefpunkt.

Andreas Hanslin ist seit über 30 Jahren bei den Robi-Spiel-Aktionen. Damals arbeiteten dort 12 Menschen. Unter seiner Leitung entwickelte sich der Verein zum grössten privaten Partner der Stadt Basel in der Kinderbetreuung mit über 350 Angestellten und einem Umsatz um die 14 Millionen Franken.

Wie sah denn die Solidarität danach konkret aus?

Da kam viel Zuspruch von allen Robi-Mitarbeitern und einem immer grösser werdenden Umfeld: «Es geht weiter, sei mutig!» Das waren nicht bloss Lippenbekenntnisse, die sind den Weg mitgegangen. Die haben das Projekt bis heute mitgestaltet, die Geschicke in die Hand genommen. Mit denselben Werkzeugen gewirkt, die wir Robi-Leute auch im Berufsumfeld mit den Kindern leben: Partizipation, Mitbestimmung, Bottum-up, Basisdemokratie.

Ihre Bottom-up-Kultur hat am Ende gegen die Top-Down-Entscheide der GGG gewonnen?

Am Ende war es ein politischer Entscheid, getragen von allen involvierten Akteuren, die gemeinsam den Weg aus der Krise gesucht haben.

 In anderen Worten: Das Erziehungsdepartement (ED), Ihr mit Abstand grösster Geldgeber, hat seinen Einfluss geltend gemacht? 

Eigentlich war es eher ein gesellschaftlicher Entscheid, der zu dieser Trennung im Guten führen konnte. Der Entscheid wurde sehr wohl auch in die Politik getragen, mit den Anfragen und Interpellationen von Eltern, dann auch mit einer Petition von Grossräten an Regierungsrat Conradin Cramer. Und es wäre sicher anders gekommen, hätte das ED nicht reagiert und seinen Einfluss geltend gemacht.

Inwiefern?

Hätte das ED den Berichten geglaubt, hätte es den Verein Robi ja als maroden Betrieb erachten und die Verträge zurückziehen müssen. Stattdessen setzte es aber alle Akteure an einen Runden Tisch und vermittelte.

«Die Strippen gezogen? Ich habe mit offenem Visier gekämpft.»

Wie reagierten all die Eltern auf die schlechte Presse, sprich diejenigen, die euch ihre Kinder anvertrauen?

Kein einziges Kind wurde abgemeldet. Genau das meine ich mit dem gesellschaftlichen Entscheid: Wir haben die Eltern ebenso überzeugt wie die Politik. Uns war ja auch immer wichtig, dass die Kinder und Jugendlichen nichts von unserem Kampf mitbekommen. Darum drohten wir auch nie, Spielplätze zu schliessen. Wir wollten die Kinder nicht instrumentalisieren für einen strategischen Kampf um Zugehörigkeit. Das wäre nicht gut gekommen.

Die Diskussion drehte sich lange fast allein um Ihren Kopf. Fühlten Sie sich da selber instrumentalisiert? Oder war das gar gewollt?

Ich stehe extrem ungern im Zentrum. Aber ich wurde halt ins Zentrum gezerrt – mit den Anschuldigungen, dann der Solidarität.

 So sah es von aussen aus. Aber wie lief es intern?

Der Robi-Geschäftsleitung war von Anfang an klar: Wir stehen zusammen, haben dieselbe Mission, dieselben Werte und ein gemeinsames Ziel. Da war ich natürlich mittendrin. Denn auch wenn manche Medien das anders darstellten, war ich zu keinem Zeitpunkt nicht mehr Geschäftsleiter. Manche Dinge liefen einfach neu über die interimistisch von der GGG eingesetzte Geschäftsleitung, andere über mich.

Sie sind trotz Kündigung einfach geblieben und haben die interne Resistance lanciert?

Eine formelle, offizielle Kündigung hat eben nie stattgefunden.

So konnten Sie also im Stillen die Strippen ziehen.

In den letzten Monaten habe ich gelernt, gut auf die Wortwahl zu achten. Oder das «Wording», wie es heute heisst. Nun: Die Strippen gezogen? Habe ich nie. Ich habe mit offenem Visier gekämpft. Die andere Seite mag das anders wahrnehmen. Aber wir haben immer offen kommuniziert, wofür wir stehen.

Die Robi-Ikone steht als Taktgeber im Zentrum. Zum Sesselkleber will er in Zukunft aber nicht werden.

Nach aussen durften Sie aber nicht mehr kommunizieren.

Heute bin ich überzeugt, das war besser so. Sonst hätte es noch mehr Reibung gegeben, zumal in den Medien. Klar war wichtig, dass die TagesWoche die Situation dann auch richtig beleuchtete. Da fanden viele Leute Information und Antworten – ohne Effekthascherei, gut recherchiert, und so, dass beide Seiten zu Wort kamen.

 Ihr Wort fehlte.

Aber auch da war wichtig, dass sich andere Gruppierungen äusserten, und nicht die Geschäftsleitung. Durch das Umfeld kam die Sache auf eine breitere Ebene. Und da ging es im Kern ja nicht um mich, sondern um den Betrieb mit über 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

 Jetzt bleiben Sie weiter auf Ihrer angestammten Position?

Ja, aber nicht weil ich mich krampfhaft an die Stelle klammere. Es ging mir nicht um meinen Arbeitsplatz, sondern wie der gesamten Geschäftsleitung um die Verantwortlichkeit.

 Vor der ganzen Geschichte wollten Sie aber bereits einmal zurücktreten.

So ging es ja los! Die Arbeit wurde die letzten Jahre ja nie weniger und irgendwann ist einfach genug. Deshalb wollte ich Anfang 2018 mit dem Vorstand früh genug die Nachfolgeregelung anschauen. Die Rückmeldung war: «Sau gut. Als Dank für die gute Arbeit geben wir dir einen goldenen Fallschirm und übernehmen ganz.» Das mit den fehlenden 500’000 Franken kam ja dann erst später, als ich so nicht gehen wollte.

«Kein Defizit machen war immer das oberste Ziel. Und in den letzten 30 Jahren haben wir es auch fast immer geschafft.»

Tempi passati. Nun lastet auf Ihren Schultern ohne die GGG noch mehr Verantwortung. Die Öffentlichkeit sowie das ED werden kritisch beobachten, ob es der Verein Robi alleine schafft.

Ja.

Sieht so die «grosse Freiheit» aus?

Nun muss ich etwas ausholen: Vor etwas über 30 Jahren fing ich auf dem Robi Horburg als Spielplatzleiter-Assistent an, dann ging es immer weiter – bis zum Geschäftsleiter. Entscheidend ist: Ich mache die Arbeit extrem gern. Hier darf man etwas entwickeln. Man darf ausprobieren, auch mal Fehler machen. Das hat sehr viel Freiheitliches, Tag für Tag. Ich empfinde das als Privileg. Aber das Schönste ist, in ein Team eingebunden zu sein, das gemeinsam etwas entstehen lässt.

Aber Sie spüren schon, dass Sie jetzt noch mehr Verantwortung tragen?

Davor haben wir uns nie gescheut. Es ist jetzt sogar ganz wichtig, dass wir die volle Verantwortung für unser Geschäft haben. Am schlimmsten war es ja, für etwas verantwortlich gemacht zu werden, wofür man gar nicht oder nur teilweise verantwortlich ist.

Was packen Sie als Erstes an?

Wir müssen konsolidieren, damit die Bereiche wieder besser ineinandergreifen. Die letzten drei Quartale haben schon Spuren hinterlassen. Alle wissen, wir benötigen klarere Strukturen als bisher.

Der eine bleibt, der andere geht: Robi-Geschäftsleiter Hanslin gibt dem Journalisten gleich noch Tipps für einen Job mit goldenen Perspektiven.

Also neue Leitung, altes Problem: die Finanzen?

Das ist so. Es braucht jetzt Strukturen, die die Grösse und Vielfalt des Vereins abbilden. Es verkam die letzte Zeit zum Unwort, aber wir müssen die Kostenstellen und Rechnungslegung wirklich auf allen Plätzen und Stufen verinnerlichen.

Solche Vorgaben wirkten zuletzt auf viele Spielplatzleiter wie ein rotes Tuch. Wie reagieren sie heute darauf?

Die Mitarbeitenden fürchteten damals einzig, der Verein werde künftig rein nach Kennzahlen geführt. Die Robi-Geschäftsleitung muss die Zahlen mit dem Vorstand nun sachlich anschauen – wie auch davor schon. Es ist letztlich nichts als verantwortlich gegenüber den Angestellten, Nutzern und Gebern, wenn man weiss, wie es um die Mittel steht.

 Dem neuen Vorstand fehlen bekannte oder erfahrene Köpfe.

Aber keinesfalls die nötigen Kompetenzen in Finanzen, Recht oder Projekt-Management. Dazu sind alle unverbraucht und haben einen Bezug zum Robi. Das stimmt mich sehr zuversichtlich. Die haben Lust und Ideen, sind aber auch kritisch und in ihrer Haltung doch wertschätzend.

Die Zahlen machen allerdings noch immer keine Freude. Für 2018 gewährte die GGG eine letzte Defizitgarantie von 190’000 Franken, danach fehlen selbst ihre bisher jährlich 100’000 Franken Unterstützung. Um diese Lücke mit Mitgliederbeiträgen zu füllen, bräuchte der Verein über 1500 Neuanmeldungen. Wie also wollen Sie das nächste Defizit vermeiden?

Kein Defizit machen war immer das oberste Ziel. Und in den letzten 30 Jahren haben wir es auch fast immer geschafft. Dieser vermaledeite Abschluss 2016 mit dem traumatischen Minus von 500’000 Franken stürzte uns in ein Jammertal.

«Wir hatten nie eine Wachstumsstrategie formuliert. Aber in der Gesellschaft verändert sich ganz viel und immer schneller.»

 Weiss man heute endlich, wo die halbe Million verloren ging?

(Schüttelt den Kopf). Mittlerweile wurden alle Zahlen von verschiedenen Leuten in so vielen Systemen hin und her geschoben. Leider bis heute ohne Erfolg oder Erklärungsansatz.

 Wie viele verschiedene Finanzexperten waren nun schon daran?

Drei oder vier, jeder mit anderen Fragen. Ich komme wirklich nicht von den Finanzen, aber mir wurde gesagt: Das ist gar nicht mehr sauber eruierbar. Ausser man ackert sich jetzt wirklich Franken für Franken durch das ganze 2016.

 Schlussstrich ziehen?

Ja.

Und die fehlenden 100’000 Franken der GGG? 

Da gibt es Aufwandverminderungen.

 Sie werden sparen?

Genau. Und Ertragserhöhungen. Die 100’000 Franken wollen wir sicher nicht über die Mitgliederbeiträge kompensieren. Der Wert der Mitglieder ist nicht monetär. Viel wichtiger ist ihre Teilnahme und der Einfluss auf den Verein Robi, das Know-how und die Beziehungen, die helfen werden.

Die ehemalige langjährige Verwaltungsratspräsidentin Charlotte Vonder Mühll-Vischer vermutete ja, dass der Fehlbetrag entstand, weil der Verein immer schneller noch grösser wurde. Wie sieht Ihre Wachstumsstrategie aus?

Wir hatten nie eine Wachstumsstrategie formuliert. Klar hätten wir uns auf die vier Robi-Spielplätze beschränken können. Aber in der Gesellschaft verändert sich ganz viel und immer schneller. Darum hatten wir immer wieder Pilotprojekte lanciert, aus denen sich zum Beispiel die Tagesferien entwickelten. Oder die Mittagstische vor zehn Jahren. Als dann die Basler Bevölkerung per Abstimmung die gesetzliche Einführung von Tagesstrukturen forderte, waren wir einfach der erste Anbieter mit dem grössten Know-how. Bis 2022 sollte jede Primarschule auch ein Tagesstruktur-Standort sein. Doch schon heute gibt es nur noch einen Primarschulstandort ohne Tagesstruktur.

«Wir haben bereits viele Ideen. Oder wirtschaftlich gesprochen: Die Robi-Produkte-Pipeline ist pumpenvoll!»

 Sie agieren nicht, sondern reagieren?

Ja. Vor fünf Jahren besuchten rund 25 Prozent der Schülerinnen und Schüler die Tagesstrukturen. Heute sind es schon 36 Prozent. Basel hat neu 200’000 Einwohner. Viele Schulbauten sind überlastet, weil immer mehr Schüler kommen. In dieser Situation sind wir der grösste private Kooperationspartner des ED. Und ich sage mal selbstbewusst: Wir leisten super gute Arbeit für die Kinder. Ausserdem sind wir ein verlässlicher Partner für das ED. Darum wollten die Primarschulleitungen auch mit uns zusammen die Tagesstrukturen anbieten. Waren wir nun naiv, dass wir jeweils zusagten?

 Ist dieses Geschäft denn defizitär?

Nein. Aber wir konnten nie konsolidieren. Jedes Jahr 50 neue Mitarbeitende, 200 Kinder und eine weitere Million oder sogar noch mehr Umsatz. Das ist viel Administration.

Und dort liegt Ihr Problem?

Unsere erste Priorität war immer: Kommt das Programm noch nach? Darum liefen wir auf verschiedenen Ebenen stets hinterher. Darum eröffnen wir jetzt keinen neuen Standort mehr, bis wir das im Griff haben. Erst nach der Konsolidierung werden wir Weiteres angehen. Und das müssen wir, denn die Gesellschaft wandelt sich weiter. Da gibt es bereits viele Ideen. Oder wirtschaftlich gesprochen: Die Robi-Produkte-Pipeline ist pumpenvoll!

Zum Beispiel?

Kinderbetreuung in den Ferien. Sorry, das meine ich nicht sarkastisch, aber Sie bei der TageWoche haben ja bald Zeit. Wenn Sie eine schlaue Idee für die nächsten Ferien haben – da liegt eine wahre Goldgrube.

Nach den letzten Monaten auf Stand-by scheint nun regelrechter Aktivismus auszubrechen.

Nein, jetzt zügeln wir uns erst mal. Das ist die Lehre der letzten Zeit. Da können Sie mich beim Wort nehmen. Aber Ideen haben wir immer. Und wir packen sie auch an. Das mag manchmal etwas hemdsärmelig daherkommen, aber inhaltlich überzeugen unsere Projekte zu 100 Prozent. Aber bei aller Begeisterung, bei allem Spass und Tatendrang: Jetzt müssen erst die Strukturen stehen.

Wird es dazu interne Schulungen geben?

Damit haben wir bereits angefangen. Und da geht es neben dem Finanziellen auch darum: Was ist unsere Haltung? Was ist das Gemeinsame, das Verbindende und der zu erreichende Konsens in unseren Tagesstrukturangeboten?

Akzeptiert das Personal solche Schulungen besser, wenn sie nicht mehr vom Feindbild GGG kommen?

Die GGG ist für mich weder Feindbild, noch würde ich persönlich jemanden dort als Feind bezeichnen. Die waren ja ganz, ganz lange eine sehr verlässliche Trägerin, seit 1996. Der Konflikt entstand ja erst im Frühling dieses Jahres und der Vorgabe, dass die von uns gelebten Werte, Normen und Haltungen radikal geändert werden mussten.

War der Konflikt rückblickend gar hilfreich – in dem Sinne, dass nun den Mitarbeitenden vermittelt werden kann, dass Finanzen und Strukturen vorerst höchste Priorität haben?

Vielleicht war der Konflikt eine Art Katalysator. Das kann ich so stehen lassen. Aber ich denke, klar war dies allen schon vorher. Vielleicht nicht in dieser Schärfe. Was aber phänomenal ist für einen Betrieb wie den Verein Robi: Wenn man dir mitteilt, man sei marode und nicht weiter überlebensfähig, und alle dann finden: «Nein, wir finden einen Weg!» Jede und jeder hat nun an etwas mitgeschafft, sein Profil geschärft und etwas erreicht. Nun können alle Mitglied werden und mitbestimmen. Der Verein Robi ist nun ein Projekt, wo Partizipation, Beteiligung und Mitsprache gelebt werden. Ich glaube, das gibt eine andere Geschichte als bisher. Das wird richtig toll.

Dossier Robi-Revolution

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