Der Zauberer hat jede Träne verdient

Matías Delgado hat in Basel Emotionen geweckt wie kaum ein anderer Spieler. Eine Würdigung zum Karriereende eines aussergewöhnlichen Fussballers.

Wenn das Feuer erlischt. Matías Delgado – hier im Cupfinal 2017 – beendet erschöpft seine glanzvolle Karriere. (Bild: KEYSTONE/Valentin Flauraud)

Es hatte etwas Herzzerreissendes. Wie Matías Emilio Delgado dasass, in schwarzem Hemd, ein helles Sakko darüber und mit dem Brillantschmuck am Ohr, der im Blitzlichtgewitter der Fotografen funkelte. Übermannt von Gefühlen wurde da ein 34-jähriger Mann, der gerade den Schlüsselsatz gesagt hatte. Einen, der ihm schwer fiel, der ihm jedoch auch eine Last zu nehmen schien: «Meine Karriere nimmt hier ein Ende.»

Die Tränen standen ihm in den Augen, sein Blick suchte im Mediensaal die Augen seiner Frau Maria-Laura. Dann weinten sie beide. Eigentlich fast alle im Raum. Und mit ihnen noch ein paar Menschen mehr in Basel.

Am Ende weinten alle: Matias Delgado beendet seine Karriere per sofort. Es ist der emotionale Moment eines Tages, der mit einem 3:1-Sieg eigentlich harmlos begonnen hatte.

Gar nicht mehr zu bremsen waren die Emotionen, als plötzlich einige Fans aus der Muttenzerkurve hinten im Saal standen. Mit Distanz wahrendem Abstand zur Medienveranstaltung. «Was tust du?», rief einer wie unter Schock, «ist das wirklich wahr?» Dann stimmten die Fans ein letztes Mal ihre Hommage für IHN an. «Delgado, oh, oh!»

Der Gefeierte war endgültig überwältigt, suchte Halt an der Schulter von Marco Streller und rang nach Worten: «Ich weiss gar nicht, ob ich das verdient habe.»

Doch, hat er.

Die nagenden Zweifel

Es war einer der bewegendsten Momente, die dieses Stadion erlebt hat. Nicht unten auf dem Rasen, wo um Punkte gerungen wird, sondern dort, wo wöchentlich die handelsüblichen Floskeln verbreitet und zuweilen die grossen Entscheidungen bekannt gegeben werden.

So wie dieser Rücktritt. Und der steht in mittelbarem Zusammenhang mit anderen einschneidenden Veränderungen, die dieser Club in den zurückliegenden Monaten erlebt hat.

Matías Delgado im «Teleclub»-Interview zu seinem Rücktritt

Im Januar diesen Jahres stand die Frage immer drängender im Raum, ob Delgado seinen Vertrag über Juni 2017 hinaus verlängern würde. Bernhard Heusler gab dem Captain quasi einen Freibrief. Delgado allein entscheide darüber. «Das war sehr clever vom Präsidenten, oder?» fragte Delgado rhetorisch. Immerhin war es eine Entscheidung, an der mehr hing als sein Millionen-Gehalt.

Delgado entschloss sich unter dem Beifall der Fangemeinde zum Weitermachen und musste kurz darauf zur Kenntnis nehmen, dass Heusler und Sportdirektor Georg Heitz beim FCB aussteigen. Die beiden, die 2013 Delgado und Basel wiedervereint hatten, die den Argentinier aus der arabischen Wüste zurückgeholt hatten. An den Ort, wo der 20-jährige Delgado, eine Entdeckung von Chefscout Ruedi Zbinden, mit wilder Mähne das Publikum ein erstes Mal verzückt hatte. «Sie haben es mir ermöglicht, dass ich noch einmal auf höchstem europäischem Niveau spielen konnte.»

Matías Emilio Delgado – der Fantasista

So dankbar, wie er Heusler und Heitz dafür ist, so irritiert war Delgado auch über deren Abgang. Ende April, in der Nacht der spontanen Meisterfeier, räsonierte Delgado bereits darüber, was der Umbruch für ihn bedeute. Und fast hatte man den Eindruck, er würde im Stadtcasino mit einem Drink in der Hand unvermittelt seinen Rücktritt erklären.

Dann kam der Sommer und die neue Führung.

Überfordert vom Plan seiner eigenen Neuerfindung

Raphael Wicky hatte die Neuerfindung Delgados im Sinn. Die Südländer haben für einen Spieler, der die Gabe für die aussergewöhnlichen Momente besitzt, den schönen Begriff des Fantasista. Und die Italiener unterscheiden dabei noch zwischen zwei Typen: dem offensiven Trequartista, wie ihn Zidane, Platini oder Ronaldinho verkörperten, und dem aus der Tiefe des Raums agierenden Regista. So interpretierte etwa Andrea Pirlo in der Spätphase seiner Karriere das Spiel.

Auf diesen Wandel liess sich Delgado eine Vorbereitung lang ein. Es gab Testspiele, in denen der geborene Zehner in neuer Position funktionierte, und solche, in denen er tiefer gestaffelt und dem Pressing des Gegners ausgesetzt, keine gute Figur abgab. Beim Quervergleich mit Pirlo verdrehte er die Augen: «Das war Juventus», beschied er drei Tage vor Saisonbeginn am Rande des Trainingsplatzes und deutete an, dass ihm der Rollentausch nach 15 Jahren nicht leicht fiel.

«Ich bin einfach erschöpft»

Deshalb wirkte alles, wie Delgado am Sonntagabend seinen Rücktritt zu erklären versuchte, sehr nachvollziehbar und sehr authentisch. Das erloschene Feuer, die fehlenden Prozente zur Topform, der mangelnde Glaube, der Mannschaft weiterhin nützlich zu sein und das über eine ganze Saison hinweg – diese Zweifel haben seit Wochen, seit Monaten – sprich, seit der Unterschrift unter die Vertragsverlängerung – an ihm genagt. Bis er nun gemerkt hat: «Ich bin einfach erschöpft. Und ich muss mir eingestehen, dass ich keine Hilfe mehr bin.»

Am Samstagmorgen bat er Trainer und Sportchef zum Gespräch, um ihnen seinen Entschluss zum Rücktritt zu eröffnen. Streller sagt, er habe keine Sekunde lang versucht, Delgado umzustimmen. Weil der Ex-Captain ein Déjà-vu hatte. Ihm selbst ist es so ergangen: Im November 2014 wurde verkündet, dass Streller noch ein Jahr dranhänge, und keine vier Monate später gab auch er sein Karriereende bekannt.

Was weder für Streller damals noch Delgado heute infrage kam, war, den Vertrag auszusitzen. «Ich möchte dem neuen Trainer gegenüber fair sein, und es ist mir ein Anliegen, mich bei den Fans zu entschuldigen, dass ich den Vertrag verlängert habe», sagt Delgado. Er wolle den Weg frei machen für junge Spieler, die ihre Zukunft vor sich haben. «Es ist richtig, dass ich ehrlich bin zu dem Club, der mir so viel Schönes gegeben hat. So ist es am besten für alle.»

Mit Grandezza und aufreizender Lässigkeit

Es gibt Leute im Club, die Delgado für den noch besseren Capitano gehalten haben als seinen Vorgänger Marco Streller. Einer, der mehr nach innen wirkte als nach aussen. Der unter Sozialkompetenz verstand, dass auch der hinterste Reservist bei der Prämienverteilung gleich behandelt wird.

Dabei gelang Delgado der Wiedereinstieg in Basel nicht mit der Leichtigkeit, die sein Fussballerwesen geprägt hat. Er musste lange arbeiten, um nur schon den Rhythmus in der Super League mitgehen zu können. Erst gegen Ende der ersten Saison nach der Rückkehr, im vorletzten Spiel beim meisterschaftsentscheidenden 3:1 in Aarau, war er wieder jener hinreissende Delgado, als der er verehrt wurde.

Meine Familie, meine Trophäen – und Roger Federer: Matías Delgado am 2. Juni im Joggeli, einem der letzten grossen Momente seiner Laufbahn als Profifussballer.

Von der zweiten Saison an schwang er sich dann nicht nur zu mehr Konstanz auf, sondern auch zum unwiderstehlichen Elfmeterschützen. Mit einer Mischung aus Grandezza und aufreizender Lässigkeit hat er jeden Ball vom Punkt verwandelt und in der Regel den Torhüter so lange ausgeschaut, bis der in die falsche Ecke unterwegs war. Eine bemerkenswerte Serie von 17 erfolgreichen Penaltys hat er so hingelegt; einen einzigen von insgesamt 24 in seiner Karriere, damals im Trikot von Besiktas, hat er nicht verwertet.

Solche Zahlen bleiben im Palmarès stehen, so wie die sechs Meistertitel und der Cupsieg mit dem FC Basel und die drei Titel mit Besiktas, wohin er 2006 für die damalige Rekordsumme von 7,5 Millionen Franken transferiert worden war. Und genauso unvergessen bleiben die unzähligen zauberhaften Augenblicke, die er diesem Spiel und seinen Fans beschert hat.

Zwischen Genialität und Beachmodus

Delgados Trainer in Basel, und das waren von 2013 an immerhin vier – Yakin, Sousa, Fischer und nun Wicky –, mussten auch Rücksicht nehmen auf die Belastbarkeit eines in die Jahre gekommenen Profis. Die Auswechslung nach einer Stunde oder 70 Minuten war zunehmend vorhersehbar. Auch für den Gegner. Manchmal hatte Samtfuss Delgado bis dahin schon seinen genialen Input geleistet, manchmal nicht.

Fast exemplarisch war die Performancekurve in diesem Frühjahr. Als der Meistertitel erneut eingefahren war, schaltete Delgado in den Beachmodus, um sich allerdings im Cupfinal noch einmal zu einer grossen Leistung aufzuschwingen. Sich nun einzugestehen, nicht mehr mithalten zu können – und auch nicht mehr zu wollen – sei ein schwieriger Prozess gewesen.

Sein Trainer zeigte sich überrascht wie alle anderen auch. Delgado hat demnach Raphael Wicky nichts spüren lassen von der Sinnkrise. Für die Startelf gegen Luzern sei Delgado vorgesehen gewesen, und er habe den alternden Spielgestalter nicht als Problem, sondern als Teil der Lösung betrachtet. «Jetzt müssen wir den Plan ändern», sagt Wicky.

Als der Vorhang am Sonntagabend fiel, die Tränen noch nicht getrocknet waren und Fragen unbeantwortet wie die, wer künftig Captain sein wird oder ob und wie die freie Kaderstelle besetzt wird, am Ende dieses Tages sagte Matías Emilio Delgado: «Es ist auch ein schöner Moment, um aufzuhören. Vielen Dank.»

Ganz unsererseits.

Matías Delgado – eine Karriere in Zahlen und Fakten


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