Der Mensch ist mitverantwortlich für den Regen: Klima-Experte Reto Knutti klärt auf

Der Regen hat diesen Frühling in der Schweiz und in Europa schon massive Schäden angerichtet. Und es regnet weiter. Ist dieses Wetter normal? Antworten von ETH-Professor Reto Knutti.

Professor Reto Knutti von der ETH Zürich.

(Bild: Valerie Chetelat)

Der Regen hat diesen Frühling in der Schweiz und in Europa schon massive Schäden angerichtet. Und es regnet weiter. Ist dieses Wetter normal? Antworten von ETH-Professor Reto Knutti.

Regen, Regen, Regen – der Frühling ist nass und unwirsch, die Region leidet. Allein die angerichteten Schäden im Baselbiet belaufen sich auf mehrere Millionen – europaweit hat das Wetter für verheerende Zustände gesorgt. Nach einem sonnigen EM-Auftakt regnet es munter weiter, und auch ein Blick auf die Prognose kann die Stimmung nicht wirklich aufhellen. Es bleibt die Frage: Warum regnet es soviel? Und was wird das Wetter in Zukunft machen?

Wir haben uns mit Reto Knutti, Professor für Klimaphysik von der ETH Zürich, über normales und extremes Wetter unterhalten. Er erklärt, warum Hochwasser nicht «Wetter» ist und inwiefern der Mensch das Wetter mitgestaltet.

Ist dieses Wetter normal?

Reto Knutti: Das Wetter ist immer relativ variabel. Unstabile Wetterlagen kommen ab und zu vor, in manchen Jahren im April, in anderen erst im Frühsommer. So gesehen ist das aktuelle Wetter nicht aussergewöhnlich. Die Frage ist aber, ob sich die Häufigkeit von extremen Wettersituationen wie der starken Regenfälle ändert. Wir können eine klare Veränderung von Extremereignissen feststellen, nicht nur von starken Niederschlägen, sondern auch von Hitzetagen. An 92 Prozent der Messstationen der Schweiz haben die starken Niederschläge seit 1901 zugenommen. An 35 Prozent der Stationen ist die Zunahme signifikant, was bedeutet, dass sie nicht durch zufällige Schwankungen zu erklären ist, sondern durch den Klimawandel. Deutliche Abnahmen gibt es nirgends.

Was hat der Klimawandel mit der Zunahme von Extremwetter zu tun?

Die Durchschnittstemperatur ist im vergangenen Jahrhundert in der Schweiz um etwa 2 Grad Celsius gestiegen – das ist enorm viel. Wenn es wärmer wird, nehmen damit nicht nur die Hitzetage wie im letzten Sommer zu. Wärmere Luft kann auch mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Pro Grad Erwärmung kann die Luft sieben Prozent mehr Wasser aufnehmen. Somit führt die gleiche Wettersituation bei höherer Temperatur zu intensiveren Starkniederschlägen. 

«Der Regen ist das Wetter. Für das, was danach am Boden geschieht, sind die Menschen mitverantwortlich.»

Was bestimmt bei uns das Wetter?

Das Wetter wird vor allem von der Herkunft der Luftmasse bestimmt, bei uns kommen diese am häufigsten aus dem Westen, oft sind es Fronten mit viel Feuchtigkeit. Kommen die Luftmassen aus dem Norden, haben wir bei uns die kalten Bisenlagen. Hitzewellen sind oft Folgen eines stabilen Hochdruckgebietes, das sich kaum bewegt. Angetrieben wird die Bewegung der Luftmassen durch die Atmosphärenzirkulation. Die Zirkulation der Hoch- und Tiefdruckgebiete ist das Resultat einer Umverteilung: Am Äquator heizt sich die Erde enorm auf, hier kommt viel Energie durch die Sonne in unser System hinein. An den Polen verlieren wir Energie. Diese Ungleichheit bewegt die Luftmassen, zusätzlich entstehen Wirbel durch die Rotation der Erde.

Extremwetter, Hochwasser – wie gehen wir damit am besten um?

Hierzu möchte ich eine wichtige Unterscheidung machen: Der Niederschlag, der von oben kommt, und die Überschwemmungen, die am Boden stattfinden, das ist nicht beides einfach «Wetter». Der Regen ist das Wetter. Für das, was danach am Boden geschieht, sind die Menschen mitverantwortlich. In der Raumplanung hat sich in den letzten Jahren viel getan: Der Hochwasserschutz ist gut ausgebaut, beispielsweise am Thuner See. Dort wurde ein Entlastungsstollen gebaut, durch welchen schon vor starken Niederschlägen Seewasser in die Aare abgeleitet wird und somit der Wasserpegel reguliert werden kann. Ausserdem gibt es bessere Wetterprognosen und Frühwarnsysteme und die Alarmierung funktioniert besser. Andernorts sind weniger schlaue Entwicklungen festzustellen. Heute baut man nicht mehr Hochparterre, sondern ebenerdige Wohnbereiche. Dann ist die feuchte Stube bei Hochwasser halt eine mögliche Konsequenz. Wir sind den starken Niederschlägen also nicht wehrlos ausgesetzt. Wir müssen aber die Infrastruktur vorausdenkend bauen, die wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Klimawandel einfliessen lassen, um damit die zukünftigen Risiken klein zu halten. Klimainformation sollte so selbstverständlich in die langfristige Planung einbezogen werden wie die Wetterprognose für die Entscheidung von morgen.

Kommen weitere Regen-Sommer auf uns zu oder kann der Mensch das Wetter nicht voraussagen und beeinflussen?

Langfristige Prognosen kann man höchstens über bestimmte Wetterphänomene wie «El Niño» machen oder eben über die Zunahme der Hitzetage. Wer aber etwas über das Schweizer Wetter im kommenden September prognostiziert, der lügt einfach, weil darüber im Moment niemand Bescheid wissen kann. Ebensowenig können die Menschen das Wetter an einzelnen Tagen beeinflussen, auch wenn das in der Vergangenheit zu militärischen Zwecken versucht wurde. Ähnlich dem Prinzip der heutigen Hagelraketen brachte man Kondensationskerne in die Atmosphäre, um die Wolken zum Regnen zu bringen – und die feindliche Armee je nachdem auszutrocknen oder zu verregnen. Fakt ist aber, der Mensch greift langfristig in die Entwicklung des Klimas ein und die globale Erwärmung über die letzten 150 Jahre ist weitgehend menschengemacht. Ohne Klimaschutz sagen Prognosen eine Erwärmung bis zu 4 Grad voraus und dann werden Extremereignisse wie die Starkniederschläge und die Hitzetage noch häufiger vorkommen.

 

Reto Knutti ist Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich. Er befasst sich mit den Veränderungen im globalen Klimasystem, die durch den steigenden menschlichen Ausstoss von Treibhausgasen wie Kohlendioxid verursacht werden, und Szenarien, die den Klimawandel begrenzen könnten. Reto Knutti ist Hauptautor des vierten und fünften Klimaberichts des „Intergovernmental Panel on Climate Change“ (IPCC), welche die wissenschaftlichen Grundlagen für internationale Abkommen zum Klimaschutz bilden. 

Nächster Artikel