Umbrüche an der Vogesenstrasse: Zwischengenutzte Altbauten weichen Eigentumswohnungen

Auf die «Villa Carmen» an der Vogesenstrasse folgt das Projekt Johannshof: Ein Beispiel, wie Zwischennutzung, Aufwertung und die Forderung nach mehr städtischem Wohnraum zusammenspielen.

Abbruch der «Villa Carmen»: Im Nachbargebäude, das hier noch steht, war das mit dem Neubau beauftragte Architekturbüro untergebracht.

(Bild: Michel Schultheiss)

Auf die «Villa Carmen» an der Vogesenstrasse folgt das Projekt Johannshof: Ein Beispiel, wie Zwischennutzung, Aufwertung und die Forderung nach mehr städtischem Wohnraum zusammenspielen.

Eine Zeit lang wucherten hier im Vorgarten die Rosen. Ein Tauschkasten sorgte mal für Aufsehen, aber auch für unerwünschtes Sperrgut. Und bis zuletzt gab es hier immer wieder kleinere Ausstellungen zu sehen. Die Rede ist vom Areal der «Villa Carmen», einem Altbau an der Vogesenstrasse 23. Den Kosenamen verdankt er seinen letzten Bewohnern.

Nun steht hier ein Bagger. Die zwei Altbauten an der Vogesenstrasse 23 und 25 sowie eine Holzscheune werden abgerissen. Anfang 2018 sollen unter dem Namen Johannshof zwei Gebäude mit Eigentumswohnungen stehen. Vor rund vier Jahren, als der einstige Eigentümer gestorben war, erwarben die Investoren Manuel Levy und Patrick Dreyfus vom Basler Familienunternehmen Regent Lighting die Parzelle. Am Neubauprojekt beteiligt sind zudem zwei Basler Firmen: das Architekturbüro Staehelin, Gisin und Partner sowie das Immobilienunternehmen Beurret und Partner für die Vermarktung. 

«Gut qualifizierte Leute» zieht es an die Vogesenstrasse

Geplant sind insgesamt 42 Eigentumswohnungen, verteilt auf ein fünfgeschossiges Vorderhaus und ein vierstöckiges Hofgebäude. Dazu kommen 42 Parkplätze. Die Wohnungen, die noch nicht vergeben sind, kosten zwischen 640’000 bis 940’000 Franken. «Ein mittleres Preissegment», wie der Immobilientreuhänder Dominique Beurret sagt, auch wenn es «um privilegiertes Wohnen» gehe.

Entsprechend sieht das Kundenprofil aus: «Eher gut qualifizierte Leute» hätten sich gemeldet, «etwa von Firmen wie Novartis, Roche und Actelion», sagt Beurret. Es seien aber auch «kreativ Tätige» dabei, und ein paar Expats sollen ebenfalls zu den künftigen Bewohnern gehören. Doch viele Käufer «wohnen bereits jetzt im Quartier oder in der Umgebung».



Das Modell für den Johannshof: An der Vogesenstrasse (rechts) soll das Vorderhaus stehen, dahinter das Hofgebäude mit einer kleinen Grünzone.

Das Modell für den Johannshof: An der Vogesenstrasse (rechts) soll Anfang 2018 das Vorderhaus stehen, dahinter das Hofgebäude mit einer kleinen Grünzone. (Bild: Michel Schultheiss)

Vielfältige Zwischennutzungen

Das Areal, wo diese Eigentumswohnungen entstehen, war im Quartier nicht ganz unbekannt. Die neuen Investoren hatten zahlreiche Zwischennutzungen ermöglicht, die in den letzten paar Jahren frischen Wind in die Vogesenstrasse brachten.

Ab 2012 bewohnten zwei junge Familien während eines Jahres zu günstigen Preisen den Altbau. Zu den Bewohnern gehörte unter anderem Andri Werlen, Mitbegründer des Rucksacklabels «Indiz». In der Holzscheune im Hinterhof befand sich sein Atelier. Zeitweise waren dort auch ein Maler, ein Designer und ein Jongleur untergebracht. Ein Schreiner, ein Tai-Chi-Raum, eine Velowerkstatt. Und das Kunstprojekt Pataphysisches Institut. «Es gab viel Raum für wenig Geld», erinnert sich Andri Werlen. «Dafür wurde der Zwischennutzungsvertrag immer nur für ein paar Monate verlängert.»

In der Zwischenzeit ist er mit seinem Label umgezogen. Dass sich sein ehemaliger Wohn- und Arbeitsort nun in ein Renditeobjekt verwandelt hat, findet er schade, aber auch nachvollziehbar: «Die Liegenschaft war schon in einem maroden Zustand», sagt Andri Werlen. «Um den Stil zu erhalten, hätte man die Substanz viel früher schützen müssen.»

Ein Schutz vor Hausbesetzern?

Nach den beiden Familien nutzten Studierende und Freiberufler den Altbau für eine Fünfer-WG – für monatlich 2200 Franken. Diejenigen, die das Haus liebevoll «Villa Carmen» tauften.

Bei Kritikern der Stadtaufwertung führt diese Art von Zwischennutzungen immer wieder zu Diskussionen: Einerseits können dadurch Mieter mit schmalem Budget eine Zeit lang günstig wohnen, arbeiten und neue kreative Impulse fürs Quartier bringen. Andererseits sichern sie dabei auch das Neubauprojekt ab.

Olivier, einer der ehemaligen WG-Bewohner der «Villa Carmen», sagt: «Mir ist schon klar, dass das vermutlich so gemacht wurde, damit das Haus nicht besetzt werden konnte.» Aus diesem Grund sieht er dem Projekt Johannshof mit gemischten Gefühlen entgegen: «Wenn man die Strasse anschaut, hat fast jeder nur für sich gelebt», stellt er fest. Mit der «Villa Carmen» verschwinde eine Wohnform, die das Ganze ein wenig aufgelockert habe.



Als die «Villa Carmen» noch stand: Nach dem Tod des Eigentümers kam es im Altbau sowie in der Hofscheune zu mehreren Zwischennutzungen. 

Als die «Villa Carmen» noch stand: Nach dem Tod des Eigentümers kam es im Altbau sowie in der Hofscheune zu mehreren Zwischennutzungen.  (Bild: Michel Schultheiss)

Das mit dem Neubau beauftragte Architekturbüro befand sich bis vor Kurzem während sieben Jahren gleich neben der «Villa Carmen», in der Nachbarschaft des einstigen Parzellen-Eigentümers. Für Architekt Dieter Staehlin ist klar: «Die beiden Häuser stehen zu lassen war keine Option.» Die zwei niedrigeren Altbauten mit dem Hinterhof und den Werkstätten standen in seinen Augen «wie eine Zahnlücke» in der Häuserzeile. Die einstige «Mini-Gewerbeinsel» steht noch immer, aber nicht mehr lange als Sonderling mitten in einer Wohnzone.

«Auf diesem Quartier lastete ein grosser Druck durch die Grossbaustellen, was zu einer Entvölkerung führte», findet er. Daher sieht Staehelin seine Aufgabe darin, dicht zu bauen, aber ohne Abstriche in der Wohnqualität. So soll etwa das entstehende Hofgebäude an der Vogesenstrasse von einer Grünzone umgeben sein. Und: «Wir möchten ermöglichen, dass auch Leute aus dem Quartier und nicht nur Manager Eigentum erwerben können», sagt Staehelin.

«Aufstrebendes Hip-Quartier» 

Die Bauarbeiten an der Vogesenstrasse stellen nicht den einzigen Umbruch im St. Johann dar. Das gleiche Architekturbüro plant am Burgfelderplatz, gleich beim Restaurant Al Giardino, weitere Eigentumswohnungen – wie ein mächtiger Schild soll sich der Neubau dort erheben. Und auch andere Firmen haben Projekte am Laufen, etwa in der St. Johanns-Vorstadt, wo das Gebäude der alten Post neuen Luxuswohnungen weichen wird.

Die Veränderungen stossen nicht nur auf Gegenliebe. Auf der Baustelle an der Vogesenstrasse hatten Unbekannte vor dem Abbruch der «Villa Carmen» ihre Slogans an die Fassaden gesprayt: «Abgerissen für Luxus», «Immobilienhaie stoppen».

Auf der Website des Projekts Johannshof liest sich der Wandel selbstredend ganz anders: «Zurzeit laufen einige städtebauliche Veränderungen, welche zur weiteren Aufwertung des Quartiers beitragen werden», heisst es da. Die Beispiele sind die Gegend um den Bahnhof St. Johann, das umgenutzte Hafenareal oder der Novartis Campus. Die Investoren wollen offensichtlich auf den Zug aufspringen. Das St. Johann habe in den letzten Jahren eine «deutliche Qualitätsverbesserung erfahren und wurde zum aufstrebenden Hip-Quartier, das auch viele Menschen aus der Pharmabranche und von der Universität anzog», ist auf der Website zu lesen. 

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