Irene Lüthi, heute feiern die SP Frauen Schweiz ihr hundertjähriges Bestehen. Die SP Frauen Basel-Stadt werden 95. Was war Ihr grösster Erfolg?
Wie weit die Frauen gekommen sind in den letzten 40 Jahren! Es gab so viele Backlashs in dieser Zeit. In der Umweltpolitik sind die Fronten verhärtet, Rechtspopulisten besetzen Migrationsthemen, es droht ein Sozialabbau. Aber es ist undenkbar, Frauen wieder aus dem Erwerbsleben zu verdrängen. Kein Politiker würde sich trauen, das zu fordern.
Wirklich? Es gibt Bestrebungen, das Recht auf Abtreibung einzuschränken und soeben hat der Bundesrat den Vaterschaftsurlaub zur Ablehnung empfohlen.
Ja, sie hängen einem alten Familienbild an. Aber wir haben jetzt so viel gut ausgebildete Frauen, die jeden Tag in der Erwerbsarbeit Wichtiges leisten, kein bürgerlicher Mann würde sich trauen, zu sagen: Frauen, zurück an den Herd.
Ist es heute strategisch noch sinnvoll, Gleichstellungspolitik zu machen als Frau? Mit Finanzpolitik könnte man sich stärker profilieren.
Gleichstellungspolitik heisst einfach, gleiche Rechte für alle Menschen zu fordern. Finanzpolitik oder Migrationspolitik gehören dazu.
Kürzlich haben tausende Frauen weltweit mit dem Hashtag #metoo gegen sexuelle Belästigung protestiert, auch in der Schweiz. Im März 2017 gingen tausende Schweizerinnen und Schweizer an den so genannten Women’s March. Ist Feminismus wieder cool?
Nein, ich glaube, es gibt einfach einzelne Themen, bei denen Frauen merken: Es berührt mich wirklich. Und dann engagieren sie sich. Aber das ist oft ein kurzfristiges Engagement, nicht wie in den 70er-Jahren, während der Zeit der neuen Frauenbewegung.
«Statt in der Pfadi waren die Kinder früher bei den roten Falken in der Partei.»
Wie war es in den 70ern?
Damals wurde frau Feministin und dann blieb man es bis zum Rest des Lebens. Das ist heute anders, aber das gilt ja für die ganze Parteiarbeit. Wir haben heute mehr Personalwechsel als früher.
Man hat weniger Zeit.
Ja, und mehr Möglichkeiten. Ich trat 1982 in die SP ein. Damals hatte ich kleine Kinder und fand in der Partei ein Netzwerk und Freundschaften. Heute bekommen die Frauen später Kinder und sind bereits vernetzt. Dieses Gemeinschaftsgefühl braucht man heute nicht mehr. Das hat man aber schon in den 80er-Jahren beklagt, das musste also davor noch viel stärker gewesen sein, am Anfang der Sozialdemokratie.
Inwiefern?
Anfangs des 20. Jahrhunderts war die SP wie eine Familie. Man machte Ausflüge und es gab eine Organisation für die Kinder. Statt in der Pfadi waren die Kinder bei den roten Falken in der Partei.
Der sozialistische Albtraum der Bürgerlichen.
Für mich war die Zeit mit den Kindern eine sehr politische. Ich war froh, konnte ich über die Politik reden: Über die Mutterschaftsversicherung oder die Fristenlösung und nicht die neusten Windeln.
«Wir waren überzeugt, dass wir die Gesellschaft ändern müssen und nicht nur uns selber. Jetzt ist es umgekehrt.»
Gab es denn keine Diskussionen darüber, wie man Kinder erziehen soll?
Nein, es war weniger individualisiert. Wir redeten darüber, wer wieviel im Haushalt macht oder über die Partnerschaft.
Das tut man heute auch.
Ja, aber es war weniger ein eigenes Problem und mehr ein gesellschaftliches. Wir waren überzeugt, dass wir die Gesellschaft ändern müssen und nicht nur uns selber. Jetzt ist es umgekehrt, wenn ich mir diese Mamablogs anschaue. Was die Mütter sich da alles fragen – etwa, wie man sich im Schwimmbad benimmt und ob man ein Einzelkind haben darf. Stress pur!
Warum machen sich Frauen diesen Stress?
Das hat wirtschaftliche Gründe. In den 80er-Jahren hatten wir das Gefühl: Die Arbeitswelt wartet nur auf uns. Wir können Forderungen stellen, zum Beispiel Teilzeitstellen.
Heute hat man Panik davor, wie der Chef wohl reagiert, wenn man ihm beichtet, dass man schwanger ist.
Ja, diese Bitthaltung hatten wir nicht.
«Ich hoffe, dass ich noch erleben darf, dass wir eine Liste mit Frauen füllen müssen, weil die Männer fehlen.»
Warum traten Sie eigentlich der SP bei? Damals gab es doch auch die Organisation für die Sache der Frau (Ofra) und die linke Partei Poch, die lautstark auf die Strasse gingen. Die SP galt eher als verstaubt, wenn es um Feminismus ging.
Das stimmt, deshalb trat ich erst in den 80ern bei. In den 70er-Jahren war mir das zu schwierig. Damals hatte es noch die alten Genossen, die ein altes Frauenbild hatten. Aber als ich eintrat, hatte es bereits mehrere junge Frauen und die Strukturen waren anders. Dank eben diesen lauten und mutigen Ofra-Frauen, die den alten Herren auf die Füsse getreten waren. Dann begannen die Quotendiskussionen und seit den 90ern haben wir die Quote in den Statuten.
Und die Diskussionen dauern bis heute an. Bei den Riehener Gemeinderatswahlen im Sommer hat die SP sogar die Quote ausser Kraft gesetzt, weil sie keine Frauen hatte.
Die SP Riehen hat wenig Leute, sie hatte einen grossen Mitgliederschwund und eine starke Überalterung.
Dabei waren sie Pionierinnen: Riehen war 1958 die erste Deutschschweizer Gemeinde mit Frauenstimmrecht.
Ja, viele Genossinnen waren in Riehen bis zur Jahrtausendwende aktiv. Doch es kam keine Generation nach.
Sind Sie wütend deswegen?
Die Parteien können immer mehr machen punkto Frauenförderung. Ich war aber nicht auf die Riehener Sektion wütend, sondern dass mir das passiert – immer wieder und wieder höre ich in Parteiversammlungen: Wir haben keine Frau gefunden. Ich habe dann ein Votum gehalten und gesagt: Ich will, das mir das nicht mehr passiert. Einmal im Leben will ich hören: «Wir haben leider keinen Mann gefunden und müssen die Quote brechen, um die Liste mit Frauen zu füllen.» Ich hoffe, dass ich das noch erleben darf.
Wurden Sie gehört?
Die Riehener Männer kamen dann alle zu mir, um sich zu erklären und entschuldigen.
In Basel-Stadt passiert das Gegenteil: Sie haben so viele Frauen und Männer, dass es Krach gibt, wer auf die Grossrats-Liste darf.
Ja, einerseits haben wir Alphatierchen, die auf die Liste wollen. Andererseits ist es aber immer noch schwierig, Frauen zu motivieren, auf die Liste zu kommen und das Mandat anzunehmen.
«Dieses Gefühl, Pionierin zu sein, gab Energie. Heute ist es selbstverständlich geworden.»
Liefert die Juso keinen Nachwuchs?
Ja, es hat toughe Frauen, die durch die Juso reinkommen, so wie Sarah Wyss. Die vielleicht noch keine Familie und grosse Lust haben, etwas zu verändern. Und es gibt die, die man wirklich motivieren muss, immer wieder, an Themen zu arbeiten und sich in den Parteigremien einzubringen. Oft, weil sie Kinder und einen Job und sonst keine Zeit haben.
Ist es nicht einfach auch unattraktiv, in einem Ellbogenmilieu wie der Politik mitzumachen, wo die Männer sich ständig auf die Brust trommeln und zeigen, wer der Chef ist?
Es gibt schon Frauen, die das nicht brauchen. Heute haben Frauen Auswahlmöglichkeiten, man muss sich nicht mehr über Politik bestätigen.
War das anders, als Sie jung waren?
In den 70er-Jahren war man natürlich Pionierin. Und hat Pionierinnen wie Anita Fetz vor sich gehabt und sah dann: Die erreicht etwas, das will ich auch. Dieses Gefühl, Pionierin zu sein, gab Energie.
Und jetzt sind alle müde.
Heute ist es selbstverständlich geworden. Vor etwa vier Jahren haben wir bei den SP-Frauen plötzlich gemerkt, dass wir alles haben: eine Parteichefin (Brigitte Hollinger), eine Regierungsrätin (Eva Herzog), eine Ständerätin (Anita Fetz), eine Nationalrätin (Silvia Schenker) eine Fraktionspräsidentin (Beatriz Greuter) und eine Juso-Präsidentin (Sarah Wyss).
Das hat aber nicht lange gehalten, mittlerweile hat die SP einen Präsidenten.
Ja, aber es ist möglich. Das gibt den jungen Frauen natürlich auch ein Signal.
«Wir müssen eine Frau stellen, weil die anderen es nicht machen.»
Das könnte sich aber ändern: In der SP steht ein Generationenwechsel an und die Leute bringen sich in Stellung. Gemäss parteiinterner Amtszeitbeschränkung müssten Ihre Regierungsrätin, Ihre Stände- und Ihre Nationalrätin nächstens zurücktreten. Was tun die SP Frauen, dass diese Positionen wieder von Frauen besetzt werden?
Ich habe mir gerade Anita Fetz’ Standardwerk angeschaut: «Frauen auf dem öffentlichen Parkett» aus dem Jahr 2001. Damals redete man über die Amtszeitbeschränkung als Instrument, um Frauen auf wichtige Positionen zu bringen. Und jetzt gibt es auch Genossinnen, die diese Amtszeitbeschränkung nicht mitmachen wollen.
Sie reden von Anita Fetz und Silvia Schenker. Ist es nicht okay, wenn jetzt auch mal Alphafrauen ihre Macht ausschöpfen?
Die Amtszeitbeschränkung ist für junge Leute, ob männlich oder weiblich, eine Möglichkeit, mitzumachen. Wie alt sollen Politiker sein, wenn sie ein Amt antreten? Müssen Ständeräte alle zwischen 55 und 65 sein?
Die Rotation wird kommen. Haben die SP Frauen eine Strategie, die freiwerdenden Ämter wieder mit Frauen zu besetzen?
Warum fragen Sie das nicht die bürgerlichen Parteien? Die können auch mal Frauen aufstellen. Der SP geht es jetzt wie der CVP bei den nächsten Bundesratswahlen. Sie sagt: Wir haben seit Jahren Doris Leuthard im Bundesrat, wenn sie geht, ist die FDP dran, eine Frau zu stellen. Dasselbe haben wir jetzt bei der SP, wir müssen eine Frau stellen, weil die anderen es nicht machen.
Sie können als SP nicht den Anspruch haben, eine fortschrittliche Gleichstellungspartei zu sein und dann die Verantwortung an die Bürgerlichen abgeben.
Aber mal angenommen, die LDP stellt bei den nächsten Ständeratswahlen Christoph Eymann auf statt Patricia von Falkenstein, dann gibt es keinen Aufschrei von den Journalisten. Dabei würde es die Ausgangslage für die Geschlechtergerechtigkeit ändern und wir würden als SP nicht als einzige die Gleichstellung garantieren müssen.
«Ich wünsche mir, dass bei einer nächsten Wahl gleich viel gute Frauen wie Männer auf der Liste sind.»
Der Vorwurf stimmt nicht, die Basler Medien berichten immer wieder darüber, dass die Bürgerlichen ein Frauenproblem haben.
Die FDP hat nur eine Grossrätin, weil Martina Bernasconi die Partei gewechselt hat.
Das können Sie gerne kritisieren, dennoch ist es die Verantwortung der SP, eine Auswahl zu geben. Deshalb frage ich nochmals: Schauen die SP-Frauen, dass im Generationswechsel, den die SP vollziehen muss, Frauen drin sind?
Klar. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Wenn dann die Zeit gekommen ist, reden wir darüber.
Für die Regierungsratswahlen wird immer wieder Kaspar Sutter genannt, obwohl er erst seit den letzten Wahlen im Grossen Rat ist. Bauen Sie Tanja Soland als Gegenkandidatin auf? Der Grossrätin werden auch Ambitionen nachgesagt.
In den Medien wird er genannt, in den Parteigremien ist das noch kein Thema.
Haben Sie keine Angst, dass er kommt und nicht eine Frau, wie etwa Tanja Soland?
Was heisst Angst? Ich wünsche mir, dass bei einer nächsten Wahl gleich viel gute Frauen wie Männer auf der Liste sind. Aber ich muss deshalb keinen guten Mann verhindern.
Aber als SP-Frauen müsste man doch – bei der Aufmerksamkeit, die Sutter bekommt – sofort eine Frau in Stellung bringen.
Sie wissen, wie das funktioniert. Es ist schwierig, sich bei den Medien in Stellung zu bringen.
Kaspar Sutter hat keine Probleme. Er haut alle paar Wochen einen Blogbeitrag zu aktuellen Themen raus und die Medien beziehen sich darauf.
Bei Männern wird das goutiert, bei Frauen würden alle sagen: Schau mal, wie die schon rudert, so unsympathisch. Ist es richtig, wenn Frauen genau gleich auftreten wie Männer? Kriegen wir nur eine Regierungsrätin, wenn sie in der gleichen Art früh Pflöcke einschlägt wie ein Mann? Oder kann man sich auch mit langjährigem Fachwissen und politischem Inhalt in Position bringen?
«Wir setzen nicht auf einzelne Namen, sondern haben eine allgemeine Strategie.»
Vielleicht. Die Baslerinnen und Basler wählen ja nicht unbedingt die Frauen, die den Journalisten passen. Ich denke da an Elisabeth Ackermann oder Sibel Arslan, beide wurden von den Medien zerzaust und trotzdem gewählt. Vielleicht ticken Wählerinnen anders als Journalisten.
Wenn die «bz Basel» schreibt, der Ehemann von Regierungspräsidentin Elisabeth Ackermann habe mehr Macht als sie, ist das doch daneben. Da werden wir gleichstellungspolitisch Jahrzehnte zurückkatapultiert – das können Journalisten einfach nicht mehr machen. Da sind die Wählerinnen und Wähler sensibel genug, um zu realisieren: Noch nie hat ein Journalist bei einem Regierungsrat gesagt, die Macht habe eigentlich seine Frau.
Sie lassen sich also gar nicht auf solche machtpolitischen Spielchen ein.
Die SP-Frauen sehen sich als Bewegung, die langfristig Gleichstellung voranbringt. Wir sehen uns nicht in diesen personifizierten Machtkämpfen, welche die Medien so gerne haben.
Sondern?
Wir schauen dafür, dass wir ehemalige Fraktionspräsidentinnen und andere engagierte Parteifrauen so nahe halten, dass man sie bei Regierungsratswahlen ganz selbstverständlich aufs Ticket setzen kann. Wir setzen nicht auf einzelne Namen, sondern haben eine allgemeine Strategie.
Funktioniert das?
Bei den Wahlen haben wir immer genug gute Frauen, die sagen: Klar komme ich aufs Ticket, klar traue ich mir das zu. Und wenn ein Mann gleichstellungspolitisch besser ist als die Frau, dann wähle ich den Mann. Wenn zum Beispiel Kaspar Sutter aktuell kritisiert, dass die Kita über Weihnachten zu hat, finde ich das gut. Früher profilierten sich nur Frauen mit solchen Themen.
Wo konnten die SP Frauen sonst noch ihren Einfluss in der Partei spielen lassen?
Als zum Beispiel das neue Wirtschaftspapier in die parteiinterne Vernehmlassung kam. Und wir SP-Frauen sagten: Da fehlt die Betreuungsarbeit, die Gratisarbeit, die wir Frauen leisten.
Was passierte?
Den Männern – es waren typischerweise nur Männer in der Sachgruppe Wirtschaft – war es peinlich. Wir Frauen arbeiteten dazu eine Strategie aus.
Wie lautet sie?
Früher fokussierte man viel zu sehr auf Kinder. Jetzt merkt man, es geht auch um ältere Leute. Frauen zwischen 45 und 65 reduzieren ihre Arbeit, weil sie noch für ihre Eltern oder Schwiegereltern sorgen, für Jahrzehnte. Und riskieren so Einbussen bei den Sozialversicherungen. Da muss es viel stärkere Gutschriften in AHV und Pensionskasse geben.
«Ich glaube, dass die Generationen eher wieder etwas zusammenwachsen.»
Ist es realistisch, dass Frauen weiterhin ihre Eltern und Schwiegereltern pflegen? Bei meinen Freundinnen herrscht da Konsens: Wir machen das nicht.
Ich bin nicht sicher. Untersuchungen zeigen, dass die Grosseltern je länger je mehr leisten. Und das Verhältnis zwischen den Generationen dünkt mich entspannter als früher. Und dadurch sind Grosseltern sehr viel stärker in die Familienarbeit integriert. Ich bin überzeugt, dass Töchter und Söhne nachher denken: Die haben uns auch viel geholfen, jetzt gebe ich etwas zurück. Ich glaube, dass Generationen eher wieder etwas zusammenwachsen.
Was nicht schlecht ist.
Es hilft allen, wenn man gegenseitig zueinander schaut und trotzdem miteinander reden kann. Und das gilt auch für Grossväter, die ihre Enkel betreuen. Die Grossväter übernehmen heute auch mehr.
Ihr Mann auch?
Klar, mein Mann auch. Wir haben uns Beruf und Familie aufgeteilt, so machen wir es auch mit den Enkeln.
Sonya Schmidt, eine frühere Präsidentin der SP-Frauen Schweiz, sagte: «Wenn es um Macht geht, die Mann hat und Frau nicht, verhalten sich auch die Genossen wie Männer allgemein und weniger als von Gerechtigkeit beseelte Sozialdemokraten.» Ist das immer noch so?
Die Partei kämpft dagegen. Im Oktober verabschiedete die SP Schweiz an der Delegiertenversammlung Forderungen, dass Männer sich zurücknehmen sollen für Frauen. Wenn sie zum Beispiel von der Arena angefragt werden, müssen sie für eine Frau Platz machen.
Macht das den SP-Männern nichts aus?
Nein, es ging erstaunlich leicht durch. Wenn die Männer von einer Partei profitieren wollen, in der Gleichstellung hochgehalten wird, müssen sie auch etwas dafür tun.
3. November Jubiläumsfest SP Frauen Schweiz. Infos.