Fast 300 Leser sind unserem Aufruf gefolgt, sich zum neuen Verkehrskonzept zu äussern. Diese neun Aussagen lassen sich herauslesen.
Seit drei Monaten in Kraft hat das Verkehrskonzept Innenstadt in den letzten Tagen wieder für Gesprächsstoff gesorgt. Mit dem Schuhladen Botty hat ein weiteres Traditionsgeschäft die Geschäftsaufgabe bekannt gegeben. Und diese unter anderem mit dem Verkehrskonzept begründet. Während an manchen Orten also bereits konkrete Folgen des neuen Regimes sicht- und spürbar sind, ist die Verwaltung noch nicht ganz so weit. So harrt etwa die Software für Zufahrtsbewilligungen noch der Betriebsbereitschaft.
Wir wollten währenddessen der Bevölkerung mit einer Umfrage den Puls fühlen. Bis Anfang Woche sind fast 300 Personen unserem Aufruf gefolgt, ihre Meinung zum neuen Verkehrskonzept kundzutun. Aus den vielen interessanten und differenzierten Antworten haben wir versucht, Tendenzen und Zusammenhänge herauszufiltern. Diese ergänzen wir mit besonders interessanten Wortmeldungen und spannenden Beobachtungen.
Die Fragen waren bewusst offen gestellt, um eine möglichst grosse Bandbreite an Antworten zuzulassen. Kurze Statements und Einwürfe waren ebenso gefragt, wie ausgewogene Schilderungen und präzise Beobachtungen. Die bunt gemischte Menge von Rückmeldungen haben wir sodann inhaltlich gruppiert und gewichtet (je grösser ein Kreis, desto grösser die Anzahl entsprechender Aussagen). So konnten wir folgende neun Grundaussagen identifizieren:
Seit Anfang Jahr müssen die Autos einen Bogen um die Innenstadt machen, sofern sie nicht eine der zahlreichen Ausnahmeregelungen in Anspruch nehmen können.
Wir ziehen in unserem Wochenthema eine erste Bilanz.
Durch Klicken auf die Kreise gelangen Sie direkt zu den gruppierten Aussagen.
Und wer es ganz genau wissen will, kann sich hier die vollständigen Antworten ansehen.
«Für mich hat sich nichts verändert.»
Die mit Abstand häufigste Antwort. Für rund jeden vierten Teilnehmer unserer Umfrage hat sich im Alltag seit dem 5. Januar nichts geändert. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass diese Feststellung meist von Personen gemacht wird, die ohnehin kaum mit dem Auto in die Innenstadt fahren. Aus Sicht vieler Fussgänger, Velofahrer und öV-Benutzer bedeutet das neue Verkehrskonzept also weder eine Verbesserung noch eine Verschlechterung. Beispielhaft ist diese Aussage:
«Ich komme mit dem Velo zur Arbeit. Aber auch ‹automässig› hat sich meines Erachtens nichts geändert. Gefühlsmässig hat es noch genauso viele Autos in der Innenstadt wie vorher.»
Einige beliessen es nicht bei einer simplen Beobachtung, sondern lieferten auch gleich eine ganze Auswahl an möglichen Gründen für die ausgebliebene Veränderung. So finden zahlreiche Umfrage-Teilnehmer, dass die Verkehrsberuhigung nicht konsequent genug umgesetzt beziehungsweise durchgesetzt wurde.
«Ich bekomme an keinem Ort das Gefühl, dass es jetzt autofrei ist. Dies liegt natürlich an all den Fahrzeugen, die immer noch in der Kernzone verkehren, mit oder ohne Bewilligung.»
Andere wiederum bemängeln einen falschen Ansatz des neuen Regimes.
«Gestört hat mich in der Innenstadt bislang vor allem, dass jedes Tram da durch muss.»
Folgende Aussage schliesslich bringt den Grundtenor dieser Gruppe auf den Punkt. Der Urheber bringt sein Unverständnis für die Argumente von Befürwortern und Verwaltung zum Ausdruck angesichts der Tatsache, dass sich ja ohnehin kaum etwas verändert hat.
«Die Diskussion um ‹verbesserte Lebensqualität› finde ich angesichts der geringen Veränderungen etwas lächerlich.»
«Ich sehe im neuen Verkehrskonzept keine Vorteile.»
Vorteile des neuen Konzepts wurden von vielen Teilnehmenden verneint: In 68 Antworten kam zum Ausdruck, dass das neue Konzept keine Vorteile bringe.
Im Rahmen der Umfrage haben wir auch Hintergrundinformationen wie den Arbeits- und Wohnort erfasst. In Bezug auf die Vorteile des neuen Konzepts unterscheiden sich die drei Gruppen deutlich. 40 Prozent der Teilnehmenden, die in der Innenstadt arbeiten, sehen keine Vorteile. Wer in der Innenstadt wohnt, scheint das neue Konzept positiver zu sehen: Nur 19 Prozent erkennen keine Vorteile. Von denjenigen, die weder in der Innenstadt wohnen noch arbeiten, sieht ein Viertel keine Vorteile.
Ein Leser bringt das Dilemma auf den Punkt:
«Praktisch in der Umsetzung keine (Vorteile, Red.). Es hat immer noch zu viel Verkehr mit Lieferwagen, Velofahrern, welche sich nicht an Fahrverbote halten etc. Theoretisch wäre aber eine verkehrsberuhigte Innenstadt ganz schön.»
«Das Verkehrskonzept bedeutet eine Verschlechterung.»
Die Bandbreite der kritischen Stimmen reicht von «mit dem neuen Verkehrskonzept ist alles umständlicher geworden» bis «das neue Regime ist ein Wirtschafts-Killer». So beklagen sich zahlreiche Personen darüber, dass eine Fahrt in die Innenstadt nun viel Planung verlange, wenn man überhaupt eine Bewilligung bekomme. Für einige, die zum Arbeiten in die Innenstadt müssen, habe sich ausserdem der Arbeitsweg verlängert.
«Die Erledigung von Kundenaufträgen wird komplizierter, aufwendiger, teurer! Als Dienstleister wird man unnötig schikaniert.»
«Es wird schwieriger, einen Parkplatz zu finden, um in die Innenstadt zu gelangen. Schnell etwas abholen in der City ist nicht mehr möglich.»
Ausserdem wird eine Verlagerung des Autoverkehrs in die Aussenquartiere und auf die Einfallstrassen festgestellt. Wer mit dem Auto in die Innenstadt will, stehe nun öfter im Stau.
«Viel mehr Verkehrsaufkommen auf den Achsen Feldbergstrasse–Johanniterbrücke, auf der Wettsteinbrücke sowie auf dem Aeschenplatz. Letzterer ist völlig überlastet.»
Interessant ist auch das Geständnis dieses Umfrage-Teilnehmers, der eine Folge des neuen Regimes beschreibt, die wohl kaum im Sinne des Erfinders ist.
«Jetzt gehöre ich zum Quartiersuchverkehr beim Parken.»
Viele Menschen stören sich daran, dass in den neuen 30er-Zonen die Fussgängerstreifen entfernt wurden. Dadurch habe sich die subjektive Sicherheit der Fussgänger verschlechtert.
«Die Fussgänger leben viel gefährlicher, da es in den ‹Begegnungsstrassen› keine Fussgängerstreifen mehr gibt.»
Ein tragischer Einzelfall, deshalb jedoch nicht weniger relevant, hinter dieser Aussage.
«Ich habe meine Berufstätigkeit als Physiotherapeutin, die ausschliesslich Hausbesuche anbot (sehr viele Patienten und Patientinnen in der Innenstadt), wegen des neuen Verkehrskonzepts aufgeben müssen.»
«Ich vermeide es, in die Innenstadt zu gehen.»
«Es tötelet», das ist der Tenor gewisser Aussagen, die martialisch anmuten und die Leblosigkeit der autofreien Innenstadt heraufbeschwören. Ein besonders kreativer Umfrage-Teilnehmer sah sich zu einer Western-Analogie hingerissen:
«An kalten Winterabenden fehlt eigentlich nur noch das Tumbleweed, um die Aeschenvorstadt zur perfekten Szenerie für einen Showdown zwischen Billy The Kid und Jack Beauregard zu machen.»
Abgesehen von diesem Spott kommt in 31 Aussagen zum Ausdruck, dass das Zentrum seit dem 5. Januar an Lebendigkeit und Vitalität verloren habe. Dadurch verkomme die Innenstadt zur blossen «Freizeitzone». Der Frust geht bei manchen soweit, dass sie die Innenstadt gar komplett meiden und auch zum Einkaufen oder Essen nicht mehr ins Stadtzentrum fahren. Begründet wird dieses Verhalten etwa mit der Undurchsichtigkeit der neuen Regelung:
«Ich kaufe nicht mehr in der Innenstadt ein. Denn ich fahre häufig versehentlich in verbotene Strassen und weiss dann nicht, wie ich wieder rausfinde.»
In der radikalsten Ausprägung bedeutet das dann:
«Ich gehe nicht mehr in die Innenstadt zum Shoppen und Einkaufen. Kann direkt nach Deutschland fahren.»
«Das neue Verkehrskonzept ist zu komplex und führt zu Verwirrung.»
Nicht wenige Umfrage-Teilnehmer fühlen sich vom neuen Regime etwas überfordert. Die Kommunikation seitens der Verwaltung ist offensichtlich nicht geglückt.
«Oft ist es enorm schwierig bis gar nicht zu verstehen, ob man irgendwo nun parkieren darf oder nicht. Die Schilder sind inzwischen sehr komplex.»
Der Schilderwald ist aber nicht nur für Autofahrer ein Dickicht, auch E-Bike-Fahrer sind gefordert:
«Ich muss mir genau überlegen, wann ich wo mit dem Fahrrad durch die Innenstadt fahren darf und wann nicht und wo ich den E-Bike-Antrieb abstellen sollte.»
«Es ist sehr mühsam und aufwendig eine Zufahrtsbewilligung zu erhalten.»
Auf deutliche und teils harsche Kritik stösst das Bewilligungssystem. Berufsleute, die für das Einholen von Bewilligungen zuständig sind, beklagen sich über das «an Willkür grenzende Chaos» des zuständigen Amtes. Handwerkereinsätze werden erschwert, und kurzfristige Dienstleistungen in der Innenstadt sind durch den Bürokratie-Dschungel nahezu unmöglich.
«Mühsames Bewilligungsverfahren für Handwerkereinsätze. Vermehrter bürokratischer Aufwand. Kurzfristige Einsätze kaum mehr möglich.»
Wegen des neuen Verkehrskonzepts ist für Handwerker ohne gültige Bewilligung ab 11 Uhr Feierabend:
«Wir sind ein Handwerkerbetrieb. Sämtliche Arbeiten müssen vor 11 Uhr erledigt sein, danach ist nur mit Bewilligung ein Zugang möglich. Sehr mühsam bei Notfällen!»
Im Bereich des Personentransports wird die Ungleichbehandlung moniert, die sich aufgrund der unterschiedlichen Bewilligungen ergibt:
«Als ein gewerbsmässiger Personentransport wird uns die Zufahrt zum Ab- und Aufnehmen der Fahrgäste in der Kernzone verboten. Hingegen wird den Taxis die Zufahrt erlaubt. Dies berührt uns in der Wirtschaftsfreiheit.»
Und eine Antwort, falls tatsächlich der Wahrheit entsprechend, zeigt auf, wie absurd das Bewilligungsverfahren sein kann:
«Ich komme nicht mehr an mein Haus, weil ich keine Bewilligung mehr erhalten habe.»
«In der Innenstadt hat es merklich weniger Verkehr und parkierte Autos.»
Wer nach 11 Uhr zu Fuss oder per Velo in der Innenstadt unterwegs ist, darf sich an verkehrsbefreiten Strassen erfreuen. Besonders augenfällig ist dies bei der Mittleren Brücke, in der Falknerstrasse und in der Rheingasse. Wo früher beide Strassenseiten zuparkiert waren, ist heute freie Bahn.
«Die Ausstrahlung der Mittleren Brücke ohne Autos gefällt mir extrem gut.»
«Ich erlebe die Innenstadt entspannter. Zum Beispiel die Schifflände, früher immer ein stressiger, unübersichtlicher Ort, ist viel angenehmer.»
Doch die ruhigere Innenstadt wird nicht nur von Passanten geschätzt. Auch wer gerne auf einem der Plätze oder in einem Strassencafé verweilt, geniesst die entspanntere Atmosphäre. Gerade in dieser Zielgruppe ist bereits eine Vorfreude auf die wärmeren Monate spürbar. Viele Menschen gehen davon aus, dass gewisse Verbesserungen des neuen Regimes erst dann wirklich sichtbar werden.
«Die Attraktivität der Innenstadt wird enorm erhöht. Diese Auswirkungen werden sich vor allem in den Sommermonaten zeigen.»
«Ich hoffe sehr, dass sich das neue Verkehrskonzept in der wärmeren Jahreszeit richtig auswirkt, mit neuen Strassenbeizen und überhaupt mehr Leuten und Belebung im öffentlichen Raum.»
«Die Innenstadt ist attraktiver geworden.»
Dank weniger Verkehr und mehr Platz hat die Innenstadt für viele Leser an Attraktivität gewonnen. Dies gilt natürlich insbesondere für die Fussgänger und Velofahrer, die ihre Freizeit in der Stadt verbringen wollen.
«Ich gehe wieder gerne in die Stadt.»
Deutlicher könnte der Kontrast nicht sein. Während einige Leser die autofreie Innenstadt als leblos wahrnehmen, finden andere Gefallen am neuen Verkehrskonzept.
«Ich fahre kein Auto und erfreue mich deshalb sehr an dem neuen Verkehrskonzept. Da ich oft den Arbeitsweg auch zu Fuss durch die Stadt mache, finde ich diese Änderung einfach nur herrlich.»
Die Innenstadt sei ruhiger, entspannter und schöner geworden. Der Kritikpunkt, dass die Stadt nur noch für die Freizeit tauge, wird von einigen Umfrage-Teilnehmern als Verbesserung geschätzt.
«Ich habe mehr Platz zum Flanieren.»
In den Aussagen geht es aber nicht nur um die individuellen Bedürfnisse, sondern auch darum, dass die Innenstadt jetzt wieder ein Ort der Begegnung sei. Weniger Autos und Verkehr bedeutet für einige schlicht: mehr Zeit und Musse für den sozialen Austausch. Mancher feiert das neue Verkehrskonzept sogar als Rückeroberung der Strassen.
«Die Innenstadt ist mehr Begegnungsraum geworden und weniger eine stressige Verkehrsfläche.»
«Die Strassen gehören wieder der Quartierbevölkerung und denen, die hier zum Einkaufen kommen.»
«Für Velofahrer hat sich vieles verbessert.»
Jene Gruppe, die im neuen Verkehrskonzept wohl die deutlichsten Verbesserungen sieht, sind die Velofahrer. Auf der Liste der Vorteile stehen zuoberst die neuerdings in beide Richtung befahrbare Eisengasse und die Strasse vor dem Rathaus. Damit ist der Weg vom Kleinbasel über die Mittlere Brücke in die Innenstadt um einiges direkter und schneller geworden. Was früher ein verbotener Schleichweg für draufgängerische Velofahrer war, ist jetzt offizielle Route. Der mühsame Umweg über die Spiegelgasse fällt weg.
«Als Velofahrerin geniesse ich die autofreien Strassen in vollen Zügen. Auch ganz toll finde ich, dass ich nun neuerdings von der Mittleren Brücke direkt via Eisengasse zum Marktplatz und weiter fahren kann und der lästige Umweg via Spiegelgasse Geschichte ist.»
«Als Velofahrer darf ich nun legal die gewohnten Strecken fahren.»
«Freiere Fahrt per Velo.»
Die neue Freiheit für Velofahrer kommt jedoch nicht bei allen gut an. Manch einer fühlt sich nun statt von Autos von rücksichtslosen Zweirädern bedroht.
«Das Verkehrskonzept ist ein reines Wildes-Velofahren-Konzept.»
Dass sich mit der neuen Situation die Konflikte zwischen Verkehrsteilnehmern verlagern, beobachten aber auch Velofahrer. Nun heisse es nicht mehr «Langsamverkehr gegen Autos und Lieferwagen», sondern «Velofahrer gegen Fussgänger».
«Die Bedingungen für Radfahrer sind noch nicht optimal, die Fussgänger sind sich der Radfahrer noch nicht bewusst, was aber auch öfters an den Radfahrern liegt, die viel zu schnell durch die Menschen fahren, ohne Rücksicht zu nehmen.»