Die mexikanische Alternative zu Halloween fasst Fuss in Basel

Spätestens seit dem letzten James Bond kennt ihn jeder: Der «Día de los Muertos» wird am 2. November auch in Basel gefeiert. Über die Hintergründe einer Tradition, die auch ausserhalb Mexikos immer beliebter wird – und inwiefern sie sich von Halloween unterscheidet.

Diese sympathischen Zuckerschädel gibt's bald auch in Basel: Am 2. November wird beim Totentanz der «Día de los Muertos» gefeiert.

(Bild: Michel Schultheiss)

Spätestens seit dem letzten James Bond kennt ihn jeder: Der «Día de los Muertos» wird am 2. November auch in Basel gefeiert. Über die Hintergründe einer Tradition, die auch ausserhalb Mexikos immer beliebter wird – und inwiefern sie sich von Halloween unterscheidet.

Ein monströser Totenkopf mit Zigarre und grinsende Skelettmännchen, so weit das Auge reicht, und mitten drin ein mit Stock, Zylinder und Sensemannsfratze versehener Geheimagent, der sich inkognito auf die Jagd nach einem Schurken macht. Imposant ist sie, die Eingangsszene aus Mexiko City im Bond-Streifen «Spectre».

Nur: Den karnevalesken Umzug gibt’s dort eigentlich gar nicht. Noch nicht. Denn schliesslich hat das Kino das Original längst vorweggenommen. Dieses Jahr ist am 29. Oktober (genau ein Tag nach dem ebenso spektakulären Menschenauflauf für San Judas) tatsächlich so ein Defilee durchs historische Zentrum von Mexiko-Stadt geplant.

Böse Zungen sagen, das von den Behörden aus der Taufe gehobene Fest zum «Día de los Muertos» diene vor allem dem Tourismus – man wolle ja nicht alle extra angereisten Bond-Fans enttäuschen. Tatsächlich sollen am Fest in Mexikos Hauptstadt auch Requisiten aus dem Film verwendet werden und vielleicht wird hier dieser Umzug fester Bestandteil des «Día de los Muertos» oder «Tag der Toten» – 007 sei Dank.

Essbare Totenköpfe und Schnaps für die Verstorbenen

Szenen wie diese kann man bald auch in Basel erleben. Ein Bond-Spektakel ist allerdings nicht zu erwarten. Sympathisch grinsende Zuckerschädel gibts auch hier – bezeichnenderweise beim Totentanz.

Die beiden katholischen Feiertage, Allerheiligen am 1. November und Allerseelen tags darauf, haben im reformierten Basel kaum mehr Bedeutung. Doch dieses Jahr wird das etwas anders sein: Ein Altar zu Ehren der Verstorbenen wird aufgestellt, dazu gibts «Pan de Muerto», das an diesem Tag übliche Süssgebäck, und mexikanischen Punsch. Eingebettet ist der Anlass in die Kunstmesse «Basler Totentanz». Dort ist am 2. November «Amex Basel», ein Verein der mexikanischen Community, mit dieser Feierlichkeit zu Gast.



Halloween hat auch in Mexiko seine Spuren hinterlassen. Verkleidungen werden immer beliebter. Spitzenreiter ist aber eine mexikanische Figur: Die Catrina, die auch von diesem Mädchen in einem Kindergarten von Mexiko-Stadt verkörpert wird.

Halloween hat auch in Mexiko seine Spuren hinterlassen. Verkleidungen werden immer beliebter. Spitzenreiter ist aber eine mexikanische Figur: Die Catrina, die auch von diesem Mädchen in einem Kindergarten von Mexiko-Stadt verkörpert wird. (Bild: Michel Schultheiss)

Eigentlich ist der Brauch aber jedes Jahr irgendwo in Basel präsent, wenn auch mehr im privaten Rahmen. Die in Basel lebende mexikanische Archäologin Laura Arnaud stellt zum Beispiel jedes Jahr bei sich zuhause einen Altar auf.

Wie in ihrer Heimatstadt Oaxaca ziert sie diesen jeweils mit Kerzen und Fotos von verstorbenen Verwandten und Freunden. Köstlichkeiten wie Schokolade oder Mole dürfen auch nicht fehlen. Dazu kommen zwei Gläser des Agavenschnaps Mezcal: «Eines für den Verstorbenen und eines für mich», sagt Arnaud.

Vor zwei Jahren fügte sie auch eine Liste der 43 verschwundenen Lehramtsstudenten von Ayotzinapa bei. Wie etwa auf dem Uni-Campus der Unam in Mexiko-Stadt kann der «Día de los Muertos» somit auch eine politische Note bekommen: Anspielungen auf die Gewalt im Land fehlen dort nicht.

Facettenreiche Tradition

Der Festtag hat je nach Region in Mexiko ganz unterschiedliche Ausprägungen. Wichtige Bestandteile sind nebst diesen Altären zu Ehren der Verstorbenen auch Friedhofsbesuche. Gräber werden dabei meist mit Kerzen und der gelben Blume Cempasúchil geschmückt. Dabei gibt es nebst den regionalen Unterschieden auch familieneigene Traditionen und persönliche Zutaten. Es ist etwa zu erwarten, dass der kürzlich verstorbene Sänger Juan Gabriel dieses Jahr besonders oft auf diesen Altären zu sehen sein wird.



Die gelbe Blume Cempasúchil darf keineswegs fehlen: Wie hier auf dem Friedhof von San Mateo Tlaltenango (Mexiko-Stadt) gehört sie zum traditionellen Grabschmuck für die verstorbenen Verwandten.

Die gelbe Blume Cempasúchil darf keineswegs fehlen: Wie hier auf dem Friedhof von San Mateo Tlaltenango (Mexiko-Stadt) gehört sie zum traditionellen Grabschmuck für die verstorbenen Verwandten. (Bild: Michel Schultheiss)

Woher der farbenfrohe Brauch kommt? Innerhalb wie ausserhalb Mexikos erzählt man sich gerne, die Tradition sei aus einer Fusion aus indianischen und spanischen Elementen hervorgegangen. Oder aber man erklärt sich den Anfang damit, dass der Mexikaner halt gerne über den Tod lache.

So romantisch die beiden Aussagen klingen mögen: Sie überzeugen nicht ganz.

Umstrittener Ursprung

Wie stark das prähispanische Erbe beim «Día de los Muertos» noch durchschimmert, ist unter Historikern und Ethnologen umstritten. Für den Ursprung bei den altamerikanischen Kulturen sprechen die Altarbeigaben, die jedoch bei den Indigenen eine andere Bedeutung als im Christentum hatten. Die Opfergaben waren für eine Reise bestimmt: Wer eines natürlichen Todes verstarb, musste dem Glauben nach vier Jahre lang einen Weg nach Mictlán zurücklegen.

Die Wurzeln der Feierlichkeit sind wohl im Vizekönigreich Neuspanien (1535–1821), also in der Zeit nach der spanischen Eroberung bis zur Unabhängigkeit Mexikos zu suchen. Die Historikerin Nayeli Amezcua, die über das Verhältnis zum Tod in der mexikanischen Gesellschaft forschte, verortet die Ursprünge im 16. Jahrhundert. Katholische Geistliche etablierten den 1. und 2. November als zwei Tage zu Ehren der Verstorbenen. Die Indigenen interpretierten den Ritus zu Ehren der Toten auf ihre Weise mit ihren Altarbeigaben. Ob die Kleriker die als heidnisch betrachteten Opferfest akzeptierten, um dieses Ritual zu christianisieren, oder ob sie den Brauch gar nicht gerne sahen – darüber gehen laut Amezcua die Meinungen der Historiker auseinander.



Die Jungfrau von Guadalupe, Pulque-Gläser und Früchte: Ein Altar zum «Tag der Toten» in einer Kneipe.

Die Jungfrau von Guadalupe, Pulque-Gläser und Früchte: Ein Altar zum «Tag der Toten» in einer Kneipe. (Bild: Michel Schultheiss)

Ähnliches vermutet Ricardo Flores Cuevas: Er ist ebenfalls Historiker und in Mixquic aufgewachsen – einem Dorf, das aufgrund seines besonders prachtvollen Feiern am Tag der Toten zu einer Attraktion geworden ist. Dabei macht er eine Unterscheidung: Allerheiligen war stets der Ritus der offiziellen Kirche, der «Día des los Muertos» entwickelte sich hingegen mehr zum Volksfest. «Ab wann das eine Eigendynamik bekam und sich vom kirchlichen Brauch löste, wissen wir aber nicht», sagt Flores Cuevas.

Ihm zufolge war es dann vor allem der Nationalismus nach der Mexikanischen Revolution, der dem «Día de los Muertos» zu neuem Aufwind verhalf und ihn in seiner heutigen Form prägte.

Lachende Totenköpfe als Parodie des Bürgertums

Dass auf der Suche nach einer nationalen Identität der Brauch neu belebt wurde, konnte Flores Cuevas auch in Mixquic feststellen: Ein Totenkopfwettbewerb in den Vierzigerjahren und der Film «Yanco» von 1961 machten das Fest über die Gemeindegrenzen hinaus populär. «Mit dem Tourismus wurde so eine historisch-anthropologische Rahmenhandlung konstruiert.»



Wie Studierende den «Día de los Muertos»: Pappmaché-Schädel gehören zu den prächtigen Altären auf dem Uni- Campus der UNAM. Jedes Jahr gibt's ein anderes Thema.

Wie Studierende den «Día de los Muertos» gestalten: Dieser Pappmaché-Schädel gehört zu den prächtigen Altären auf dem Uni-Campus der UNAM. Jedes Jahr gibt’s ein anderes Thema. (Bild: Michel Schultheiss)

So ist ein eher jüngeres Element des «Día de los Muertos» die omnipräsente Catrina. Die elegante Skelettdame ist nicht zu verwechseln mit der einiges düstereren Unterwelt-Matrone «Santa Muerte», die als eine Art Sensenfrau an so manchen zwielichtigen Orten der Stadt wacht.

Die Figur Catrina wurde vom Karikaturisten José Guadalupe Posada zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfunden. Mit seinen satirischen Kupferstichen von Skelettmenschen nahm er so das Bürgertum auf die Schippe. Später wurde die Catrina vom weltbekannten Künstler Diego Rivera übernommen. Mittlerweile sind diese Skelettmenschen zum festen Bestandteil des «Día de los Muertos» geworden. Längst wird sie als etwas Urmexikanisches wahrgenommen und manchmal mit der aztekischen Totengöttin Mictecacíhuatl, die über die Gebeine der Verstorbenen wacht, in Verbindung gebracht.

Der lustige Tod: ein Mexiko-Klischee

Und was ist jetzt mit dem Mexikaner, der halt einfach gerne über den Tod lacht? Auch das hat stark mit nationaler Identität zu tun. Der mexikanische Literaturnobelpreisträger Octavio Paz meinte etwa, dass dem Tod in seinem Land mit Ironie statt mit Angst entgegengetreten werde. 

Bestimmte Aspekte aus den lokalen Traditionen zu einem «Nationalcharakter» zu machen ist jedoch problematisch. So meint etwa Historikerin Nayeli Amezcua, dass solche Zuschreibungen viel mit der Suche nach einer Identität, einer «Mexicanidad» zu tun hätten. Dies verlaufe stark über die Kunst und die Aussenwahrnehmung des Landes.

Nayeli Amezcua bestreitet nicht, dass es eine andersartige Vorstellung vom Tod in Mexiko gibt – so etwa die festlichen Beerdigungszeremonien oder eben der Tag der Toten. «Bei der Suche nach einer Identität fragt man aber oft den Ausländer, was ihm am besten gefällt – und dieser wird mit  Totenköpfen und Frida Kahlo antworten.» Diese Bilder würden dann von Mexikanern selbst wieder übernommen und neu interpretiert – wie das etwa auch der Umzug aus dem James-Bond-Film zeige.

Trotzdem mangelt es dem «Día de los Muertos» nicht an schwarzem Humor. So gibt es etwa «Calaveras»: In diesen Reimgedichten werden die Politiker in die Pfanne gehauen. Bei den Altären und Grabbesuchen aber geht es mehr um die Erinnerung als um Humor und Satire.

Ist in Mexiko eine «Halloweenisierung» im Gange?

In einem Punkt liegt James Bond nun doch nicht ganz falsch: Verkleidungen und Schminke sieht man am «Día de los Muertos» immer häufiger. Dieses Jahr liegen etwa Masken vom in Mexiko nicht sehr beliebten Donald Trump im Trend.

Allerdings ist die Maskerade ein relativ neues Phänomen. Während früher die Altäre und geschmückten Gräber im Zentrum standen, hat Halloween auch in Mexiko Einzug gehalten. So lagen früher die Süssigkeiten vor allem auf dem Altar, nun werden sie den Verkleideten überreicht. Aus dem amerikanischen «trick or treat» wurde in Mexiko das Sammeln von «calaveritas» (Totenköpfchen) als Geschenke für die Kinder.

Wer deswegen gleich damit loslegen will, über eine weitere Amerikanisierung zu klagen, dem kann entgegengehalten werden: Viel eher geschieht das Umgekehrte! Der US-Import wird «mexikanisiert». So sieht man anfangs November zwar viele Vampire, Zombies und Superhelden in Mexikos Strassen. Am populärsten ist aber eindeutig die Skelettdame Catrina.

_
Am 2. November wird beim Park beim Totentanz der «Día de los Muertos» mit einem Altar, «Pan de Muerto», Punsch und Zuckerschädeln gefeiert. Von 14.30 Uhr bis 16 Uhr können dort Kinder als «Catrinas» und «Catrines» geschminkt werden. Verkleidungen und Erinnerungsstücke für den Altar sind willkommen. Für musikalische Unterhaltung sorgt um 17 Uhr die Gruppe «Apapachoa», um 17.45 Uhr folgt die feierliche Einweihung des Altars. Der Anlass findet im Rahmen des Festivals
«Basler Totentanz» statt, das parallel zur Herbstmesse vom 29.10 bis am 13.11 stattfinden wird.

Zeitgenössische mexikanische Kunst ist zudem in der in der Galerie Katapult in der St.-Johanns-Vorstadt 35 zu sehen. Auch dort wird der «Día de los muertos» am 1. November um 20 Uhr in Anwesenheit der acht Künstler gefeiert.

Nächster Artikel