Wenige Tage sind es nur noch bis zum Wahlwochenende in Riehen. Wirklich spürbar ist das zumindest auf den ersten Blick nicht. Wer mit dem Tram in den Kern des grossen grünen Dorfs einfährt, muss genau hinschauen, um zwischen den Werbetafeln der Fondation Beyeler («Baselitz») und des Spielzeugmuseums («Feels like Heidi») wenigstens ein paar Wahlplakate zu finden – ganz anders als bei Wahlen im Baselbiet, wo jeweils jeder zweite Baum mit Politikerköpfen behängt ist.
Ich treffe mich mit Gerhard Kaufmann. Der Architekt mit Jahrgang 1931 war bis zu seinem Rücktritt im Jahr 1998 28 Jahre lang Gemeindepräsident von Riehen, was ihm den inoffiziellen Titel «König von Riehen» einbrachte. Sein Büro befindet sich im Dachstock eines Hauses am Rande des Dorfkerns – über einem Café, das den Namen «Dolce Vita» trägt, was ganz gut zum Riehener Selbstverständnis passt.
Herr Kaufmann, warum ist der Wahlkampf in Riehen so flau?
«Vor vier Jahren hingen mehr Plakate. Es fehlen im Moment die Themen, über die man vehement streiten kann. Der Wahlkampf spielte sich vor allem in der ‹Riehener Zeitung› ab und in Radio- und Lokal-TV-Interviews. Die Parteien hatten ihre eigenen Veranstaltungen, aber öffentliche Streitgespräche gab es nicht.»
Vor vier Jahren war tatsächlich mehr los im Wahlkampf, was sich auch im Resultat niederschlug. Nach langen 44 Jahren verlor die Riehener Hauspartei EVP das Gemeindepräsidium an den parteilosen Kandidaten des Bürgerblocks, Hansjörg Wilde. Dieser schaffte die Wahl aber nur mit einem äusserst knappen Vorsprung von 132 Stimmen vor der EVP-Kandidatin Christine Kaufmann. Die Tierärztin und Gemeinderätin ist die Tochter Gerhard Kaufmanns und steigt in diesem Jahr erneut gegen Wilde ins Rennen.
Bemerkenswert war, dass die LDP, die zwei Jahre später bei den kantonalen Wahlen einen Erdrutschsieg verbuchen konnte, 2014 ihren bisherigen Kandidaten Christoph Bürgenmeier nur äusserst knapp vor dem SVP-Kandidaten Eduard Rutschmann in die Exekutive hieven konnte. Die traditionelle bürgerliche Partei fuhr ein miserables Ergebnis ein.
Wie stehen Sie dazu, dass Ihre Tochter in Ihre Fussstapfen treten möchte?
«Das freut mich natürlich, aber ich halte mich zurück. Natürlich sprechen wir über Politik, aber Christine braucht meine Ratschläge nicht, sie ist eine selbstständige Frau. Mir geht es auch nicht darum, dass meine Tochter Gemeindepräsidentin wird, mir geht es um Riehen. Aber ich bin überzeugt, dass Christine hier einiges mehr bewirken könnte als der amtierende Präsident Hansjörg Wilde. Das sage ich jetzt nicht nur als stolzer Vater.»
Wie sicher sitzt Hansjörg Wilde im Sattel?
«Das ist schwer zu sagen. Das Attribut ‹parteilos› klingt im ersten Moment gut, aber ihm fehlen die Wurzeln in der Gemeinde. Er kann nicht an einer Fraktionssitzung teilnehmen und aufspüren, wo die Riehener Bevölkerung der Schuh drückt. Er kann nur auf seine Einflüsterer hören, das spürt man in der Politik. Er ist nicht geerdet, auch wenn er behauptet, dass er aus Riehener Holz geschnitzt sei.»
Tatsächlich verspricht dieser Zweikampf etwas Spannung. Sonst lässt sich nichts Aufregendes ausmachen. «Bekanntes trifft auf Bewährtes, grosse Veränderungen sind keine zu erwarten und vielleicht gar keine erwünscht», schrieb die «Basler Zeitung» in ihrer Wahlvorschau.
Hat Riehen denn wirklich keine Probleme, die politisch für Zündstoff sorgen?
«Verglichen mit anderen Gemeinden sind es kleine Probleme. Am augenfälligsten sind vielleicht die demografischen Probleme. Früher sprach man von Überalterung, aber das darf man ja heute nicht mehr sagen. Aber auch dieses Problem haben wir im Griff. Dank der EVP-Gemeinderätin Annemarie Pfeifer, die sich hier schweizweit einen sehr guten Namen hat schaffen können. Bei den jetzigen Wahlen zeichnet sich kein Katastrophenszenario ab. Aber es gibt Sachen, die man durchaus ändern oder verbessern könnte.»
Was denn?
«Nehmen wir das Jahrbuch von Riehen, ein wichtiges Instrument des kollektiven Gedächtnisses seit 50 Jahren. Die bürgerliche Mehrheit will dieses Jahrbuch abschaffen, nur um Geld sparen zu können. Das klingt jetzt vielleicht nicht so zentral, aber es ist ein wichtiges Detail in der Politik.»
Das klingt jetzt tatsächlich nicht sehr aufsehenerregend. Hat denn Riehen nicht auch tiefergehende Probleme, etwa Wohnungsnot wie in der Stadt?
«Ja doch, gerade für Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen. Es gibt in Riehen allerdings viele Genossenschaftswohnungen. Rund ein Sechstel der Bevölkerung wohnt in solchen Wohnungen. Aber heute ist es fast nicht mehr möglich, günstig zu bauen. Dies nicht nur wegen den Bodenpreisen, sondern auch wegen den energetischen Anforderungen. Das macht das Bauen teuer.»
Alles in allem präsentiert sich Riehen als bürgerliche Wohlfühloase. Der Gemeinde geht es finanziell gut, obwohl ein Steuersenkungsbeschluss Budgetdefizite befürchten lässt. Riehen schneidet bei Bevölkerungsumfragen und bei diversen Gemeinderatings jeweils hervorragend ab.
Geht es der Gemeinde wirklich so gut?
«Wir sind sehr privilegiert. Riehen liegt nahe bei hervorragenden Arbeitsplätzen, ohne die Nachteile wie hohes Verkehrsaufkommen und die Emissionen der Industrie zu haben. Und dass dies so bleibt, dafür setzt sich die Gemeinde erfolgreich ein. Meine 28-jährige Tätigkeit als Gemeindepräsident bestand nicht nur darin, neue Sachen aufzugleisen oder für mehr Autonomie zu kämpfen. Ich habe meine Meriten ebenso sehr im Verhindern gesammelt (lacht).»
Von was?
«Die Bäumlihof-Überbauung zum Beispiel oder die kleine Umfahrung von Riehen.»
Ein Problem in Riehen lässt sich nicht nur nach Kaufmanns Ansicht in der politischen Stimmungslage im Einwohnerrat ausmachen – namentlich im Erstarken der SVP. Zwar konnte die Rechtspartei bis jetzt noch keinen Exekutivsitz ergattern, im Einwohnerrat stellt sie mit 9 Sitzen aber vor der SP (8 Sitze) die stärkste Fraktion. FDP, LDP und CVP kommen zusammen auf 14 Sitze, die EVP auf 6, die Grünen auf 2 Sitze, die GLP auf 1 Sitz.
Obwohl die bürgerlichen Parteien über eine komfortable Mehrheit verfügen, liess sich die SVP nicht davon abbringen, fundamentale Oppositionspolitik zu betreiben, was auch in bürgerlichen Kreisen auf Kritik stiess. «Die Arbeit wurde mühsamer, auf allen Gebieten», sagt Gerhard Kaufmann.
Aber warum konnte diese Polpartei, die im Kanton noch immer eine Nebenrolle spielt, in Riehen so stark werden?
«Es gibt immer und überall die Unzufriedenen und die finden sich offenbar in der SVP wieder. Wenn ich an die Diskussionen um die Dorfkerngestaltung denke oder an die Kredite für eine Einstellhalle, die mehrmals abgelehnt wurden, oder das Referendum gegen die Ausweitung der Fussgängerzone. Und im Zuge der Sanierung der Hauptverkehrsachse wird das Verkehrsproblem hochgespielt: Alles werde falsch gemacht, was man bei näherer Betrachtung ja wirklich nicht sagen kann. Aber die SVP hat eine gute Nase, diese Quellen der Unzufriedenheit aufzuspüren und politisch zu verwerten. Und sie betreibt damit Verhinderungspolitik.»
Aber die klassischen SVP-Themen wie Überfremdung oder Kriminalität sind doch in Riehen nicht wirklich virulent spürbar?
«Es ist tatsächlich so: Von einem Ausländerproblem können wir in Riehen nicht sprechen. Die Quote ist relativ niedrig und viele der hier lebenden Ausländer sind Akademiker. Die SVP schürt vor allem die eingefleischte Angst vor allem, was grün und links ist.»
Eine Gegenbewegung zum rot-grünen Kanton?
«Das denke ich nicht. Das Verhältnis zum Kanton wird als gut wahrgenommen.»
Als Kaufmann Gemeindepräsident war, war seine Partei, die EVP, noch klare Hausmacht in Riehen und die SVP war noch nicht präsent.
Denken Sie mit Wehmut an diese Zeit zurück, die noch mehr durch eine Konsenspolitik geprägt war?
«Natürlich. Es war einfacher, als dritte Kraft die Politik zu beeinflussen. Aber diese dritte Kraft, also die EVP, ist noch immer da, muss sich aber stärker verbiegen, um etwas zu erreichen.»
Unklar ist, ob die SVP jetzt beim wiederholten Anlauf den Sprung in die Exekutive schafft. Der eher als Polteri bekannte Kandidat Eduard Rutschmann hat das Feld nach zwei erfolglosen Übungen für den SVP-Grossrat und -Einwohnerrat Felix Wehrli geräumt. Der Detektiv ist bis jetzt nicht sonderlich aufgefallen.
Wie würden Sie den SVP-Kandidaten Felix Wehrli charakterisieren?
«Ich weiss, dass er Polizeioffizier ist, viel mehr weiss ich nicht. Im Einwohnerrat hat er bislang streng auf Parteilinie politisiert.»
Wagen Sie eine Wahlprognose?
«Das ist schwierig. Man rechnet allgemein mit einem zweiten Wahlgang fürs Präsidium, Erdrutsche sind aber keine zu erwarten. Ob die EVP das Präsidium zurückholen kann, weiss ich nicht. Ich hoffe es natürlich.»