«Ich bin kein Haudrauf» – Stadtentwickler Lukas Ott über sein Amtsverständnis

Seit über einem Vierteljahr ist Lukas Ott Basler Kantons- und Stadtentwickler. Was hat sich nach dem unfreiwilligen Abgang seines Vorgängers Thomas Kessler verändert? Und was kann man in diesem umstrittenen Amt überhaupt bewirken?

«Offen sein für Begegnungen und nicht von vornherein genau wissen wollen, wohin sich die Stadt entwickeln soll.» Das ist die Devise des neuen Kantons- und Stadtentwicklers Lukas Ott.

Freie Sicht aufs Rathaus und das quirlige Treiben auf dem Marktplatz: Lukas Ott hat von seinem Schreibtisch aus das Zentrum der Stadt stets im Blickfeld. Doch zu den Kernaufgaben des neuen Leiters Kantons- und Stadtentwicklung gehört es, das Büro zu verlassen. «Unterwegs sein ist sehr wichtig für mich und meine Arbeit. Offen sein für Begegnungen und nicht von vornherein genau wissen wollen, wohin sich die Stadt entwickeln soll», sagt Ott in einem Gespräch mit der TagesWoche.

Mit zum Gespräch gebeten hat Ott seinen Stellvertreter und Leiter der Fachstelle Stadtteilentwicklung Roland Frank. Damit scheint der Amtsleiter beweisen zu wollen, dass er ein ausgeprägter Teamplayer ist – etwas, was er später im Gespräch mehrfach betont. Er bewege sich nicht als Solitär durch die Stadt, sagt er. Teamarbeit sei sehr wichtig, denn alleine wäre das nicht zu schaffen. Entsprechend spricht Ott meistens in der Wir- und nicht in der Ich-Form.

«Das Portfolio umfasst mit den vier Fachstellen Grundlagen und Strategien, Wohnraumentwicklung, Stadtteilentwicklung und Integration Schlüsselthemen, die für die Weiterentwicklung von Basel-Stadt von entscheidender Bedeutung sind und zugleich einen starken übergreifenden Bezug zueinander haben. Es erlaubt eine ganzheitliche Sichtweise, aus der in Zusammenarbeit mit den einzelnen Fachdepartementen in der Verwaltung ein Mehrwert entstehen soll. Es geht darum, immer wieder aktiv die systemimmanente Trägheit oder Abhängigkeit, die durch die Departementalisierung entsteht, zu überwinden, um eine integrale Entwicklung der Stadt und des Kantons aus der Gesamtsicht zu ermöglichen.»

Teamarbeit also. Wie lebt Ott das vor? Was sagt sein Stellvertreter? Als Ott das Büro kurz verlässt, um Kaffee zu holen, kann dieser unüberwacht sprechen. Frank bestätigt: Teamarbeit, das werde derzeit wirklich gelebt. Ob sich die Zusammenarbeit verbessert habe, seit Thomas Kessler weg ist? Ein vieldeutiges Lächeln. Man könnte es als ein Ja interpretieren.

Gegenüber dem Journalisten halten sich auch andere Mitarbeiter des Amtes vornehm zurück. Aber die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass der Leitungswechsel weit herum als Gewinn wahrgenommen wird.

Unter Professionalität scheint Ott Zurückhaltung in seinen Aussagen zu verstehen.

Der Chef kommt zurück. Etwas vom Ersten, das einem bei ihm auffällt, ist sein ernster, wacher und zugleich nachdenklicher Blick, der unter dem beschwingten Bogen seines weissen Mittelscheitels hervorblitzt. Ott ist jemand, der genau zuhört und reflektiert antwortet. Etwas gar reflektiert für einen Journalisten, der gerne knackige Aussagen wiedergeben möchte. «Meine private Meinung darf keine Rolle spielen, von mir ist Professionalität gefordert», sagt er. Unter Professionalität scheint er Zurückhaltung in seinen Aussagen zu verstehen:

«Wir müssen verhindern, selbstreferenziell zu werden. Wir dürfen nicht unterschätzen, was alles stattfindet und uns wichtige Hinweise für die Stadtentwicklung liefern kann: Gestern Abend war ich bei der Delegiertenversammlung des Stadtteilsekretariats Grossbasel-West, eine Begegnung mit allen Vertretern der Quartierorganisationen und politischen Parteien. Zuvor durfte ich an der Jubiläumsfeier 40 Jahre Kontaktstelle Eltern und Kind im St. Johann teilnehmen oder habe mich an einer Bauprojekt-Präsentation der Stiftung Habitat beteiligt, um nur einige Beispiele zu nennen. An solchen Anlässen erfahre ich, wo der Schuh drückt, was die Erwartungen und Wünsche der Bevölkerung sind, aber auch, was für konkrete Projekte bereits laufen.»

Aufmerksamer Zuhörer: Ott will unter keinen Umständen selbstreferenziell sein.

Ott ist tatsächlich sehr präsent in der Stadt. Und er hört hin: Das Wichtigste sei, offen zu sein für verschiedene Verständnisse und Sichtweisen, «und nicht von vornherein genau wissen zu wollen, wohin sich die Stadt entwickeln soll», sagt er.

«Ich bin kein Haudrauf. Es braucht vor allem Koordination und noch viel mehr Kooperation.» Koordination und Kooperation innerhalb seines Amts, mit der Politik und der Verwaltung und im Kontakt mit der Bevölkerung.

Ganz anders hat man da die Begegnungen mit Thomas Kessler in Erinnerung, der stets den Eindruck vermittelte, alles ganz genau zu wissen. Auf jede Frage hatte der umtriebige Vorgänger von Ott eine knackige Antwort bereit. Nicht selten hatte man das Gefühl, dass dessen Ausführungen spontanen Gedanken entsprangen. Und immer wieder eckte er auch bei seinem Chef an, dem damaligen Regierungspräsidenten Guy Morin, wenn er ohne Rücksprache mit überraschenden Vorschlägen an die Öffentlichkeit trat. Etwa damit, die Schifflände als Zone des öffentlichen Schiffverkehrs wie das Bahnhofsumfeld für Abend- oder Sonntagsöffnungszeiten freizugeben.

«Wir können nicht nur Kassenschlagerpolitik machen.»

Ott lässt sich nicht aus der Reserve locken. Auf die Frage, was für Erfolgserlebnisse er in seiner Amtszeit bereits verbuchen konnte, folgt wie so oft im Gespräch eine längere Denkpause. Dann formuliert er wie folgt:

«Ich habe das Privileg, meine Arbeit zu einem Zeitpunkt aufgenommen zu haben, an dem sich ein hohes Entwicklungspotenzial in der Stadtentwicklung zeigt – mit all den ehemaligen Industriearealen, die umgewandelt werden. Das wäre in diesem engen Stadtkanton mit seinen 37 Quadratkilometern Fläche vor wenigen Jahren noch kaum vorstellbar gewesen. Jetzt ist Basel die Schweizer Stadt mit den grössten Entwicklungsflächen gegen innen überhaupt.»

Aber was ist mit persönlichen Erfolgserlebnissen?

«Die inhaltliche Positionierung auf dem Wolf-Areal, das als Smart-City-Pionierquartier entwickelt werden soll, ist ein solches Erfolgserlebnis, wenn man auf der Stufe von Blockbustern bleiben möchte.»

Aber das will Ott wenig überraschend nicht:

«Wir können nicht nur Kassenschlagerpolitik machen, die Stadt muss sich auch im Kleinen bewegen. Es geht auch um die Menschen, die schon da sind, und nicht nur um diejenigen, die wir nach Basel locken möchten. Mir geht es aber nicht um Effekthascherei. Es sind eher die kleinen, beharrlichen Schritte, die ich als Erfolgserlebnisse empfinde: Wenn man es schafft, in Zusammenarbeit auf einem fruchtbaren Weg vorwärtszukommen, wenn Aufgaben und Projekte vorankommen, und sie vor allem für die Politik rezipierbar werden. Sie sollen letztlich Erfolg und Bestand haben. Begegnungen auf verschiedenen Ebenen, die tragfähige Lösungen anstossen und ermöglichen, sind meine Erfolge.»

Der Journalist hätte es gerne etwas konkreter. Reicht die Vorgabe von mindestens 15 Prozent günstigem Wohnraum auf dem Entwicklungsgebiet Klybeck plus?

«Wir stehen bei Klybeck plus noch ganz am Anfang. Es geht nicht nur darum, genügend Wohnraum zur Verfügung zu stellen – das ist unverzichtbar –, es geht auch darum, gut durchmischten und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Es geht um Vielfalt und Belebung in diesem städtischen Kosmos: Verschiedene Ansprüche von verschiedenen Anspruchsgruppen müssen erfüllt werden. Es steht noch viel inhaltliche Konkretisierungsarbeit bevor, beim Wohnen und Arbeiten und mit der nötigen Durchlässigkeit. Gerade mit der breiten Mitwirkung, die in Begleitung der Kantons- und Stadtentwicklung durchgeführt wird, sollen die Bedürfnisse der Einwohnerinnen und Einwohner einfliessen können.»

Konkreter geht es offenbar nicht. Oder noch nicht. Aber vielleicht etwas persönlicher? Wird er als Kantons- und Stadtentwickler von den Machern in der Politik und Verwaltung ernst genug genommen? Hört man auf ihn?

«Ich habe es keinen Moment bereut, das Stadtpräsidium in Liestal hinter mir zu lassen.»

Fragt man in der Verwaltung nach, entsteht der Eindruck, dass man sich noch immer an die Vermittlungs- und Koordinationsarbeit der Kantons- und Stadtentwicklung gewöhnen muss. Otts Vorgänger ist es nicht gelungen, genügend Akzeptanz zu schaffen. Aber nun schätze man Otts kommunikative Art und sein pragmatisches Vorgehen.

Ott selber sagt, dass er überall sehr weit offene Türen antreffe, auf sehr viel Goodwill stosse. Seine Arbeit bedinge aber auch eine dicke Haut.

«Ich muss mich damit abfinden, dass man es nie allen recht machen kann. Zuweilen benötige ich neben der Hartnäckigkeit auch eine gewisse Frustrationstoleranz. Ich fühle mich jedoch sehr wohl in dieser Aufgabe, mit ihren Chancen und Potenzialen. Ich habe es keinen Moment bereut, das Stadtpräsidium in Liestal hinter mir zu lassen und die Basler Kantons- und Stadtentwicklung zu übernehmen.»

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