Von ausserhalb der Schweiz betrachtet ist die SRG typisch für die Entwicklung der urbanen und intelligent-kreativen Schweiz. Allein das «Echo der Zeit»! Allein zahlreiche Programme von DRS 2 und – vor allem in den 90er- und den Nullerjahren – DRS 3, also von Radiostationen!
Das alles soll laut dem No-Billag-Initiativtext abgeschafft werden. Das ist eindeutig der politische Plan hinter der Verfassungsinitiative.
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Ich habe vor einiger Zeit gelesen, dass SVP-«Kommunikationschef» Walter (Auto-)Frey den No-Billag-Initianten 100’000 Franken als Starthilfe zur Verfügung gestellt habe. Sollte das stimmen, zeigt sich hier tatsächlich eine kultur- und auch ökonomiezerstörende Schnäppchenjagdideologie, wie sie in Italien seit Berlusconi immer noch vorherrscht.
Der einfache «Volksgenosse» soll medial bloss zum Konsum von «Gewerbegütern» angeregt werden. Dafür gibt es dann als Beilage Softporno, windschlüpfrig inszenierte Frauenverachtung, und die fortgesetzte Einheitsmeinung der TV-Besitzer mit ihren «Fake»-Inszenierungen.
Der «Volksgenosse» soll sein Budget (also Lohn- oder Rentengeld) in den Alltags-Konsum stecken, in die Marken, in die monatlich zu bezahlenden Leasing-Verrücktheiten (man leistet sich dann einen Jaguar, nun, es kann auch ein BMW sein…), und nicht den «Volksfeinden», also den Kritikern der hergebrachten «Normalität», in den Rachen schieben.
In der Schweiz ist es die SVP- (und offensichtlich auch FDP-) Ideologie, welche vorgibt, Geld sei das Einzige, was in einer Staatsgesellschaft zähle.
Um die No Billag nach mehr aussehen zu lassen, werden nun die bekannten Begriffe hochstilisiert, mit denen die international auftretenden Rechtspopulisten unter Führung von Milliardären wie Blocher, Frey, Berlusconi, den Gebrüdern Koch, Murdoch, Trump usw. gegen den Gesundheitsstaat, den Bildungs-, Sozial- und Kulturstaat und die Vielfalt gesellschaftlicher Lebensdynamik vorgehen.
Es ist eine Provinzposse sondergleichen, die in der Schweiz zurzeit abläuft.
Begriffe wie Eigenverantwortung, Einsparung, Steuersenkung, Markt und (natürlich) Freiheit gegen den übermächtigen Staat, gegen die Linken mit ihren Verboten werden immer wieder wie Papierflieger in die Meinungsräume versendet. Das «Asylantenunwesen» und die Bezieher von Invalidenrenten werden unter Generalverdacht gestellt, und so weiter.
Um gleichzeitig mit einer Kette zusammenhängend organisierter Hetzparolen das angeblich bedrohte freie Wort, den «Mohrenkopf» oder den «Neger» zu retten und die «Gender-Anmassung» zu verdammen. Dieses «freie Wort» besteht für genannte Kreise oft darin, Verleumdungen als Ausdruck von freier Meinungsäusserung zu betreiben: Man lese dazu nur die Online-Leserkommentare zu No Billag auf schweizerischen Nachrichtenportalen.
Inhaltlich kommt vonseiten der No-Billag-Befürworter ansonsten nichts von Belang. Da sind dann 100’000 Franken aus dem Milliardenvermögen des Herrn Walter-Auto-Frey (der übrigens vor allem deshalb reich wurde respektive reich bleibt, weil er geerbt hat, um da mal auf den Hintergrund zahlreicher Spar-Apostel hinzuweisen) das Schnäppchen des Jahrzehnts.
Dümmlich herumstotternde Jungfreisinnige tun so, als verstünden sie irgendetwas von Wirtschaft oder gar von Freiheit, wenn sie ein paar Anglizismen fehlerfrei aussprechen können.
Wirklich: Es ist eine Provinzposse sondergleichen, die in der Schweiz zurzeit abläuft. Und das unter Mitwirkung von Exponenten der Privatmedien, die weitschweifig, aber inhaltsleer von Medienmarktliberalismus schwatzen.
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Die SRG wird als Staatsmedium hingestellt (von NZZ-Chefredaktor Gujer oder BaZ-Besitzer Blocher und dessen Lautsprechern Somm, Köppel, Mörgeli), dem man die Macht im Interesse einer privaten, freien, weil nur den Marktgesetzen folgenden Medienlandschaft Schweiz entziehen müsse.
Im Verständnis dieser Exponenten ist die Machtausübung mithilfe von Geld die einzige Berechtigung für das Recht, sich frei zu äussern, seine Meinung als erstrangig oder einzig wahr darzustellen und Nachrichten – die man nicht recherchiert, sondern eingekauft hat – zu verbreiten. Da die SRG ein auf Mitsprache von Interessengruppen, von Politik, Kultur, Gesellschaft und Gleichberechtigungsüberprüfung basiertes Konstrukt ist, ist sie offen. Das heisst, in ihren Einrichtungen ist die mediale Arbeit nicht nach vorbestimmten Kriterien eines Besitzers vordefiniert.
Deshalb will Blocher, deshalb will die in der SVP herrschende Machtclique die SRG abschaffen. Denn die SRG verhindert in den Augen der Geldbesitzer und deren gutbezahlter Lautsprecher jene Eindeutigkeit, die sie als unwiderruflich installierte Machtstruktur anstreben.
Was machte man da? Man fand ein paar Jungfreisinnige. Nun, vielleicht erfand man sie ja auch nur. Man gab ihnen Startkapital und liess sie eine Verfassungsinitiative starten. Deren Formulierung lieferte man ihnen frei Haus. Man sorgte dafür, dass diese Initiative juristisch einen eindeutigen, nicht interpretierbaren Inhalt erhielt, der die komplexe Vielgestaltigkeit der SRG-Struktur und deren Vielfarbigkeit ein für allemal beenden würde.
No Billag bedeutet vor allem politische Macht ohne strukturierte öffentliche Widerspruchsräume.
Da der Initiativtext fordert, dass am 1. Januar nach der erfolgreichen Abstimmung alle Geldflüsse für die SRG stillgelegt sein müssen – was nichts anderes als die totale Liquidierung und damit die Abschaffung der Institution SRG bedeutet –, fand man einen Trick, um zahlreiche Stimmberechtigte massiv zu täuschen: Man erfand den Initiativtitel No Billag. Man sprach nicht mehr von der SRG, sondern eben nur von der Institution Billag.
Man tat so, als ob man dem «Volk» eine jährliche Zwangsabgabe von etwas über 400 Franken – ab 2018: 365 Franken – ersparen wolle, wofür dieses Volk ohnehin medial nicht das erhalte, was es wolle, nämlich das «Normale», endgültig definiert von Somm, Mörgeli oder – für die etwas anspruchsvolleren Geldeliten – von Herrn Gujer und dessen Feuilletonchef René Scheu.
Man stelle sich vor: über 400 Franken Einsparung!
Nun: Als ich kürzlich, Ende November 2017, in einem sehr durchschnittlichen Basler Restaurant ein Nachtessen (Vorspeise, Hauptspeise, ein kleines Dessert und zwei Gläser Rotwein sowie Kaffe und einen Grappa) bezahlen musste, kostete mich das 127 Franken. (Dafür hätte ich in Berlin in der gleichen durchschnittlichen Restaurantkategorie etwa viermal dasselbe Menü bezahlen können, in Barcelona, wo ich wohne, auch noch gut dreimal.)
Mit anderen Worten: Das riesige Medienangebot der SRG kostet in der Schweiz so viel wie ein durchschnittliches Nachtessen in geselliger Runde in einem durchschnittlichen Restaurant. Pro Jahr. Es ist ein Faktum: Die Billag-Gebühren sind, ordnet man sie ins schweizerische Preisniveau ein, äusserst billig.
Aber die Gebühren sind geeignet, Hetze zu betreiben gegen den Staat und die Linken. Dass solche Hetze nach wie vor erfolgreich ist, liegt vermutlich auch darin begründet, dass in den Köpfen vieler Zeitgenossen das Wissen um einfachste Zusammenhänge überhaupt nicht mehr vorhanden ist.
Und so haben die Kreise hinter dem vordergründig als Initiant auftretenden Jungfreisinn naheliegenderweise das ihnen als erfolgreich erscheinende Propaganda-Mantra erfunden, mit dem sie ihren Feind SRG erledigen zu können meinen, nämlich dieses: Sie wolle die SRG-Gebühren plattmachen!
Daraus erfolgte in der No-Billag-Planung: Die SRG muss nur zerschlagen werden, damit das schweizerische Medien- respektive Nachrichtenvermittlungsgeschäft marktkonform und nach erfolgter Privatisierung via Konzessionsversteigerung konkurrenzlos auf garantierte Rendite umgestellt werden kann: Nebst einer Selbstbereicherung für Blocher, Frey und Co. bedeutet dies vor allem politische Macht ohne strukturierte öffentliche Widerspruchsräume.
Mit dem Verschwinden der SRG droht auch die Abschaffung des Schweizer Föderalismus.
Was das in der Schweiz konkret bewirken würde?
Es würde mittelfristig zur Abschaffung des Föderalismus führen. Der Grund dafür: Die Berücksichtigung der kleinräumigen, aber sehr differenziert aufgebauten Regionen, Kantone, Landesteile der Schweiz im Medienmarkt innerhalb globaler und europäischer Grössenordnung ist schlichterdings unrentabel. Also wird eine solche auch nicht mehr stattfinden.
Ohne Anlehnung an Medienriesen, ohne Einkäufe riesiger Unterhaltungs- und Sportangebote, ohne Übernahme von Nachrichtenprodukten aus dem international aufgestellten Medienmarkt ist ein anderer denn ein öffentlich-rechtlicher Medienkoordinator für die Schweiz mit ihren vier Medienlandessprachen bei etwa 8,5 Millionen Einwohnern finanziell sofort überfordert.
Das bedeutete in der Schweiz die Abschaffung der regionalen Nachrichtenpluralität respektive deren wirkliche Vielfaltdarstellung, die heute allein durch die SRG sowie durch den Billag-Gebühranteil von zahlreichen lokalen TV- und Radioinstitutionen garantiert ist.
Es wird deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit das Folgende eintreten:
Der staatstragende schweizerische Föderalismus wird durch unsoziale, gesellschaftsentwicklungsunterdrückende Gleichschaltung ersetzt. Dies im Rahmen von «Fenstern» oder von «Specials» in den TV- und Radiostrukturen der internationalen Medienriesen für die Schweiz.
Der Rechtsstaat Schweiz verliert den offenen Prozess, weil dieser keinen medialen Raum mehr hat, in dem er unter anderem in der Jetztzeit stattfindet. Das vielfältig Individuelle, die Gleichberechtigung, die zahlreichen Minderheiten verlieren ihre unmittelbare Öffentlichkeit. Anstelle von Information findet nur noch ununterbrochene Werbung statt, inszeniert von den Interessengruppen, die das nötige Geld aufbringen können: Gewerbeverband, Banken, Landwirtschaft und internationale Multis.
Darüber spannt man dann einen Geschichtskitsch, weit entfernt von jeglicher Realität, um einen «Schweizer Geist» zu beschwören, den es ausser in der Blocher-Propaganda nicht gibt.
Die Abschaffung der SRG zielt darauf, die Schweiz als Steuerparadies öffentlich undiskutiert funktionieren zu lassen.
Es wird eine landesinterne Isolation (man könnte auch schreiben: Zensur) der Berichterstattung über die Schweiz für die schweizerische Bevölkerung angestrebt, um zum Beispiel als Steuerparadies der global steuerhinterziehenden Reichen öffentlich undiskutiert, also entpolitisiert funktionieren zu können.
Das heisst: In den ersteigerten Mediengefässen wird nur noch über das, was der Machtausübung der Geldbesitzer dient, berichtet, und zwar ohne jede Berücksichtigung politischer oder auch wirtschaftlicher Verbindungen, Verwicklungen und sozialer, beispielsweise auch migrantischer Abläufe im europäischen Umfeld der Schweiz.
Diese Abschaffung der Vielfalt in allen gesellschaftlichen Räumen verhindert die konkret realisierte Entwicklung von – beispielsweise – ökologischer oder familiensozialer Alternativpolitik. Diese Absichten sind allesamt bekannt.
Man muss nur das Dreigestirn BaZ, «Weltwoche» und «Blocher-TV» wahrnehmen und zudem mehr und mehr feststellen, wie sich die NZZ und auch Gratistitel wie «20 Minuten» diesem Ideologiepaket annähern, um zu wissen, was da bei einer Annahme der No-Billag-Initiative kommen würde.
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Es geht in der Auseinandersetzung um No Billag nicht zuletzt um den Begriff «öffentlich-rechtlich». Die Initianten verschweigen diesen Begriff. Das hat einen Grund: Sie wollen zurzeit keine Diskussion grundsätzlicher Art darüber führen, wie sich Demokratie und Öffentlichkeit gegenseitig bedingen.
Durch die «öffentlich-rechtlich» organisierte SRG wird die öffentliche, die politische, die kulturelle, die sprachgebundene, die sozial ausgewogene Diskursstruktur in der Schweiz nicht nur geschützt, sondern weitgehend auch organisatorisch ermöglicht.
Richtig gelesen, ich habe geschrieben: die Struktur.
Bevor man in einer Staatsgesellschaft Inhalte diskutieren kann, braucht es eine Struktur, die diese Diskussionen vorbereitet – sachlich, inhaltlich beladen, nicht inhaltsleer, sondern offen. Sie muss möglichst viele Interessenseiten ansprechen. Sie ist geübt, sich mit allen Beteiligten auf Vorgehensweisen abzusprechen und auf nachvollziehbare Durchführungsmöglichkeiten zielend Öffentlichkeit herzustellen. Öffentlichkeit ist Voraussetzung für Demokratie. Sie ist gleichzeitig Voraussetzung für Gerechtigkeit und für ein funktionierendes Recht. Solcherlei ist keineswegs einfach gegeben.
Es ist vor allem nicht «Talk». «Talk» ist beliebig. Das heisst: Inhalte spielen beim Reden von Talkgästen meist gar keine Hauptrolle. Wichtig sind in Talks Auftritt und Eigenpräsentation. Wichtig ist das Zurschaustellen einer Meinung, nicht sosehr die Meinung selber.
Das ergibt die Show.
Die Offenheit der Diskursstruktur muss allseits respektiert sein, damit Konfrontation nicht in Zerstörung ausartet.
Nur sind diese Talks, und dazu gehört im Schweizer Fernsehen etwa auch die «Arena», nicht das, was die von mir oben genannte Diskursstruktur ausmacht.
Es braucht die Organisation für fair ausgetragene, nicht nur auf das Kriterium Geldmittel hin organisierte Auftrittsmöglichkeiten. Um Ideen zu erkennen, braucht es Menschen, die in der Lage sind, sie öffentlich zu machen, also: zu verbreiten. Es braucht das Personal, die Spezialisten, die Fachkräfte, welche die Informationsöffentlichkeit mit Wissen über die sich entwickelnden Ideen zur Gestaltung des Lebens bedienen können.
Ideen können Produkte sein, es können Einrichtungen sein. Ideen können Kunst sein, Wissenschaft. Ideen können Bildung sein. Oder Politik.
Wie wird die Arbeit der nahen Zukunft aussehen? Was passiert mit uns, mit einer Gesellschaft voll innerer Widersprüche, voll individueller Verschiedenheit, wenn wir zusätzlich zu allem Vorhandenen mit der Digitalisierung des Alltags, etwa der Arbeitswelt, existenziell konfrontiert werden? Was passiert, wenn die Arbeitswelt völlig neue, aus gegenwärtiger Sicht arbeitsplatzvernichtende Entwicklungen durchläuft, womöglich rasant?
Es braucht einen öffentlichen medialen Raum, der aus sich heraus und einigermassen garantiert offen für Widersprüchliches, für Kreatives, für Fantastisches, für Angst- wie für Hoffnungsäusserungen organisiert ist.
Das heisst: Die Offenheit der Diskursstruktur muss allseits respektiert sein, damit Konfrontation nicht in Zerstörung von Zusammenlebensmöglichkeiten ausartet. Damit Diskurse in Prozesse einmünden können, die Lebensentwicklungen verschiedenster Quantitäten und Qualitäten ermöglichen. Damit es konkret wird.
Das leistet die öffentlich-rechtliche Institution SRG.
Sie kostet natürlich viel Geld. Wissen sammeln, Wissen in Alltagssprache übersetzen, Wissen darstellen – das leistet niemand gratis. Aber genau diesen Gesamtumgang mit Wissen, erarbeitet für die Bevölkerung des Staates Schweiz, leistet die SRG. Natürlich muss das bezahlt werden. Von allen. Denn es profitieren direkt oder indirekt alle.
Die SRG wegen lächerlich geringer Gebühren, vormals erhoben durch ein halbstaatliches Geldeinnahmeinstitut namens Billag, ersatzlos abzuschaffen, käme der Abschaffung der demokratischen Prozesse in der Schweiz sehr nahe, mit allem, was daraus folgen würde: der Diktatur der Geldmächtigkeit nämlich.