Spezialmedikamente boomen, heilen – und kosten die Kassen jede Menge Geld

Neuartige, teure Therapien gegen Hepatitis C und Krebs lassen Patienten und Pharmabranche gleichermassen jubeln. Einen hohen Preis bezahlt aber der Prämienzahler – und aktuell die Arbeitnehmer von Roche.

Neuartige, teure Therapien gegen Hepatitis C und Krebs lassen Patienten und Pharmabranche gleichermassen jubeln. Einen hohen Preis bezahlt aber der Prämienzahler – und aktuell die Arbeitnehmer von Roche.

Hochspezialisierte Arzneimittel sind das Medizinalprodukt der Stunde. Sie lindern nicht nur das Leid der Patienten, sie können im besten Fall sogar ein Virus oder eine Krankheit eliminieren. Dazu gehören auch neuartige Therapien gegen Hepatitis C, die zur Heilung einer bislang als unheilbar geltenden Krankheit führen können.

Das bedeutete einen regelrechten Durchbruch in der medizinischen Forschung. Pharmafirmen wie Roche und Novartis setzen zunehmend auf die Entwicklung und Produktion dieser hochpotenten und massiv hochpreisigen Therapien. Und für Roche ist das unter anderem einer der Gründe, warum der Branchengigant in Basel bis zu 190 Stellen abbaut, wie die Firma letzten Donnerstag mitteilte.

Der heilige Gral der Therapien kommt zu einem hohen Preis. Nicht nur verschlingen Forschung und Entwicklung hohe Millionenkosten, auch die Medikamente selbst sind äusserst teuer. Eine zwölfwöchige Hepatitis-C-Therapie mit den Medikamenten Viekirax und Exviera der Schweizer Firma Abbvie AG schlägt laut Bundesamt für Gesundheit mit mindestens rund 46’000 Franken zu Buche. Von da an steigt der Preis je nach Hersteller und Medikament bis auf einen sechsstelligen Frankenbetrag.

2015 hat der Bund eine erweiterte Vergütung solcher Spezialmedikamente über die Grundversicherung verfügt. Die obligatorische Krankenversicherung bezahlt somit die günstigsten unter den gängigen Therapien. Aber auch das schenkt ein.

Mehrkosten bei den Krankenkassen

Santésuisse, der Verband der Schweizer Krankenversicherer, stellt in einem Halbjahresvergleich zwischen 2015 und 2016 fest, dass die Kassenbelastung durch derartige Spezialtherapien bereits gestiegen sei. Zwischen 2010 und 2014 blieb der Anteil der Apotheken an die Kosten zu Lasten der obligatorischen Krankenversicherung stabil. Zwischen 2015 und 2016 stieg ihr Anteil nach Angaben von santésuisse um acht Prozent.

Einer der Gründe sind die Spezialtherapien gegen Hepatitis C und Krebs, wie santésuisse-Sprecher Christophe Kaempf sagt. Hinzu komme allerdings noch eine generelle Preissteigerung, weil der Bund den Auslandpreisvergleich bei den Medikamenten gestrichen hatte. Letzterer wird ab 2017 aber wieder durchgeführt.

«Wir erleben gerade grossartige Entwicklungen in der Forschung, aber die Kosten sind enorm», sagte der Basler Pharmaprofessor Christoph Meier in einem Interview mit der TagesWoche: «Aber wir müssen uns auch darüber klar werden, wie wir das als Gesellschaft finanzieren können und wollen.»

Der Dachverband der Schweizer Pharmabranche hingegen relativiert: «Es ist in vielen Fällen erwiesen, dass neuere Medikamente zwar teurer sind, aber in anderen Bereichen des Gesundheitswesens Kosten sparen», sagt Sara Käch von interpharma: «Indem etwa Spitalaufenthalte kürzer oder ganz unnötig werden.» Zudem würden die Preise nach einiger Zeit systembedingt sinken, weil sie mindestens alle drei Jahre überprüft werden.

Erst Hepatitis, als nächstes Krebs

Das BAG rechnete folgendermassen, als es im Herbst 2015 die Vergütung auf die neuen Medikamente gegen Hepatitis C erweiterte: «Aufgrund der Preissenkungen wird die Krankenversicherung um 20 Millionen Franken weniger belastet», heisst es in der damaligen Mitteilung, «insgesamt führt die Erweiterung der Vergütung jedoch zu einer Mehrbelastung von 52,4 Millionen Franken für die Krankenversicherung.»

Dabei ging das BAG davon aus, dass pro Jahr 3000 Hepatitis-C-Patienten mit schwerer Erkrankung behandelt werden sowie 1800 Patienten, deren Erkrankung ebenfalls schon fortgeschritten ist. Im Jahr 2015 hätten zwischen 2000 und 2300 Patienten die entsprechende Behandlung in Anspruch genommen, sagt Jörg Indermitte, Co-Leiter der Sektion Medikamente beim BAG.

Die Hepatitis-Therapien sind aber nur ein erster Schritt. «Der Boom in der Onkologie kommt noch», so Indermitte. Das BAG rechnet damit, dass die Pharmabranche innert weniger Jahre im Hochpreissegment sehr viele neue Therapien gegen Krebs auf den Markt bringen wird.

Honigtopf für Big Pharma

«Diese Entwicklungen führen natürlich auch zu einem Kostenwachstum auf dem Markt», sagt Indermitte. Der Bund erarbeite laufend Kostenmodelle, um die Preise neuer, teurer Therapien zu dämpfen. «Einige Entwicklungen sind voraussehbar – wie die Fortschritte in der Onkologie –, aber auf andere können wir zum Teil nur reagieren.» So verkündete auch Bundesrat Alain Berset am Freitagmorgen, dass die Medikamentenpreise weiter gesenkt werden sollen.

Insgesamt ist die Markteinführung neuer, zunehmend hochpotenter Medikamente für die Pharmabranche ein finanzieller Honigtopf. Das Volumen des Medikamentenmarkts 2015 wuchs auch dank der Hepatitis-C-Therapien deutlich: Von rund 5,11 Milliarden Franken (2014) auf 5,38 Milliarden Franken (2015) – ein Anstieg von 5,3 Prozent, den auch interpharma weitgehend auf die neuen Hepatitis-C-Therapien zurückführt.

Das freut die Pharma-Branche, die heute unter sinkenden Margen und dem Druck des Generika-Marktes ächzt. Was für den Patienten allerdings von Vorteil ist: Gerade Herz-Kreislauf-Patienten profitieren von deutlich günstigeren Präparaten, deren Patentschutz abgelaufen ist und die Generikafirmen preiswerter auf den Markt bringen.

Das trifft schliesslich die Arbeitnehmer der Pharmabranche selbst. In den Worten der Firma Roche: «Unsere älteren Medikamente, die in der Vergangenheit deutlich höhere Produktionsvolumina benötigten, verlieren währenddessen fortlaufend ihren Patentschutz. Daher werden in Zukunft insgesamt geringere Produktionskapazitäten benötigt.» Was übersetzt so viel heisst wie: Schuld sind die Generika und die Zukunft gehört den Spezialtherapien, deren Produktion sich für die Forschenden immerhin noch lohnt.

Nächster Artikel