Welche entfesselnde Wirkung die Konzerte im Z7 entfalten – selbst wenn man keine 18 mehr ist –, beschreibt Christian Jamin in seinem Essay. 2009 erlebte er die brasilianische Thrash-Metal-Band Sepultura live in Pratteln. Und erinnert sich noch immer sehr gerne daran zurück, an die Intensität, an die Fans, an die Crew.
Es war eine Vorankündigung in der Zeitung, die mich aufhorchen liess: «Sepultura spielen im Z7 in Pratteln.» Zum ersten Mal hatte ich von der brasilianischen Gruppe in meinem Zivildienst gehört. Nicht direkt ihre Musik, aber Gespräche über den Einfluss, den sie auf viele hatte. Ich war auf einer Weiterbildung der Evangelischen Kirche rund um «Männer und Musik». Da ich mein Studium bereits hinter mir hatte, war ich mit Abstand der älteste Teilnehmer.
Im Seminar lernten wir Didgeridoo spielen, diskutierten mit einem engagierten Jugendpfarrer über Männerbilder und Rollenklischees und rauchten grosse Mengen Gras. Es war eine tolle Erfahrung mit so vielen Typen um die Zwanzig zusammen zu sein. Mir gefiel wie sie sich kleideten, wie sie redeten und was dachten. Beim Gute-Nacht-Joint redeten wir über Musik, und der Name Sepultura fiel. Es war eine Konsensband. Die meisten fanden sie toll, alle übrigen zollten ihnen Respekt. So etwas war in der ausdifferenzierten Musikwelt der späten 90er-Jahre eine Seltenheit. Ich merkte mir den Namen, erst jetzt, viele Jahre später, dachte ich wieder daran.
«Beim Gute-Nacht-Joint redeten wir über Musik, und der Name Sepultura fiel.»
Meine Freundin und ich, wir hatten mittlerweile eine Tochter bekommen. Die Zeit war wunderbar, aber auch unglaublich herausfordernd. Ich hatte aufgehört zu joggen, hatte aufgehört mit Yoga, ging nur noch selten auf Fussballspiele. So als wäre mit der Ankunft der kleinen Erdenbürgerin alles Physische und Wilde auf einmal weggefallen. Doch manchmal suchte ich nach einem Ventil, um all den Druck der
sich doch angestaut hatte, entweichen zu lassen. Die Sorgen um Geld, Streit um die Rundumbetreuung der Kleinen, alles was das Familienleben jenseits von Werbeanzeigen für Bausparverträge so prägt.
Genau an dem Dienstag, an dem das Konzert stattfand, fuhr meine Freundin mit unserer Tochter in die Berge. Und ich konnte mitten unter der Woche ausschlafen – zum ersten Mal seit langer, langer Zeit. Ich hatte vor, den Estrich aufzuräumen und wollte danach auf das Konzert. Was mich schliesslich bewog hinzugehen, war der Artikel. Der Journalist schrieb von der aussergewöhnlichen Ausdruckskraft der Musik
und der lebensbejahenden Haltung der Band.
«Ich wollte mich auf die Musik einlassen, mal wieder was Unbekanntes wagen.»
Ich hatte sie nie gehört. Klar hätte ich mir etwas im Internet anhören können, verbunden mit schlechter Qualität, hätte mir ein Urteil bilden können und dann abwägen. Wichtiger war mir die Erinnerung an die jungen Zivis. Für sie war diese Musik ein Ereignis. Als solches wollte ich mich darauf einlassen: aus den gewohnten Bahnen ausbrechen und einfach mal wieder was Unbekanntes wagen.
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Am Tag des Konzerts trank ich beim Aufräumen sehr viel Kaffee. Ich war schliesslich so aufgepumpt, dass ich beschloss, die vierzig Minuten mit dem Fahrrad zu fahren, vom Basler Erlenmatt nach Pratteln.
Schliesslich angekommen war ich dann doch ausgepowert und auch angespannt. Ich war Jahrzehnte nicht mehr an einem Metal-Konzert gewesen. Was erwartete mich? Gibt es dort fiese Leute, eine grimmige Stimmung und hirnzermalmende Musik? Zu meiner freudigen Überraschung stand vor der Halle erst mal eine nette Würstchenbude. Diese wurde von zwei hinreissenden Metal-Frauen betrieben von und es
war alles so gemütlich wie bei einem altehrwürdigen Familienbetrieb. Das erinnerte mehr an eine Minigolfbahn, als an den Vorhof der Hölle. Somit stellte ich mich in die Schlange für eine Bratwurst und kaum war ich dran waren die Würste aus. Es gab nur noch eine Letzte. Der Franzose vor mir bot an, seine mit mir zu teilen! Ich fühlte mich erinnert an die frühen Metal-Konzerte, kostete wieder von dem sympathischen Wir-Gefühl. Wie ich später erfuhr, haben Sepultura eine sehr loyale Fangemeinde.
«Ich fühlte mich erinnert an die frühen Metal-Konzerte, kostete wieder von dem sympathischen Wir-Gefühl.»
Die Kennzeichen der Autos vor der Halle zeigten, dass Schweizer, Franzosen und Deutsche aus dem Umkreis von 200km angereist waren. Natürlich fing das Konzert mit dem Schlagzeug an. Ihre Musik ist ja eh sehr rhythmisch, eher als melodisch. Es gab also mit einem knallharten Einstieg in den Abend mit einem sich steigernden Rhythmus. Der Sänger betrat die Bühne und ich hatte sie nie vorher gehört und wusste doch sofort: ich liebe diese Band. Der Sound war eine Wand aus reiner Energie. An der linken Seite der Halle wachte eine automatische Kontrolltafel über die Einhaltung der 100 Dezibel-Marke. Dabei war es auch nicht die Lautstärke, es war die Intensität, die beeindruckte. Reflexartig fing meine Nackenmuskulatur an zu zucken. Ich headbangte! Dazu hatte ich schon sehr viele Jahre keine Lust mehr verspürt. Nach jedem Lied bedankte sich der Sänger, erzählte eine lustige Geschichte oder sagte aufbauende Worte, er sagte das nächste Lied an und bang! Ich ging weiter nach vorne. Konnte jetzt die Musik mit dem ganzen Körper spüren. Ich fühlte mich tief verwurzelt, wie in einem Ritual, das hier und heute vornehmlich Männer in einer umgebauten Lagerhalle am Rande von Basel vollzogen.
Erst später hörte ich ihr Album «Roots» und verstand, dass sich die brasilianische Band viel mit indigener Musik beschäftigt hatte und das Gefühl mit dem Ritual nicht weit hergeholt war. Und die Texte! Sie sangen gegen Unterdrückung, gegen Armut und auch gegen die aus Faulheit entstehende Ignoranz. Es war wie ein Weckruf. Die Jungs hatten etwas zu sagen, etwas zu verteidigen und sie schrien ihre Wut über
die Ungerechtigkeit der Welt mit voller Herzenskraft heraus.
«Selbst die wummernden Bässe der wildesten Bands haben die Hallen des Z7 nicht zum Einstürzen gebracht.»
Es lief mir kalt den Rücken runter. Bei Sepultura schloss sich der Kreis. Ich hatte dort angeknüpft, wo ich einst ausgestiegen bin. Das Aufkommen von Black Metal und Death Metal hatte mich aus der Szene verdrängt, die Negativität und Dunkelheit hatte mich vertrieben. Doch es gab auch gute Entwicklungen, Sepultura und ihre Interpretation von «Thrash Metal» war eine Weiterentwicklung. Es kam mir vor wie eine Verjüngungskur, die ergrauten Zellen wurden aufgefrischt. Ich schöpfte viel aus diesem Konzererlebnis. Unendlich viel. Tage, Wochen später spürte ich noch diese Wand aus Sound, dieses Aufgehen im Klang einer guten Band.
Aller Vourteile zum Trotz haben selbst die wummernden Bässe der wildesten Bands die Hallen des Z7 nicht zum Einstürzen gebracht: wäre es nicht absurd, wenn jetzt ein Hobbymarkt vor der Tür den Betrieb verunmöglicht?
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