Die Redaktion hat intensiv diskutiert: Sollen wir einem Mann, der wegen sexuellen Handlungen mit Minderjährigen im Gefängnis sass, eine Plattform geben? Wir haben uns für ein Gespräch entschieden und den Mann getroffen, der auf Bewährung frei ist. Weil er ein Mensch ist.
Wir wissen, dass für viele Leserinnen und Leser die Lektüre alles andere als angenehm ist. Auch uns fiel die Begegnung zwischendurch sehr schwer. Zwar hatten wir immer wieder Mitgefühl mit dem Mann, den wir Alois nennen. Er begehrt, was nicht sein darf, und wird dafür geächtet, ist einsam. Das hat er sich nicht ausgesucht: «Meine Neigung ist eine Strafe, ich wäre lieber normal», sagt er.
Ächten verhindert keine Übergriffe
Gleichzeitig verspürten wir Entsetzen. Wegen Alois’ fehlendem Schuldbewusstsein. Er ist überzeugt, dass die Übergriffe einigen Kindern nicht geschadet haben, dass sie es sogar selber wollten. Solche Aussagen sind typisch für einige Sexualstraftäter, sie versuchen, mit sich selber im Reinen zu bleiben. Auf Kosten ihrer Opfer.
Dennoch sind wir nach der Recherche überzeugt: Es war richtig, mit Alois zu reden. Die Gesellschaft muss aufhören, Pädophile zu ächten. Erstens, weil sie – wie gesagt – Menschen sind. Zweitens, weil man so Übergriffe verhindern kann.
Lang nicht jeder Pädophile wird zum Täter! Manche beherrschen sich ein Leben lang und leiden. Andere begehen Suizid, um der Versuchung zu entkommen, einem Kind Leid zuzufügen.
Therapieren hilft allen
Die meisten trauen sich nicht, Hilfe zu suchen. Oder erhalten keine, so wie Alois. Mit 25 Jahren vertraute er sich zum ersten Mal einem Arzt an – und blitzte ab. Zehn Jahre später klopfte er bei einem Psychiater an – und wurde wieder weggeschickt.
Dabei zeigt die Forschung: Viele Pädophile können lernen, mit ihrer Neigung so umzugehen, dass sie nicht mehr von ihren sexuellen Fantasien getrieben werden – und nie zu Tätern werden, wie der Forensiker Marc Graf im Interview sagt. Der Knackpunkt: Je jünger die Männer sind, desto besser schlägt die Therapie an.
Das ist nicht nur besser für die Männer, sondern auch für die Kinder.