Lukas Ott: «Es muss nicht immer die ganz spektakuläre Vision sein»

Seit zwei Monaten ist Lukas Ott neuer Kantons- und Stadtentwickler. Im Gespräch erklärt er, wie er seine neue Aufgabe versteht, wie er sich von seinem Vorgänger Thomas Kessler abgrenzt und was er von Kirchenratspräsident Lukas Kundert im Fall der Gellertkirche erwartet.

Will Basel-Stadt als Kantons- und Stadtentwickler vorwärtsbringen: Lukas Ott.

Bescheiden, vorsichtig, demütig: Am Marktplatz 30a herrschen seit dem Amtsantritt von Lukas Ott (52) als neuer Kantons- und Stadtentwickler sanftere Töne. Der Unterschied zu seinem Vorgänger Thomas Kessler könnnte grösser nicht sein. Sprach Kessler gerne und ausgiebig über alles Mögliche, legt der  frühere grüne Stadtpräsident von Liestal grossen Wert darauf, nur über die ihm zugeteilten Themen zu reden.

Herr Ott, seit Dezember 2017 sind Sie Kantons- und Stadtentwickler – und schon macht das Gerücht die Runde, dass Sie über die chaotischen Zustände im Präsidialdepartement erstaunt seien. Was läuft schief?

Wirklich? Was in der Gerüchteküche kolportiert wird, stimmt nicht. Ich bin in einem guten Umfeld angekommen.

Sie haben Ihre Stelle zu einer Zeit angetreten, in der es im Präsidialdepartement turbulent zu und her ging. Inwiefern war oder ist das für Sie spürbar?

Das Präsidialdepartement war zu jenem Zeitpunkt in der Tat sehr exponiert. Aber exponiert zu sein ist für mich nichts Neues. Ich bin es von meiner früheren Aufgabe als Liestaler Stadtpräsident gewohnt, unter Beobachtung zu stehen und mit hohen Erwartungen konfrontiert zu sein.

«Ich schaue nicht zurück, sondern ich orientiere mich an dem, was vor uns liegt.»

Entspricht die Stelle Ihren Erwartungen?

Ich bin begeistert von der Substanz, die ich in meiner Abteilung angetroffen habe.

Wirklich? Als Kantons- und Stadtentwickler haben Sie doch wenig Gestaltungsspielraum. Es ist ein Amt ohne Macht.

Das finde ich überhaupt nicht. Die vier mir zugeteilten Fachstellen – Grundlagen und Strategien, Stadtteilentwicklung, Wohnraumentwicklung, Diversität und Integration – bilden ein äusserst spannendes und herausforderndes Portfolio. Das sind Schlüsselthemen in der Entwicklung des Kantons.

Wissen Sie schon, wohin Sie die in der Vergangenheit wenig akzeptierte Kantons- und Stadtentwicklung hinsteuern wollen?

In ihren Schlüsselthemen soll sie Akzente setzen und den Kanton vorwärtsbringen. Mein Anspruch ist es, das Potenzial dieser vier Fachstellen als Kompetenzzentren voll auszuschöpfen. In einer verstärkten Zusammenarbeit innerhalb dieser vier Fachstellen sehe ich einen zusätzlichen Mehrwert. Von zentraler Bedeutung ist für mich auch eine bereichsübergreifende Zusammenarbeit mit den anderen Departementen, sodass sich Projekte weiterentwickeln können.

Ist dies in der Vergangenheit unter Ihrem Vorgänger Thomas Kessler denn zu wenig geschehen?

Ich schaue nicht zurück, sondern ich orientiere mich an dem, was vor uns liegt.

Aus der Verwaltung ist zu vernehmen, dass sich die Zusammenarbeit mit der Kantons- und Stadtentwicklung seit Ihrem Amtsantritt intensiviert habe. War viel Überzeugungsarbeit dafür nötig?

Ich habe keine Vergleichsmöglichkeiten. Ich stelle einfach fest, dass die Zusammenarbeit mit anderen Departementen sehr intensiv und fruchtbar ist. Und ich habe tatsächlich auch das Gefühl, dass es gewünscht und gefragt ist, wenn wir uns einbringen.

«Kantons- und Stadtentwicklung sehe ich als Klammerfunktion.» (Bild: Dirz Wetzel)

Mit welchen Themen beschäftigen Sie sich momentan vor allem?

Wir sind derzeit daran, das Betriebskonzept für die neue Kaserne zu erstellen. Demnächst wird ein Vorschlag der politischen Ebene unterbreitet. Auf der Agenda stehen – immer in Zusammenarbeit mit den anderen Kantonsstellen – natürlich auch die wichtigen Arealentwicklungsgebiete Klybeckplus und Lysbüchel. Was sich zudem immer mehr bemerkbar macht, ist das Transformationsareal Wolf, das äusserst viel Potenzial für die Weiterentwicklung des Kantons bietet. Das Areal ist immerhin mehr als zweimal so gross wie die Europaallee in Zürich. Demnächst werden zudem die Integrationskennzahlen kommuniziert, die wir eruiert haben.

«Es muss nicht immer die ganz spektakuläre Vision sein.»

Gibt es bei so viel Koordinationsarbeit überhaupt noch Platz für Visionen?

Ja. Es muss aber nicht immer die ganz spektakuläre Vision sein, die etwas Effekthascherisches an sich haben könnte. Vielmehr sehe ich meinen Job darin, mich bei all den konkreten Aufgaben und Projekten so einzubringen, dass ein Mehrwert für die Weiterentwicklung des Kantons entsteht. Und übrigens: Ich mag den Begriff Koordinationsarbeit nicht.

Wieso?

Ich sehe die Kantons- und Stadtentwicklung eher als Klammerfunktion: Wir bündeln an verschiedenen Orten die Beiträge und tragen dazu bei, dass diese optimal auf den Punkt gebracht werden. Es geht darum, sicherzustellen, dass alle am gleichen Strick ziehen – und selbstverständlich auch darum, Impulse zu setzen in den Bereichen, die in die Zuständigkeit der Kantons- und Stadtentwicklung fallen und bei denen wir mitwirken. Ich bin aber nicht der Einzige, der Impulse setzt.

Sie agieren vorsichtig. Wohl deshalb, weil sich andere Departemente respektive Regierungsräte in der Vergangenheit von Thomas Kessler brüskiert fühlten. Müssen Sie wegen Kessler viel Aufräumarbeit leisten?

Eben, wie gesagt: Da man die Vergangenheit ohnehin nicht beeinflussen kann, orientiere ich mich konsequent an dem, was bevorsteht. Nur so viel: Ich treffe keine Altlasten an und habe den allergrössten Respekt vor der Arbeit meines Vorgängers.

Als Stadtpräsident von Liestal haben Sie intensiv für einen Uni-Standort Liestal geweibelt. Sind Sie als Kantons- und Stadtentwickler nun für einen Baselbieter Standort Dreispitz, da dies für die Wertentwicklung dieses Areals von Vorteil wäre?

Ich denke, in diesem Dossier ist die Kantons- und Stadtentwicklung derzeit nicht gefragt. Es ist Aufgabe des Unirates sowie der beiden Regierungen, die weiteren Entscheide zu treffen.

«Ich kenne aus meiner früheren Tätigkeit auch die Rolle meiner Chefin und damit auch die Erwartungen.»

Sie ziehen anders als Ihr Vorgänger klare Grenzen.

Das ist auch wichtig, um von einem robusten Rollenverständnis auszugehen.

Oder Sie werden von Ihrer Chefin Elisabeth Ackermann an die kurze Leine genommen?

Das ist nicht nötig. Ich bin mir sehr bewusst, welche Rolle ich ausfülle. Ich kenne aus meiner früheren Tätigkeit auch die Rolle meiner Chefin und damit auch die Erwartungen.

Wo sehen Sie die Herausforderungen für Basel?

In der Schaffung von neuem Wohnraum etwa, zumal in den letzten zehn Jahren 20’000 neue Arbeitsplätze entstanden sind – sozusagen ein Basler Jobwunder. Wichtig ist auch, dass es Wohnraum für alle gibt, der bezahlbar ist. Hier spielen die zur Verfügung stehenden Transformationsareale wie Klybeckplus, Lysbüchel oder Dreispitz eine zentrale Rolle. Es ist eine grosse Chance für die Stadt, dass man die vormals von der Industrie genutzten Areale nun auch für Wohnnutzungen zugänglich und fruchtbar machen kann. Ohne diese Areale haben wir keine Chance, die Balance zwischen Wohnbevölkerung und Arbeitsplätzen herzustellen.

Vorausgesetzt es klappt. Auf dem Lysbüchel sind die Fronten ja extrem verhärtet.

Auf dem Lysbüchel ist eine Entwicklung geplant, die weiterhin auch Gewerbe zulässt. Am Ende soll mehr Gewerberaum zur Verfügung stehen als heute – und zwar dadurch, dass das Areal besser ausgenutzt wird. Somit entstehen dort wesentlich mehr Arbeitsplätze als heute vorhanden sind.

Trotzdem: Der Gewerbeverband wehrt sich vehement dagegen.

Man darf nicht jedes Areal für sich isoliert anschauen, sondern muss die grossen Transformationsareale als Gesamtes sehen – das sind immerhin über 110 Hektaren, die zur Verfügung stehen. Nicht auf jedem Areal muss die gleiche Gewichtung vorgenommen werden. So ist vorgesehen, dass auf dem Wolf zukunftsweisende gewerbliche Flächen einen prominenten Platz einnehmen werden.

Rollenverständnis: Lukas Ott zieht als Stadtentwickler klare Grenzen. (Bild: Dirz Wetzel)

In Ihr Dossier fällt auch die Fachstelle Diversität und Integration, die den Runden Tisch der Religionen organisiert. In der Vergangenheit gab es immer wieder Kritik am Dachverband Basler Muslimkommission, die zu radikal sei. Ist es nicht heikel, dass der Kanton derart eng mit dieser zusammenarbeitet?

Wenn wir Parallelgesellschaften vermeiden wollen, müssen wir mit allen Gruppen den Dialog führen. Ich habe festgestellt, dass die Basler Muslimkommission – wie die anderen Teilnehmer auch – eine ernsthafte Stimme ist, die sich am Runden Tisch einzubringen versucht – und sich dem Dialog stellt. Dieser muss und kann nicht immer einfach sein.

Vor Kurzem berichtete der «Tages-Anzeiger» über einen Kleinbasler Imam, der über Schwule, Juden und Ungläubige schimpft. Auch die Gellertkirche fällt durch ein reaktionäres Menschenbild auf. So berichten ehemalige Besucher, dass sie ausgegrenzt worden seien, weil sie Sex vor der Ehe hatten oder eine Person gleichen Geschlechts oder einen Menschen mit einer anderen Konfession liebten. Beunruhigt Sie das?

Ob Moschee oder Kirche, es gelten für alle die gleichen Regeln: Niemand darf diskriminiert werden, nicht wegen der Rasse, nicht wegen des Geschlechts, nicht wegen der sexuellen Orientierung und nicht wegen religiöser Überzeugungen. Wenn es tatsächlich stimmt, was die TagesWoche über die Gellertkirche schreibt, dann muss uns das beschäftigen. Ich bin überzeugt, dass der Kirchenratspräsident dem nachgehen wird.

Das hat Kirchenratspräsident Lukas Kundert aber nicht vor, sagt er.

Ich kenne ihn anders: Er wird, wenn nötig, schwierige Themen ansprechen mit den Leuten, die es angeht. So kenne ich – als Pfarrerssohn – auch die reformierte Kirche: vielfältige Meinungen, aber eine hohe Streitkultur und im Dienste einer offenen, säkularen Gesellschaft.

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