Ist der Auszug aus dem Betreibungsregister belastet, so sind auch die Karten bei der Suche nach einer Wohnung schlecht. Ein Betroffener, der kaum aus dieser Spirale rauskommt, übt deshalb Kritik an Immobilien Basel-Stadt.
1129 Absagen in 430 Tagen: So sieht die Bilanz von S.A. aus. Anfang 2014 wurde seine Wohnung zwangsgeräumt. Praktisch von der Strasse aus machte er sich intensiv auf die Suche nach einer neuen Bleibe. Vergebens: «Wer Schulden hat und beim Sozialamt angemeldet ist, hat bereits verloren», sagt S.A. Der frühere Unternehmer ist seit knapp zwei Jahren Sozialhilfebezüger.
Wie er sagt, war rund die Hälfte seiner Bewerbungen an Immobilien Basel-Stadt (IBS) gerichtet. Auch dort biss er auf Granit. Als ihm einmal nach etlichen Bewerbungen der Kragen platzte, ging er persönlich bei IBS vorbei, um nach einer Erklärung zu fragen. Die bekam er auch: «Schauen Sie mal Ihre Schulden an», soll dabei die Antwort gewesen sein.
Aussagekraft des Betreibungsregister-Auszugs ist fraglich
Wer auf Wohnungssuche ist, kennt das Prozedere: Ein Auszug aus dem Betreibungsregister landet stets mit den anderen Unterlagen im Couvert. So selbstverständlich das auch ist, so problematisch wird es, wenn das Dokument unvorteilhaft aussieht. Patrizia Bernasconi, Geschäftsleiterin des Mieterinnen- und Mieterverbands Basel, sieht es daher kritisch, wenn ein Vermieter nur auf dieses Papier baut: «Das Fiese daran ist, dass oft gar nicht geklärt ist, ob der Eintrag zu Recht drin ist», sagt Bernasconi. Die Problematik der Verschuldung müsse aber im Kontext der allgemeinen Wohnungsnot betrachtet werden: Aufgrund des Mangels könne der Vermieter unter einer grossen Anzahl Bewerber auswählen, womit die Chancen für Leute mit Schulden noch schlechter stünden.
Michel Steiner, Geschäftsleiter beim Verein «Gassenarbeit Schwarzer Peter», kennt von seiner Arbeit her viele Leute, die genau dieses Problem haben. Dabei rät er den betroffenen Personen, ausdrücklich zu vermerken, dass keine Mietschulden vorliegen. Trotz unvorteilhaftem Betreibungsregisterauszug sollen sie so betonen, dass ihre vorherigen Vermieter stets ihr Geld bekommen haben. «Das klappt am ehesten noch bei Privatvermietern», sagt Steiner.
Enttäuschung über Immobilien Basel-Stadt
Dass Leute wie S.A. ausgerechnet von Immobilien Basel-Stadt durchs Band Absagen bekommen, wirft für den Gassenarbeiter schon Fragen auf: «Ist denn der Staat ein x-beliebiger Immobilienbesitzer?», fragt sich Steiner. Hier müsste man seiner Meinung mehr erwarten können: «Spätestens dort, wo der Markt versagt, ist der Kanton als Gemeinwesen in der Pflicht, dem Grundbedürfnis Wohnen nachzukommen.» Den Einwand, dass sich der Staat nicht künstlich in den Immobilienmarkt einmischen sollte, kann er nicht teilen: «Wozu gibt es denn dazu Fachstellen in mehreren Departementen, wenn schlussendlich der Staat trotzdem passiv bleiben muss?»
IBS-Sprecherin Barbara Neidhart weist die Vorwürfe zurück: «Wir vermieten auch an Personen mit einem belasteten Betreibungsregisterauszug.» Massgebend für den Vermietungsentscheid sei, ob sich jemand die Wohnung leisten kann, ohne in Schwierigkeiten zu kommen. Dabei greife IBS im Auftrag des Kantons dort ein, wo Bedürfnisse vorhanden seien: «20 Prozent aller Wohnungen des Immobilienportfolios im Finanzvermögen sind an die Sozialhilfe vermietet», sagt Neidhart.
Gemäss dem neuen Wohnraumfördergesetz erwerbe IBS Liegenschaften mit dem Ziel, sie besonders benachteiligten Personen zur Verfügung zu stellen. Dabei betont sie auch, dass der Kanton mit rund 2000 Wohnungen nur zwei Prozent des Angebots abdecke. «Der Spielraum ist also klein, der Kanton nutzt ihn aber aus», sagt Neidhart.
Was der staatliche Vermieter über die Interessenten weiss
S.A., der bei IBS trotzdem stets auf Granit biss, sieht seine Steuerschulden als entscheidend für die negativen Entscheide an und fragt sich, über welche Infos die Vermieter denn – abgesehen vom Betreibungsregister – eigentlich verfügen. Barbara Neidhart beschwichtigt: «Wir haben keine Einsicht in kantonale Daten, die Auskunft über die finanzielle Situation von Personen geben würden.» Daher sei jeweils nicht bekannt, ob ein Mietinteressent Steuerschulden hat oder Sozialhilfebezüger ist.
Wie der Basler Datenschutzbeauftragte Beat Rudin erläutert, brauche es für Onlinezugriffe für Daten aus der kantonalen Verwaltung jeweils ein Gesuch – in diesem Fall von IBS. Darauf müsse die Dateneignerin eine Bewilligung erteilen. «Ansonsten schalten die Zentralen Informatikdienste diese nicht frei», sagt Rudin. «Nach den uns zur Verfügung stehenden Informationen hat IBS weder einen Onlinezugriff auf Daten des Betreibungs- und Konkursamtes noch auf solche der Sozialhilfe.»
Dennoch stand IBS noch vor wenigen Jahren wegen ihres Umgangs mit Daten in der Kritik: Früher wurde jeweils verlangt, den Bewerbungen einen Lohnausweis beizulegen. 2014 brachte Patrizia Bernasconi dieses Thema in den Grossen Rat. Dabei kritisierte sie, dass dieses Vorgehen völlig quer zu den eidgenössischen Datenschutzrichtlinien stehe. Nach Verhandlungen mit dem Basler Datenschutzbeauftragten musste sich IBS letztes Jahr schliesslich beugen: Im neuen Formular werden abgestufte Lohnklassen angekreuzt – in Zehntausenderschritten. Kommt aber jemand in die engere Auswahl, muss er dennoch nebst dem Auszug aus dem Betreibungsregister auch einen Lohnausweis beilegen.
Wohnungsnot: «Es braucht keinen Tropfen, sondern einen Kessel»
Das Thema Wohnungsnot wurde auch schon im Grossen Rat diskutiert. Ursula Metzger (SP) stellte in zwei Anzügen die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass auch Menschen mit Einträgen im Betreibungsregister eine Wohnung beziehen können. Zudem fragte sie, wie IBS dazu verpflichtet werden könnte, einen Anteil ihrer Wohnungen an Menschen in prekären finanziellen Verhältnissen zu vermieten. In seiner Antwort vom 4. Mai 2016 verweist der Regierungsrat unter anderem auf die Zusammenarbeit zwischen IBS und der Sozialhilfe: 37 Liegenschaften stünden Sozialhilfebezügern zur Verfügung. Genannt werden auch eine kürzlich erworbene Liegenschaft in Kleinhüningen sowie Notwohnungen im Iselin-Quartier. Zudem nennt die Regierung die Abgabe von Arealen im Baurecht an Genossenschaften, so etwa beim Felix-Platter-Areal.
In den Augen von Patrizia Bernasconi sind die Antworten der Regierung noch zu vage: «Eine Bauoffensive für bezahlbaren Wohnraum gibt es dennoch nicht.» Kritisch sieht sie auch, dass der Staat dabei immer auf die Wohnbegleitung der IG Wohnen zählt. Diese sei völlig überlastet: «Der Staat stützt sich zudem auf Privatorganisationen und stiehlt sich somit aus der Verantwortung.» Auch Michel Steiner ist angesichts der aktuell fast 400 Wohnungslosen und einer Leerstandsquote von 0,3 Prozent skeptisch: «Ich spüre keinen Willen der Regierung, da etwa zu machen.» Projekte wie Volta Ost für finanziell schwächer Gestellte seien dabei ein Tropfen auf den heissen Stein: «Es braucht aber einen Kessel Wasser.»
Auf dem aussortierten Bewerbungsstapel
Der Regierungsrat nennt ein weitere Möglichkeit für Ausgesteuerte auf Wohnungssuche: Die Sozialhilfe stellt auf Wunsch Mietzinsbestätigungen aus. Diese soll den Vermietern versichern, dass die Nettomiete bis zum Grenzwert gemäss kantonalen Unterstützungsrichtlinien bezahlt wird. Darin sieht Michel Steiner ein brauchbares Instrument, doch der Effekt sei bescheiden, wenn eh schon 100 andere Bewerber Schlange stehen. «Wer stigmatisiert ist, dessen Bewerbung landet schon mal auf dem aussortierten Stapel», sagt Steiner.
Damit wird womöglich der Sozialhilfeempfänger S.A. bald wieder konfrontiert sein. Momentan hat er zwar eine Bleibe: Eine Stiftung konnte ihm bei der Wohnungssuche helfen. Das Glück währt wohl aber nicht lange: Vermutlich steht eine Kündigung im kommenden Jahr bevor. S.A. macht sich schon jetzt auf die Suche. Er befürchtet, nun in der gleichen Situation zu landen. Das Sozialamt bezahle 700 Franken. «Suchen Sie mal eine Wohnung in dieser Preisklasse», sagt er.