Ein Ökoaktivist mit doppelt gebrochener Nase ist der Hoffnungsträger gegen Neuseeland

Am Samstag (17 Uhr, Eurosport) treffen im Finale der Rugby-Weltmeisterschaft die Mannschaften von Australien und Neuseeland aufeinander. Klar favorisiert im trans-tasmanischen Duell um den Titel des ersten Dreifach-Weltmeisters: die All Blacks. Doch ein Spieler könnte den «Kiwis» die Party verderben.

epa04995584 Australia's David Pocock (R) is being tackled by Argentina's Guido Petti Pagadizaval (C) during the Rugby World Cup 2015 semi final match between Argentina and Australia at Twickenham stadium in London, Britain, 25 October 2015. EPA/FACUNDO ARRIZABALAGA EDITORIAL USE ONLY/ NO COMMERCIAL SALES / NOT USED IN ASSOCIATION WITH ANY COMMERCIAL ENTITY

(Bild: Keystone/FACUNDO ARRIZABALAGA)

Am Samstag (17 Uhr, Eurosport) treffen im Finale der Rugby-Weltmeisterschaft die Mannschaften von Australien und Neuseeland aufeinander. Klar favorisiert im trans-tasmanischen Duell um den Titel des ersten Dreifach-Weltmeisters: die All Blacks. Doch ein Spieler könnte den «Kiwis» die Party verderben.

Den Tag der Wachablösung hatten die Rugby-Journalisten schon vor vier Jahren herbeigeschrieben. Bei der WM 2011 in Neuseeland hatte der damals 24-jährige Australier David Pocock das Viertelfinale gegen Südafrika fast im Alleingang entschieden. 27-mal hatte Pocock seine Gegner getackelt und sie kein einziges Mal verfehlt. Vor dem darauffolgenden Halbfinale gegen die Gastgeber wurde sein Aufeinandertreffen mit All Black-Kapitän Richie McCaw zu einem historischen Moment aufgebläht.

Die Beiträge der TagesWoche zur Rugby-WM, dem drittgrössten Sportereignis der Welt:

» Was man über Rugby wissen muss: Alle gegen Neuseeland an der WM
» Englands Aus an der Heim-WM: Der grösste anzunehmende Scherbenhaufen
» Die Viertelfinals: Ein Kiste voll durchgedrehter Frösche
» Die Halbfinals: Die Südhalbkugel dominiert die Weltmeisterschaft

Die Auseinandersetzung des alternden Königs mit seinem deutlich jüngeren Rivalen hätte, so schrieb der britische «Guardian», alle «Ingredienzien einer grossen individuellen Sportkonfrontation»: das Treffen eines Meisters, den viele für den besten Rugbyspieler der Gegenwart halten, mit einem aufsteigenden Talent, das wohl bald seinen Umhang tragen wird.

Die Wachablösung blieb an diesem Abend aus. Die All Blacks überrollten die Wallabies trotz David Pocock leichtfüssig und holten sich danach gegen Frankreich auch den Titel. Vier Jahre später stehen sich McCaw und Pocock nun wieder gegenüber. Doch dieses Mal spricht vieles dafür, dass Pocock das Momentum auf seiner Seite haben könnte.

Noch vor einigen Monaten hätte keiner auch nur einen Pfifferling auf die Australier gesetzt. Eine Ansammlung von Troublemakern, Säufern und Primadonnen sei das Team, so beklagten die heimischen Rugby-Experten. Bei der WM in England, so die einhellige Auffassung, sei von dieser Gurkentruppe wohl nichts Gutes zu erwarten.

Rugby als Therapie

Doch nun stehen die Männer von Downunder tatsächlich im Finale und Trainer Michael Cheika, ein Mann mit libanesischen Wurzeln, beschreibt sein Team genüsslich als eine perfekte Mischung aus «Kämpfern, Spassvögeln und Liebhabern». Gegen Neuseeland, das zweifellos beste Rugby-Team der vergangenen zehn Jahre, bringen die Wallabies also zwei machtvolle Argumente aufs Feld: Draufgängertum und Jugend. Und keiner symbolisiert das so perfekt wie David Pocock, der wohl kontroverseste Rugby-Spieler der Gegenwart.

Pocock hat die Statur eines Mittelgewichtsboxers und wird deshalb nach dem Jungen von Barney Geröllheimer «Bam Bam» genannt. Er gilt nicht nur als weltbester Rugby-Spieler in der Breakdown-Area, sondern steckt auch ausserhalb des Spielfeldes überall dort seinen Kopf hinein, wo es wirklich gefährlich wird.

Allein seine Biografie klingt wie eine Hollywood-Inszenierung: Geboren und aufgewachsen in Simbabwe, schlief der Teenager in den Zeiten der illegalen Landnahme Robert Mugabes stets mit geladenem Gewehr unterm Bett. Im Jahr 2000 verlor die Familie ihre riesige Farm und wanderte mittellos nach Brisbane in Australien aus.



FILE - In this file photo dated Saturday, Oct. 17, 2015, New Zealand's Julian Savea scores a try during the Rugby World Cup quarterfinal match between New Zealand and France at the Millennium Stadium, Cardiff. Stunning skill by winger Julian Savea bought an audible gasp from fans around Millennium Stadium. (AP Photo/Alastair Grant, FILE)

Ihn gilt es für die Australier im Finale zu stoppen: Julian Savea hat an dieser WM bereits acht Versuche für Neuseeland gelandet. (Bild: ALASTAIR GRANT)

Vater Andy Pocock hatte danach versucht, als Gärtner und Fabrikarbeiter die Familie über Wasser zu halten. «Einer meiner beiden jüngeren Brüder, der gesehen hatte, wie einer unserer Nachbarn erschossen wurde, litt jahrelang an einem posttraumatischen Stresssymptom», erzählt Pocock, «ich selbst wählte Rugby, um über diese Jahre hinwegzukommen.»

Sein Aufstieg war raketenartig: Erstliga-Debüt mit 18 Jahren. Erstes Länderspiel mit 20. Mit 22 war er erstmals in der engeren Auswahl zum Welt-Rugbyspieler des Jahres. Nur 24 Monate später wurde ihm die Kapitänsbinde der Wallabies umgebunden.

Ökoaktivist mit doppelt gebrochener Nase

Da hatte Pocock längst auch ausserhalb des Spielfeldes für Furore gesorgt. In seinen ersten Länderspielen ging «Bam Bam» Pocock so an seine physischen und emotionalen Grenzen, dass er nach Niederlagen schon mal in Tränen ausbrach. Ähnlich ernst ist es Pocock auch mit ethischen Werten. Er trägt keine Markenkleidung, isst nur Fairtrade-Schokolade und hat bereits vor Jahren verkündet, er werde seine Freundin solange nicht heiraten, wie das den Homosexuellen in Australien verboten ist.

Vor ein paar Monaten kettete sich David Pocock an einen Bagger, um gegen eine neue Kohlemine zu demonstrieren, die die umliegenden Farmer bedrohte. Nach seiner Festnahme wegen Landfriedensbruch twitterte er: «Ich würde das hier immer tun, egal was das für meine Karriere bedeutet. Ich weiss, manche mögen das Gesetz nicht brechen. Aber für mich ist sozialer Ungehorsam ein Weg, um auf Ungerechtigkeit hinzuweisen.»



Rugby Union - Australia Press Conference - The Lensbury Hotel, Teddington, Middlesex - 27/10/15 Australia's David Pocock during the press conference Action Images via Reuters / Peter Cziborra Livepic

Emotional und physisch stets an der Grenze: der Australier David Pocock. (Bild: Reuters/Peter Cziborra)

Für den vorläufigen Höhepunkt seines Engagements sorgte Ökoaktivist und Selbstversorger Pocock im März diesen Jahres. Nachdem er das Wort «Schwuchtel» einmal zuviel gehört hatte, zeigte Pocock einen Gegenspieler beim Schiedsrichter an. Der Angeklagte musste 20’000 Australische Dollar Strafe an den Verband zahlen.

Viele Freunde hat er sich im konservativ geprägten Australien damit nicht gemacht. Da hilft es, dass es David Pocock beim Männersport Rugby an physischer Härte nicht fehlen lässt. Kaum ein Spiel, das der 27-Jährige nicht mit blutendem Gesicht beendet. Im brutalen Halbfinale gegen Argentinien brach sich Pocock gleich zweifach die Nase und trat danach mit zwei blauen Augen vor die Journalistenschar.

die «Doppel-Sieben» als neue taktische Variante

Rugbyspiele werden in der so genannten Breakdown-Area entschieden. Dort werden die Angreifer getackelt, dort wird gerungen und getreten. Und dort ist das Königreich von David Pocock. Mister 20 Prozent nennt man ihn, weil Australien mit ihm 20 Prozent mehr Spiele gewinnt als ohne ihn.

Zuletzt besiegten die Australier im Finale des Championship, der Meisterschaft der besten Mannschaften der südlichen Hemisphäre, im August als Einzige in diesem Jahr die All Blacks. Das Spiel war die Geburt eines jetzt schon legendären Duos. Normalerweise spielen moderne Rugby-Teams mit einem Openside Flanker (Flügelstürmer), der die dafür vorgesehene Rückennummer 7 trägt.



epa04962236 Australia Michael Hooper (L) and David Pocock (R) greet supporters after winning the Rugby World Cup 2015 match in Pool A between England and Australia at Twickenham in London, Britain, 03 October 2015. EPA/FACUNDO ARRIZABALAGA EDITORIAL USE ONLY/ NO COMMERCIAL SALES / NOT USED IN ASSOCATION WITH ANY COMMERCIAL ENTITY

Ein Hauptgrund für die einzige Niederlage der All Blacks in diesem Jahr: Die Doppel-Sieben «Pooper», David P-ocock (rechts) und Michael H-ooper. (Bild: Keystone/FACUNDO ARRIZABALAGA)

Openside Flanker sind jene Spieler, die am flexibelsten auf veränderte Spielsituationen reagieren können. Sie müssen Tackling und Passspiel beherrschen und sind deshalb die grössten Allrounder auf dem Spielfeld. Oftmals spielen die Kapitäne der Mannschaften auf dieser Position, wie zum Beispiel auch Richie McCaw bei den «Kiwis».

Trainer Michael Ceika hatte für das besagte Spiel mit Michael Hooper und David Pocock überraschenderweise gleich zwei «Siebener» aufgeboten. Ein Schachzug gegen den die All Blacks kein Mittel fanden. «Pooper», wie die Journalisten das Duo Infernale tauften, könnte am Ende auch das Finale in Twickenham für sich entscheiden.

Zweimal – 1991 und 1999 – fand eine Rugby-Weltmeisterschaft in Grossbritannien statt. Zweimal gewann Australien den Titel. Sollte das den Wallabies auch zum dritten Mal gelingen, darf sich David Pocock endgültig den Mantel von König Richie McCaw umhängen lassen.

Die Spiele werden auf Eurosport übertragen | Mehr zur Rugby-WM: Webseite des Turniers und Wikipedia
Rugby-Weltmeisterschaft in England und Wales

Um Platz 3

     
Fr, 30. Oktober 21.00 London, Olympic Stadium Südafrika – Argentinien

Finale

     
Sa, 31. Oktober 17.00 London, Twickenham Neuseeland – Australien

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