Wie ein Glutteppich liegt der Kunstrasen auf dem Nachwuchs-Campus des FC Basel hingestreckt am Tag nach der Freistellung von Raphael Wicky. Das Thermometer am Laternenpfahl zeigt 37 Grad Celsius, Wassersprenger feuern aus allen Rohren. Und hinter dem Horizont schraubt sich die Russwolke des Grossbrandes im Kleinbasel hervor. Giftige Bahnschwellen unter Feuer, ein Teil der Stadt ringt an diesem Freitag um Luft.
Der FCB hält planmässig an seinem Abschlusstraining fest. Wüsste man nicht um die Ereignisse des Vortags, gäbe es keinen Grund, daran zu zweifeln, dass beim Basler Grossklub alles den gewohnten Lauf nimmt. Erst pedalt Goalietrainer Massimo Colomba heran, dann folgen Alex Frei, der Interimstrainer, flankiert von Sportchef Marco Streller. Dann folgt der Rest.
Der Trainerstab vermittelt Lockerheit, das verbissene Schweigen seit dem Entscheid ist weg – war da was? Da und dort ein Lächeln, flüchtige Grüsse in Richtung der Handvoll Journalisten. Wegen des Grossbrands das Training sausen zu lassen, stand nie zur Debatte, sagt Spielerbetreuer Pascal Naef schulterzuckend und hält die Nase in die Luft. So schlimm sei es nicht, «es haben ja schon ganz andere Dinge gebrannt».
Entgegen der angekündigten Massnahmen bleiben die Tore zum Training geöffnet. Ein Zeichen der Transparenz vielleicht an jene hartgesottenen Fans, die sonst für die ersten 15 Minuten zum Trainingsgelände pilgern. Nur, es sind keine Fans gekommen.
Als die Spieler zum Aufwärmen durch die Hütchen gehetzt werden, stehen Frei und Streller etwas abseits und besprechen sich. Marco Schällibaum, der Assistent für Frei, hat die Baseballkappe tief in die Stirn gezogen und flachst zu Kalulu, der einen Ball versenkt: «Eh mec, pas si mal.» Als wäre Schällibaum immer schon dabei gewesen. Dann schaut er düster in Richtung der wenigen Zaungäste mit Notizblock und Stiften in der Hand. Spuckt aus. Wendet sich wieder dem Training zu.
Während die Mannschaft nach einer Dreiviertelstunde die Kadenz erhöht, wartet an der St. Jakobstrasse Taulant Xhaka auf dem Velo alleine vor dem geschlossenen Tramübergang und schwitzt. Seine Gefühlslage sei okay, sagt er angesprochen auf Wickys Abgang: «So ist das halt, heute bist du noch hier, morgen weg.» Er spuckt aus.
Die Stimmung in der Mannschaft? «Könnte besser sein.» Mit Interimstrainer Frei habe er noch zusammengespielt, an ihm zweifelt er nicht. Dann sagt Xhaka, der wegen einer Verletzung noch kein Spiel machen konnte: «Aber die Mannschaft muss sich jetzt mal zusammenreissen.»
Hat das Team Schuldgefühle gegenüber Wicky? «Nein, das nicht.» Die Mannschaft hat am Vorabend vom Entscheid erfahren: «Das ging dann plötzlich sehr schnell». Er habe Wicky heute morgen noch in der Garderobe gesehen, er sei ganz okay. «Bisschen traurig ist der schon. Aber damit muss jetzt jeder selber klarkommen.»
Die Schranke hebt sich. Xhaka radelt davon.
Vielleicht war Wicky zu nett, zu brav, zu konfliktscheu
Alex Frei, das ist aus der Mannschaft zu vernehmen, übernimmt ein Team, das von Wickys Freistellung nicht sonderlich überrascht wurde. Es gab Anzeichen, interne Absetzbewegungen, die Fussballspieler registrieren wie manche Menschen die Spannung in der Luft vor einem Gewitter.
Was nicht heisst, dass die Mannschaft über den Abgang erleichtert ist. Wicky hatte die Kabine zumindest nicht gegen sich. Die Beziehung zwischen der Mannschaft und dem Walliser wird von FCB-Akteuren als vertrauensvoll beschrieben. Das Team hatte keine Probleme mit dem Trainer Wicky, der Mensch Wicky wird als zu- und umgänglich beschrieben.
Womöglich war diese Harmonie aber auch Teil des Problems, vielleicht war Raphael Wicky zu nett, zu brav, zu konfliktscheu.
Für diese These finden sich Hinweise und einer davon ist Marco Schällibaum. Er bringt mit, was Wicky fehlte und vermutlich auch Alex Frei im Umgang mit den eigenen Spielern: Er kann ausgesprochen unangenehm werden. Ein ehemaliger FCB-Spieler drückt das so aus: «Als Trainer musst du eine abgezockte Sau sein oder ein Arschloch.» Raphael Wicky ist beides nicht.
Nach Wickys Aufbegehren war es um ihn geschehen
Wicky hatte noch ein weiteres Problem. Er war relativ lange loyal seinen Auftraggebern gegenüber – und stellte sich dann plötzlich auf die Hinterbeine. Über ein Jahr nahm er hin, dass sein Kader dünner und dünner wurde, dass das Sparkonzept des Klubs den künftigen Erfolg aufs Spiel setzt. Solange er schwieg, hatte Wicky seinen Sportchef Streller hinter sich. Als er in den letzten Wochen gegen die Entscheidungen des Klubs aufbegehrte, war es um ihn geschehen.
Das ist gar nicht so schwer zu verstehen: Wer von Anfang an widerspricht, gilt als kritischer Geist; wer immer nur abnickt und irgendwann aufmuckt, begeht Verrat.
Immerhin das Publikum hat ihm bis zuletzt die Loyalität angerechnet. Deutlichen Druck der Öffentlichkeit gab es trotz der ungewohnten Misserfolge der letzten Monate kaum. Es gab keine «Wicky Raus»-Rufe, keinen Aufstand der Tribüne, erst recht keinen der Kurve.
Wohl lässt sich Unmut feststellen, doch der richtet sich vornehmlich gegen jene Personen, die Wicky jetzt abserviert haben. Auf der Facebook-Seite des FC Basel ist viel davon zu finden. Das Social-Media-Team verzichtet darauf, die Kritik wegzumoderieren oder gar zu löschen. Vielleicht weil sie schlicht zu viel geworden ist.
Ein Nutzer namens Hanspeter Fahrni schreibt: «Wenn das Material nicht passt, ist jedes Bauwerk anfällig.» Und ein Peter Hablützel meint: «Die wahren Schuldigen sind ein paar Etagen weiter oben zu suchen und die dürfen bleiben.»
Die Rollen sind im weiten, unbarmherzigen Netz klar verteilt: Wicky, oft liebevoll nur Raphi genannt, ist das Bauernopfer, Sportchef Streller hat das Kader ruiniert und FCB-Präsident Bernhard Burgener ist der «Dividenden-Burgener», ein Geldhai, der beim FCB kräftig abfischen will.
Die Konkurrenz in der Schweiz reagiert irritiert
Auch die Medien adressieren ihre Kritik unisono an die Vereinsführung. Der Tenor: Streller und Konsorten flattern die Nerven. Verwirrt zeigt sich die Fachwelt. Michel Decastel, Trainer von Neuchâtel Xamax, dem Gegner des FCB an diesem Samstag, sagt: «Ich war sehr überrascht. Wicky ist ein super Typ und der musste gehen nach einem Match in der Super League. Und einem Qualifikationsspiel, in dem er nicht einmal ausgeschieden ist.»
Selbst die grosse Politik ergreift für Wicky Partei – als habe der FC Basel mit dessen Entlassung eine Staatskrise ausgelöst. «Ich mag den Herrn Burgener nicht. Gar nicht», twitterte beispielsweise SP-Nationalrätin Silvia Schenker über den FCB-Präsidenten, mit dem sie in den ersten Monaten seiner Amtszeit bei zwei Diskussionen zum Thema FC Basel auf dem Podium sass.
«Dass sich nationale Politiker zu dieser Trainerentlassung äussern, zeigt, wie präsent der FC Basel in der Gesellschaft ist», sagt dazu Claudio Miozzari, der für die SP im Basler Grossen Rat sitzt. Miozzari hat die Beziehung zwischen der Stadt und ihrem Verein genau erforscht. Im September wird ein Buch über den Klub erscheinen, an dem er mitgeschrieben hat. «Der FC Basel und seine Stadt» mit der Geschichte des Vereins und den «Schnittstellen Politik, Migration, Drogen oder Ästhetik».
Bernhard Burgener besitzt den FC Basel zwar formell, doch in der öffentlichen Wahrnehmung gehöre er der Allgemeinheit, sagt Miozzari. Auch deshalb fällt das öffentliche Urteil über den Geschäftsmann Burgener und seinen Sportchef jetzt derart harsch aus. Sie haben sich etwas angeeignet, was ihnen eigentlich nicht gehört und scheinen gerade dabei, es leichtfertig zu beschädigen.
Auf dem Niveau von jedem anderen Klub angelangt
Der FC Basel hat seine Wurzeln in den letzten Jahren immer weiter in die Stadt getrieben. Er durchdringt Kultur und Wissenschaft und prägt Lebenswege wie jenen von Benedikt Pfister. Pfister betreibt seit knapp vier Jahren die Fankneipe «Didi Offensiv» am Kleinbasler Erasmusplatz. Eigentlich ist er Historiker, doch selbst dort überschneidet sich sein Wirken mit jenem des Vereins. Pfister hat ein Buch mitverfasst über die Basler Fankultur und damit auch ein bisschen über sich selber.
Die Kritik an der neuen Führung, glaubt Pfister, hat viel mit dem zu tun, was vorher war. «In der Schweiz war man eifersüchtig auf uns wegen Heusler und Heitz, die Klubführung erfüllte die Fans mit einem gewissen Stolz», sagt Pfister. Die alte Spitze um Präsident Bernhard Heusler und Sportchef Georg Heitz habe den Eindruck vermittelt, alles im Griff zu haben. Jede Entscheidung erschien als die richtige.
Und jetzt? «Jetzt sind wir auf dem Niveau von jedem anderen Super-League-Klub angelangt», sagt Pfister. Das ist vielleicht die grösste Ernüchterung in der aktuellen Krise: Dass es der Klub nicht mehr seriöser, vernünftiger – besser macht als der Rest.
Und dass er nicht mehr weiss, was er eigentlich will. «Das Erstaunliche ist ja, dass es kaum Kritik gab nach den Misserfolgen der letzten Saison. Die Fans waren bereit, dem neuen FC Basel Zeit zu geben», sagt Pfister.
Doch mittlerweile erkennt er bei der neuen Führung eine gewisse Ratlosigkeit: «Ich glaube, sie haben ihr eigenes Konzept nicht verstanden. Mehr Junge, mehr Spieler aus dem eigenen Nachwuchs, das ist keine schlechte Strategie – aber dann kann man nicht den Gewinn der Meisterschaft verlangen und internationale Erfolge.»
Dass die Fans reflektierter und geduldiger sind als das Klubmanagement, ist eher aussergewöhnlich im Fussballbetrieb. Aber vielleicht nicht überraschend beim FC Basel und seinen Anhängern. Pfister sagt: «Wir identifizieren uns nicht mit der Führung, dem Besitzer, dem Trainer, ja nicht einmal mit den Spielern. Nur mit dem Verein und unserer eigenen Fankultur.»
Und FCB-Erforscher Claudio Miozzari glaubt: «Wer die Beziehung zwischen der Stadt und ihrem Verein verstehen will, muss sich mit der Frage der Identität beschäftigen.»
Sportchef Streller setzt sich selbst Kritik aus
Das zumindest hat das neue Management des FC Basel erkannt. Über das Identitätsgefühl versuchte man die neue Strategie an die Kundschaft zu bringen. Doch vermutlich reicht das Bekenntnis des FCB-Fans zu seinem Verein tiefer, als es die Marketingstrategen des Klubs erörterten.
Für Miozzari hat das Identitätsgefühl nichts mit der Herkunft der Spieler zu tun, wie es von der Klubführung immer wieder betont wird. Gebetsmühlenartig zählt Burgener bei jeder Gelegenheit die Einsatzminuten der jungen Basler auf. Aber Miozzari sagt: «Wenn ich den Slogan des Konzepts höre, ‹Für immer Rotblau›, dann frage ich mich: Was heisst das? Für mich ist es ein Marketing-Slogan der neuen Führung. Auch Matias Delgado war einer von uns, oder Franco Costanzo, obwohl sie nicht aus Basel kamen. Die Herkunft spielt also eigentlich keine Rolle.»
Deshalb hilft auch einem Marco Streller als Sportchef seine Vergangenheit als FCB-Volksheld nicht wesentlich weiter. Didi-Betreiber Pfister sagt: «In Basel wirst du nicht mit offenen Armen empfangen, du musst dir das Vertrauen der Menschen verdienen.»
Streller brachte viel davon mit, als er nach einer Übergangszeit vom grossen Captain in die Rolle des sportlich Verantwortlichen schlüpfte. «Es gibt eine gewisse Skepsis, aber die Menschen in Basel vertrauen mir.» Das hat Streller vor einem Jahr gesagt. Seine Position hat er mit der Entlassung Wickys nicht gefestigt. Er hat seinem Trainer den Stuhl vor die Tür gestellt, mit dem er in die neue Ära aufgebrochen ist, und er hat es mit einer Begründung («nach fünf Niederlagen») getan, mit der er sich selbst der Kritik aussetzt.
Weil er in der Hochphase von Vorbereitung und Transferzeit mit der Familie in den Ferien weilte, wenn auch nach eigener Darstellung mit dem quasi ans Ohr gewachsenen Telefon, war er nicht präsent bei den Testspielniederlagen, die er nun seinem geschassten Trainer vorhält.
Kein Wort des Besitzers und Präsidenten Burgener
Das Vertrauen wurde die letzten Tage nicht vergrössert und aus den Skeptikern sind laute Kritiker geworden. Auch weil Streller und die Klubspitze sich dazu entschieden haben, erstmal zu schweigen. In zwei Sätzen erklärte sich der Sportchef nach der Trennung von Wicky. Der ebenfalls freigestellte Assistent Massimo Lombardo wird in der Mitteilung nicht einmal erwähnt.
Präsident Burgener äusserte sich vor wenigen Wochen ausführlicher zur Vertragsverlängerung mit dem Ausrüster Adidas als Streller zur bisher schwerwiegendsten Personalentscheidung. Zum Trainerwechsel sagt Burgener bislang gar nichts.
Das fügt sich in eine Wahrnehmung des Klubs, dass da vom neuen Besitzer und seinen Leuten ein paar Mechanismen unterschätzt werden. Dass Eigen- und Aussenwahrnehmung stark auseinanderklaffen und bislang keine Anstrengungen unternommen wurden, beide Perspektiven zusammenzuführen.
Etwas, das der vorigen Klubspitze erstaunlich gut gelang. Auch sie durchlebte in acht Jahren viele heikle, auch existenzielle Momente. Die Entlassung von Heiko Vogel in einem ebenfalls frühen Saisonstadium löste in der Stadt gehörige Empörung über Heusler und Co. aus. Die Trennung von Murat Yakin nach zwei Meistertiteln verstanden auch nicht alle. «Jede Saison besteht aus 1000 kleinen Krisen», pflegte der ehemalige Sportdirektor Georg Heitz dann zu sagen.
Die Schonfrist ist fürs Erste beendet
Doch der jeweils nächste Erfolg gab der FCB-Führung recht. Von diesem Automatismus können die Nachfolger nicht zehren. Trotzdem sind sie auch vor dieser Saison nicht davon abgekehrt, ihre Ziele maximal zu formulieren, statt ihre Rhetorik dem anzupassen, was der neue Mehrheitseigener eigentlich vorgibt: eine Redimensionierung.
Die alte Führung hatte das Glück, dass ihre Risikostrategie aufging. Das Risiko, das Jahr für Jahr im strukturellen Defizit steckt – der FCB gibt mehr aus, als er einnimmt und kompensiert das entweder mit Transfergewinn oder nicht budgetierten Einnahmen aus der Champions League.
Dieses Risiko versucht der Unternehmer Burgener zu verkleinern. Auf mehr junge Spieler zu setzen bedeutet nämlich nicht nur mehr Lokalkolorit, sondern auch niedrigere Lohnkosten.
Gleichwohl investiert Burgener, anders als ihm oft vorgehalten wird, grosse Summen in den Kader. Die rund 15 Millionen Franken, die in diesem Sommer für Transfers ausgegeben wurden, entsprechen ungefähr den Investitionen, die auch die alte Führung in den Jahren höherer Transfereinnahmen wieder in die Mannschaft gesteckt hat.
All das hätten die neuen Verantwortlichen des FC Basel in den letzten Monaten erklären können. Man hätte ihnen vermutlich zugehört. Sie haben es nicht getan und stattdessen nun mit der Entlassung des eigenen Wunschtrainers die Schonfrist fürs Erste beendet.
Jetzt zählt nur, was so gar nicht zum neuen FC Basel passt: jeder einzelne Punkt.