Es ist ein sonderbares Ensemble: Wasser plätschert aus dem Rachen eines Löwen, darunter lauert ein Monster und nebenan Wilhelm Tell mit Sohn Walterli. Zu Gesicht bekommen all dies nur wenige. Welcher Passant verliert sich schon im lauschigen Innenhof in der «Dalbe»?
«Viele denken, das hier sei privat», sagt Christoph Goichon, «daher ist es so etwas wie ein verborgener Ort der Ruhe.» Das «Haus zum Seilen» ist nur einer von vielen urbanen Juwelen, die der Autor des neuesten Basler Reiseführers ausgemacht hat. Bereits im 15. Jahrhundert wurde das Haus erwähnt. August Balthasar Hilt gestaltete die Liegenschaft 1971 zu einer Galerie um und verlieh ihm mit all den Fratzen und Figuren ihre heutige Form.
Ein Schatz an Sehenswürdigkeiten
Es sind genau solche Orte wie dieser Innenhof, die Goichon besonders interessieren. So führen seine Stadttouren etwa in die Meriangruft, die nur auf Anfrage zugänglich ist, oder zum zugemauerten St. Andreasgässlein. Zu seinen skurrilen Empfehlungen gehören aber auch die Calatrava-Treppenbrücke im Fauteuil, ein mittelalterlicher Gerberbottich mitten in einem Küchenladen und das fasnächtliche Konsulat der «Republik Lepmuria» beim Pfeffergässlein.
Was diese Kuriositäten gemeinsam haben: Sie finden neuerdings endlich in Basler Stadt-Reiseführer. Dominik Heitz hat das versteckte Basel bereits im «Stadtjäger» (2017) ausgeleuchtet, dem Buch zu seiner Rubrik über skurrile und verborgene Sehenswürdigkeiten. Goichons Werk «Basler Trouvaillen» ist somit gleich das zweite in diesem Jahr, das sich mit nicht auf Anhieb sichtbaren Orten beschäftigt.
«Ein bisschen stolz war ich dann schon, als ich Orte zeigen konnte, die selbst manche Basler nicht kannten.»
Ungewöhnlich ist hier, dass diese Hommage nicht von einem Bebbi, sondern von einem Elsässer stammt. Goichon, der mit nordelsässischer Mundart aufgewachsen ist, lebt und arbeitet in Strassburg als Deutschlehrer an der «École européenne de chimie, polymères et matériaux (ECPM)». Gleich auf der anderen Seite des Rheins, in Kehl, gibt er zudem Französischunterricht.
Schon seit vielen Jahren ist Goichon aber ein grosser Basel-Fan. «Die Schönheit der Altstadt hat mich schon immer fasziniert», sagt er. Zu seinen Lieblingsquartieren gehören das Matthäus- und das Klybeckquartier. Und eben auch die «Dalbe».
Zufällige Entdeckungen
Vom «Haus zum Seilen» an der St. Alban-Vorstadt spaziert er darum gerne den Mühlenberg hinunter. Durch einen Korridor gelangt man in den Kreuzgang St. Alban, ganz abgeschirmt von der Aussenwelt. Jawohl, es geht hier nicht um den Münsterkreuzgang, sondern um den unbekannten Bruder im «Dalbeloch», der mit einem verwunschenen kleinen Garten zum Verweilen einlädt.
«Hier ists privat», sagt er zwar, «doch man wird toleriert.» Bevor Goichon solche Orte in seinem Buch empfahl, klärte er dies selbstverständlich mit den Eigentümern ab. Probleme habe es da keine gegeben. Im Gegenteil: Viele hätten sich über das Interesse an den vergessenen Relikten inmitten ihrer Liegenschaften gefreut.
Die meisten Sehenswürdigkeiten im Buch hat Goichon durch Zufall gefunden. «Ich flaniere viel durch Basel, habe alle Quartiere abgeklappert», erzählt er. Während zehn Jahren hat er alles zusammengetragen, was er entdeckte.
Ursprünglich war das aber nur für sich und seine Freunde gedacht. In einer Eigenedition brachte er dann vor zwei Jahren 60 Exemplare heraus, damals noch unter einem anderen Titel und nur in einer Papeterie und einer Buchhandlung beim Spalentor erhältlich. Das Buch bestand aus eher behelfsmässig zusammengehefteten Blättern.
Als Goichon merkte, auf welches Interesse seine Arbeit in Basel stiess, fragte er einen örtlichen Verlag an. Mit Erfolg. Zusammen mit Caspar Jenny arbeitete er sodann eine neue Auflage aus. Jenny kümmerte sich dabei gleich auch um die Fotos und die Projektbegleitung.
Das fertige Buch ist im wahrsten Sinne ein Untergrund-Reiseführer. Neben «Filter 4» oder Stadtmauerrelikten im Teufelhof sind auch heimelige Gewölbekeller der Altstadt aufgeführt. Auch Kleinode wie der einzige noch existierende Steintritt oder ein Schuhabstreifer sind hier zu finden.
Hinzu kommt wesentlich Bekannteres, die Fratzen von Arnold Böcklin zum Beispiel, die Wolfschlucht oder das Hoosesaggmuseum. Vieles versteckt sich auch hinter dem Gemäuer alter Häuser wie der «Salon des pianos» und ein Hafnerofen unter dem Boden in «Tscheggenbürlins Hus».
Selbst dem verwahrlosten Wartesaal des Französischen Bahnhofs, der in einer anderen Zeit stehen geblieben scheint, ist ein Kapitel gewidmet. Und apropos Eisenbahn: Beim Eintrag zu den «toten» Gleisen der Deutschen Bahn rund um die Langen Erlen hat sich Goichon von einem Artikel in der TagesWoche inspirieren lassen.
Noch mehr Geheimnisse
Woher kommt aber eigentlich die Leidenschaft für die Stadt Basel? Einerseits war Goichons Grossvater ein Basler. So richtig fing seine Beziehung zu Basel aber erst an, als er 18 Jahre alt wurde. Goichon wurde zum interessierten Museumsbesucher, das zog ihn hierher. Dabei stiess er irgendwann auf das Pharmazie-Historische Museum im Totengässlein, wo er feststellte: Nicht nur die grossen Sehenswürdigkeiten der Stadt haben etwas zu bieten, sondern gerade auch die verwinkelten Gegenden. Später ergab sich für ihn die Gelegenheit, während eines Jahres als Volontär in einer Galerie zu arbeiten.
Beim Beschluss, seine Exkursionen in einem Buch zusammenzufassen, waren die Kriterien rasch klar: Es mussten Orte sein, die nicht jeder schon kennt, trotzdem aber irgendwie zugänglich sind. Dafür führte er viele Gespräche mit «Einheimischen» – durchaus mit dem einen oder anderen Aha-Erlebnis am Ende. Aber: «Ein bisschen stolz war ich dann schon, als ich Orte zeigen konnte, die selbst manche Basler nicht kannten.»
Schon bald will Basel-Fan Goichon aber auch die Geheimnisse seiner eigenen Stadt lüften. Er schreibt bereits an seinem zweiten Reiseführer – über die Trouvaillen in Strassburg.
Christoph Goichon und Caspar Jenny: Basler Trouvaillen. Ein Wegweiser zu sonderbaren Orten, geheimen Plätzen und unbekannten Sehenswürdigkeiten. 190 Seiten, 24 Franken.