Warum die Wohnungssuche in Basel ein Albtraum ist

Wieso suche ich ewig nach einer Bleibe und weshalb ist die Miete dann so teuer? Der Basler Wohnungsmarkt treibt auch Leute mit anständigem Lohn und intaktem Nervenkostüm zur Verzweiflung. Die Gründe dafür sind kompliziert. Wir klären auf.

Beim alten Kinderspital entstand Wohnraum, bei dem man auch von einem «Sozialghetto» sprechen könnte.

Mussten Sie in letzter Zeit eine neue Wohnung suchen? Wir fühlen mit Ihnen. Stadtentwickler Lukas Ott sagt zwar: «Es gibt in Basel viel günstigen Wohnraum.» Doch in der Realität ist die Wohnungssuche einfach nur Horror.

Weshalb gehen die Mieten seit Jahren nur noch nach oben? Und was wollen die Initiativen vom 10. Juni daran ändern? Wir haben mit Experten des Bundes, der Mietschlichtungsstelle, der gemeinnützigen Stiftung Habitat, die sich für günstigen Wohnraum einsetzt, der Stadtentwicklung und den Initianten der vier Wohninitiativen gesprochen. Ein Überblick in Frageform.

Vor zehn Jahren fand man in Basel noch locker eine bezahlbare Wohnung. Heute stehen die Leute bei Besichtigungsterminen Schlange wie in Zürich. Was ist passiert?

Seit der Jahrtausendwende wächst die Basler Bevölkerung wieder konstant. Das liegt an der steigenden Zahl an Arbeitsplätzen, aber auch an den vielen Neubauprojekten, die immer mehr Leute zurück in die Stadt locken. Auch beanspruchen wir alle gemäss Zahlen des Statistischen Amtes je länger, je mehr Wohnfläche. Reichten 1980 einem Bewohner 36,1 Quadratmeter zum Leben, sind es heute 41,1 Quadratmeter. Es braucht also mehr Raum, die Investoren können bei aller Bauerei die Nachfrage kaum decken.

Weshalb steigen die Mieten permanent?

Kommt drauf an, wen man fragt. Die Regierung hat eine einfache Erklärung: Es liegt am Markt. Steigt die Nachfrage, geht auch der Preis in die Höhe. Deshalb will der Kanton so vielen Investoren wie möglich den Wohnungsbau schmackhaft machen. Davon profitieren in diesem Verständnis auch die Mieter: je mehr neue Wohnungen, desto tiefer die Mieten.

Fragt man die Initianten der vier Wohninitiativen, hört man etwas anderes: Das Problem liege unter anderem genau an diesen Investoren und Hausbesitzerinnen, welche die Mieten in die Höhe treiben, um eine höhere Rendite zu erwirtschaften. Neubauten sind teurer als alte Wohnungen und ziehen auch die Mietzinse im jeweiligen Quartier in die Höhe. So zeigt das Basler Mietpreisraster: Wohnungen, die vor 1980 gebaut wurden, sind wesentlich günstiger. Noch. Denn auch die Mieten für Altbauwohnungen stiegen gemäss einer Analyse von Fahrländer Partner seit 2008 um 34 Prozent. Das ist noch mehr als im Neubau (30 Prozent).

Dahinter steckt häufig ein – gesetzeskonformer – Trick einiger Vermieter: Wenn langjährige Mieter ausziehen, verlangen sie von den Neumieterinnen schwupsdiwups das Doppelte der vorherigen Miete.

Dürfen die Vermieter denn einfach die Mieten erhöhen?

Kommt drauf an. Einfach so darf die Miete nicht aufschlagen, der Vermieter muss dafür Gründe haben. Ein legitimer Grund ist, wenn die Wohnung im Vergleich zum Rest des Quartiers sehr billig ist. Etwa, wenn der Liegenschaftsbesitzer die Miete über mehrere Jahre nicht erhöht hat. Dann darf er rauf mit der Miete, sodass sie gemäss Mietpreisraster wieder im Durchschnitt liegt – auch wenn die Wohnung dann doppelt so viel kostet.

Grundsätzlich ist es so: Der Bund legt einen Referenzzinsatz fest, an dem sich die Vermieter orientieren müssen. Die Regel: Die Rendite für die Liegenschaft darf maximal so hoch sein wie der Referenzzsinssatz (der liegt momentan bei 1,5 Prozent) plus einem halben Prozent. Deshalb können die Mieten auch rauf- und runtergehen, wenn sich der Referenzzinssatz verändert.

Was kann man machen, wenn der Vermieter zu viel verlangt?
Man kann sich wehren – das ist aber enorm schwierig. Wenn eine Mieterin neu in eine Liegenschaft einzieht, kann sie innert 30 Tagen den zu hohen Mietzins einklagen. De facto passiert das kaum, die neutrale Mietschlichtungsstelle von Basel-Stadt schätzt die Zahl der Klagen auf 30 bis 40 – bei einer stattlichen Zahl von 30’000 Um- oder Zuzügen innert eines Jahres.

Auch das Bundesamt für Wohnungswesen bestätigt, dass das Einklagen einer zu hohen Miete ein sehr beschwerlicher Weg ist. Der Grund: Es ist kompliziert zu beweisen, dass der Vermieter über die Miete mehr Rendite macht, als er es gemäss Referenzzinssatz darf. Eine Formularpflicht, bei welcher der Vermieter offenlegen muss, wie hoch der Mietpreis vor dem Wechsel war, würde dies erleichtern. Eine solche fordert die Initiative «Ja zu bezahlbaren Neumieten».

Quelle: Statistisches Amt Basel-Stadt, Mietpreisraster, Feburar 2018

Und bei Sanierungen?

Nach einer Sanierung hat die Liegenschaft einen höheren Wert, deshalb darf die Besitzerin einen neuen Mietzins festlegen. Das macht Totalsanierungen so lukrativ: Anstatt das Geld auf der Bank zu parkieren, wo die Investorin derzeit Minuszinsen zahlen muss, baut sie lieber eine alte Liegenschaft um, um mehr Wohnungsmiete verlangen zu können. Die TagesWoche hat über mehrere Massenkündigungen berichtet.

Das Prinzip: Liegenschaftsbesitzer machen eine Totalsanierung, kündigen ihren langjährigen Mietern, die oft im hohen Alter sind, und holen jüngere, zahlungskräftigere Mieter rein. Dagegen richtet sich die Wohnschutzinitiative. Sie verlangt, dass Hausbesitzer nur noch sanieren dürfen, was nötig ist – und das so günstig wie möglich, um extreme Wertsteigerungen zu verhindern.

Was spricht denn überhaupt gegen die Initiativen?

Den Gegnern geht dieser Eingriff in den Besitzstand zu weit – sie glauben, dass die Bewilligungspflicht Investoren abschreckt und nötige Sanierungen verhindert. Auch die anderen drei Initiativen lehnen sie ab mit dem Argument, der Kanton mache schon genug. 2013 nahmen die Basler Stimmbürgerinnen das Wohnraumfördergesetz an. Dieses versprach, den Kanton bei der Förderung von günstigem Wohnraum stärker in die Pflicht zu nehmen. Der Kanton setzt dabei vor allem auf Genossenschaften. Er gibt ihnen Bauland im Baurecht ab und unterstützt sie mit Steuervergünstigungen.

Die Regierung selbst sieht diese Strategie als Erfolg an. Stolz weist sie darauf hin, dass in den nächsten fünf Jahren 1000 neue Genossenschaftswohnungen geplant seien. Das stimmt, doch gemessen an allen Neubauten stagniert ihr Anteil auf dem Wohnungsmarkt bei 10 Prozent. In der Stadt Zürich liegt dieser bei über 18 Prozent.

Immer werden Genossenschaften als Lösung des Problems angepriesen. Was ist so toll an ihnen?

Der Vorteil an Genossenschaften ist, dass sie nicht auf Kosten der Mieter möglichst viel Geld verdienen wollen, wie es Investorinnen tun. Die Renditen, die sie erwirtschaften, stecken sie wieder in die Liegenschaften. Langfristig sorgen sie deshalb für günstige Mieten.

Gibt es auch Nachteile?

Genossenschaften sind – wie andere Bauherrinnen – letzten Endes private Investoren. Sie entscheiden, wer in ihre Genossenschaften einziehen darf und wer wie viel Mietzins bezahlt. Ausserdem muss man sich am Anfang mit sogenannten Anteilsscheinen in die Genossenschaft einkaufen. Bei der neuen Genossenschaft «Zimmerfrei» auf dem Erlenmattareal kostet das Eintrittsbillett für eine Vierzimmerwohnung 30’000 Franken – allerdings gibt es für Menschen mit wenig Geld einen Solidaritätsfonds. Bei der Mieter-Baugenossenschaft Basel kosten die Anteilsscheine für eine Vierzimmerwohnung 5000 Franken. Das mag relativ wenig sein, aber für Familien mit wenig Geld ist es trotzdem zu viel. So geben etwa Menschen mit Migrationshintergrund an, sich eine Genossenschaft nicht leisten zu können, weil sie die Anteilsscheine nicht finanzieren können. Auch eine Studie des Bundesamtes für Wohnungswesen bestätigt, dass in Genossenschaften der Anteil an Ausländern geringer ist als bei Mietwohnungen.

Eines der Vorzeigeprojekte des Kantons, wenn es um bezahlbaren Wohnraum geht: Die Wohngenossenschaft «Zimmerfrei» auf der Erlenmatt.

Und da bietet der Kanton nicht Hand?

Doch, wer Sozialhilfe bezieht, kann sich auch bei den Anteilsscheinen an das Amt wenden. Unter gewissen Umständen übernimmt dieses die Zahlung der Anteilsscheine, wenn die nicht wesentlich mehr kosten als eine Mietzinskaution.

Und was ist mit Menschen, die sich trotz geregeltem Einkommen weder eine Wohnung auf dem freien Markt noch den Einkauf in eine Genossenschaft leisten können?

Der Kanton zahlt betroffenen Familien etwas an die Miete, sogenannte Familienmietzins-Beiträge. Die Kosten für diese sogenannte Subjekthilfe sind gemäss Controllingbericht des Kantons in den letzten elf Jahren explodiert. Waren es 2005 noch knapp 900’000 Franken, zahlte der Kanton 2016 über zehn Millionen Franken Familienmietzins-Beiträge aus. Mittlerweile ist jede achte Familie in Basel-Stadt darauf angewiesen.

Und es handelt sich bei Weitem auch nicht nur um einkommensschwache Familien: Bei 78 Prozent der unterstützten Haushalte liegt das Jahreseinkommen zwischen 40’000 und 79’999 Franken. Das zeigt: Vierköpfige Mittelstandsfamilien können sich die Mieten in Basel-Stadt oft nicht mehr leisten.

Und was ist mit Leuten ohne Familie?

Die haben ein Problem. Für Familienmietzins-Beiträge kommen sie nicht infrage – erst wenn ihre Lage so prekär ist, dass sie Sozialhilfe empfangen, erhalten sie die Mietkosten vom Staat. Mit dem entsprechenden Stempel. Und sie haben doppelt Pech: Es gibt in Basel verhältnismässig wenige Einzimmerwohnungen. 2017 waren es 11’135 Einzimmerwohnungen in Basel, bei insgesamt 109’490 Wohnungen – also gerade einmal zehn Prozent. Diese kleinen Wohnungen sind meist nicht billig. Denn egal, wie gross die Wohnung ist, es braucht Bad und Küche, was den Quadratmeterpreis in die Höhe treibt.

Auch für Investoren sind die kleinen Wohnungen deshalb weniger lukrativ, entsprechend ist der Markt ausgetrocknet. Das nutzen einige Wohnungsbesitzer schamlos aus: Sie lassen die Wohnungen verrotten und bieten sie zu völlig überhöhten Preisen Sozialhilfebezügern an, die froh sind, überhaupt noch eine Bleibe zu finden. Denn am Ende zahlt ja Vater Staat. So heizt der Kanton den Wohnungsmarkt weiter an.

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Kann man nichts dagegen tun?

Das ist die Frage. Im Moment ist es so: Der Kanton greift selten selber in den Wohnungsmarkt ein, sondern gibt privaten Investoren Land im Baurecht ab. Menschen, die sich die Marktmieten nicht leisten können, unterstützt er finanziell mit den erwähnten Familienmietzins-Beiträgen oder über die Sozialhilfe. Diese Art von Unterstützung heisst im Behördenjargon «Subjekthilfe».

In letzter Zeit wird aber die Forderung lauter, der Staat solle stattdessen Objekthilfe betreiben. Dann würde er selber in günstige Wohnungen investieren und sie direkt den finanziell Schwachen zur Verfügung stellen, statt von privaten Investoren abhängig zu sein, die Wucherpreise für Grüselwohnungen verlangen können.

Mancherorts ist der Kanton bereits auf die Objekthilfe umgeschwenkt: Beim Projekt Volta Ost sind etwa 100 Wohnungen geplant, davon sind 44 für Sozialhilfebeziehende reserviert. An der Egliseestrasse hat der Kanton eine Liegenschaft ersteigert, die 33 Personen günstigen Wohnraum bieten wird. Aber auch für den Mittelstand hat der Kanton soeben gebaut, zum Beispiel an der Maiengasse, wo Immobilien Basel-Stadt mit einem Bonussystem den Marktpreis senkt.

Weshalb setzt der Kanton nicht stärker auf Objekthilfe?

Ein Umstieg von Subjekt- auf Objekthilfe wäre ein radikaler Strategiewechsel in der Wohnpolitik. Ein Strategiewechsel, den die Politik, also Volk und Parlament, einleiten und für den sie entsprechend auch Geld sprechen müsste. Damit der Kanton selbst zusätzliche Liegenschaften ersteigern und so direkt in den Wohnungsmarkt eingreifen kann. Der Vorteil wäre, dass der Kanton Immobilien aus der Spekulationsblase befreien und die Mieten tief halten könnte. Als Folge würde er wohl weniger Sozialleistungen zahlen müssen.

Der Nachteil: Der Kanton würde am Markt weniger Rendite machen und müsste mehr Leute anstellen, welche die Immobilien betreuen. Ausserdem besteht die Gefahr, dass Sozialghettos entstehen, wenn in einzelnen Liegenschaften ausschliesslich Sozialhilfeempfänger wohnen. Auch würde diese Änderung nur eine kleine Minderheit der Basler Bevölkerung betreffen –  der Kanton kann gar nicht in angemessener Zeit so viele Immobilien aufkaufen. Die Sozialhilfe zahlt derzeit in 6572 Fällen Unterstützungsleistungen. Das ist ein Vielfaches der Wohnungen, die dem Kanton derzeit gehören.

Wie stark ist der Kanton denn im Basler Wohnungsmarkt präsent?

Immobilien Basel-Stadt besitzt rund 2000 Wohnungen, das entspricht einem Anteil von zwei Prozent. In rund 400 Wohnungen des Kantons leben Sozialhilfeempfänger. Stärker involviert ist der Kanton über die rund 600 Baurechtsverträge, die er mit Investoren abschliesst – unter anderem mit Genossenschaften.

Ist der Kanton deshalb gegen diesen Systemwechsel?

Über die Vor- und Nachteile wollten wir gerne mit Immobilien Basel-Stadt sprechen. Als Verwalterin der kantonalen Immobilien kauft und vermietet sie Liegenschaften. Nach mehrmaligem Nachfragen und einem langen Fragekatalog erhielten wir eine Stellungnahme von Stadtentwickler Lukas Ott. Zu den einzelnen Fragen wollen sich Regierungsrat und Verwaltung wegen der anstehenden Abstimmungen nur mit grosser Zurückhaltung äussern.

Was der Stadtentwickler allerdings betont: Der Kanton wolle keinen Strategiewechsel hin zur Objekthilfe. Denn ansonsten würde nicht die Person unterstützt, sondern lediglich die Liegenschaft. Es sei deshalb schwierig sicherzustellen, dass kein Missbrauch betrieben werde und das Geld dem Sozialhilfeempfänger zugute komme. Schaut man sich die Verhältnisse an der Rheingasse oder bei anderen Liegenschaften, die an Sozialhilfebezüger vermietet werden, an, stellt sich aber die Frage, ob es im heutigen System nicht auch zu Missbräuchen kommt. Ott seinerseits betont weiter, dass mit der Subjekthilfe eine viel grössere Zahl an Mietern finanziell unterstützt werden könne.

Wie müsste man sich einen Systemwechsel konkret vorstellen?

Der Kanton könnte einerseits Liegenschaften kaufen, um übertriebene Mietzinsaufschläge zu verhindern. Andererseits könnte er bei Arealentwicklungen konsequenter auf günstigen Wohnraum setzen. Nehmen wir die Überbauung beim alten Kinderspital: Der Kanton gab das Land damals im Baurecht an die Versicherung Vaudoise ab. Die Strategie dahinter: Mit luxuriösen Wohnungen an bester Rheinlage Vermögende anzuziehen, die einen schönen Batzen an die Vaudoise und in die Steuerkasse zahlen. Entstanden ist auch dort ein Sozialghetto – eines der Hochverdienenden.

Alternativ hätte der Kanton selbst als Bauherrin günstige Familien- oder Einpersonenwohnungen bauen und das Geld, das sonst via Sozialhilfe und Ergänzungsleistungen in den Wohnungsmarkt fliesst, in die Immobilien investieren können. Weshalb er das nicht getan hat? Das Parlament wollte nicht – und die Regierung muss den parlamentarischen Willen umsetzen.

Ist denn die momentane Wohnstrategie des Kantons erfolgreich?

Wenn man der Regierung glaubt, schon. Im kürzlich erschienenen Controlling-Bericht schreibt sie, dass genügend günstiger Wohnraum vorhanden ist. Auch Stadtentwickler Lukas Ott wird nicht müde zu betonen, dass die Situation in Basel gut aussieht. Das ist allerdings etwas gar optimistisch: Die Mieten in Basel sind im letzten Jahr um 1,5 Prozent angestiegen – obwohl die allgemeine Teuerung nur 0,4 Prozent betrug und zudem der erneut gesunkene Hypo-Referenzzinssatz eigentlich zu einer Senkung der Mieten um 2,91 Prozent hätte führen sollen. Die Entwicklung verläuft also immer noch in eine Richtung: wenig Wohnungen, hohe Mieten.

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