In der Kultur schmückt sich Basel mit Weltmeistertiteln: Aus der ältesten Kunstsammlung in Bürgerbesitz entstanden das Kunstmuseum und die heute vermutlich dichteste Museumslandschaft überhaupt. Die Art Basel ist der Nabel der globalen Kunstmessen, und sogar das Volksfest Fasnacht läuft unter dem Label Weltkulturerbe.
Doch auch bei den Geldern für Kultur belegt Basel-Stadt einen Spitzenplatz. Gemessen an der Bevölkerung flossen im Jahr 2015 insgesamt 1258 Förderfranken aus Steuer- und Swisslos-Geldern pro Kopf. Zusätzliche Gelder von Stiftungen und Mäzenen verdoppeln diesen Betrag in etwa. Das bestätigen die Co-Leiterinnen der Abteilung Kultur im Präsidialdepartement, Sonja Kuhn und Katrin Grögel, gegenüber der TagesWoche.
Es kommt vor, dass Mäzene ganze Projekte fast im Alleingang finanzieren, wenn es ihre persönlichen Präferenzen trifft. Eines der wenigen bekannten Beispiele ist Gigi Oeris Spielzeug Welten Museum. Das Haus am Barfüsserplatz steht hoch in der Gunst des Publikums, passt aber nicht ins Förderkonzept des Kantons. Private Unterstützung «kann kulturpolitisch total inkorrekt sein», kommentiert Kuhn diesen Geldsegen lachend.
Doch wie korrekt und ausgeglichen ist die Verteilung der jährlich rund 128 Millionen Franken öffentlicher Gelder aus dem Kulturbudget?
Der bewährte Verteilschlüssel passt nicht allen
Das parteiübergreifende Komitee Kulturstadt Jetzt beklagt, die Förderung fokussiere viel zu stark auf die professionelle Hochkultur. Es fordert, dass fünf Prozent der jährlichen Kulturausgaben fix für die Jugendkultur ausgegeben wird, und hat darum beim BScene-Festival die Unterschriftensammlung für seine «Trinkgeld-Initiative» gestartet. Aktuell bekomme die Jugendkultur nur 3,5 Prozent.
Diese Zahl ist je nach Berechnungsmodell höher oder tiefer. Unbestritten ist hingegen die Entwicklung, dass der Prozentsatz sinkt. Signifikante Steigerungen gab es seit der Einführung des letzten Kulturleitbilds 2012 nur bei den staatlichen Museen. Das zeigen Zahlen*, welche die Tageswoche ausgewertet hat.
* Die spannendsten Zahlen finden Sie in den Bildern und der Grafik in diesem Artikel. Dabei gilt es zu berücksichtigen: Die Angaben zu den Subventionsgeldern beziehen sich auf das Jahr 2017 und auf Beiträge beider Basel. Swisslos-Gelder wurden nicht eingerechnet. Die Besucherzahlen für das Theater Basel und die Kaserne Basel stammen aus dem jeweiligen Geschäftsbericht 2017. Die Besucherzahlen von 2017 für das Kunstmuseum sind vom Statistischen Amt. Für das Junge Theater wurde die Besucherzahl der Saison 2016/17 verwendet.
Allen weit voraus ist das Kunstmuseum. Mit den gerade geforderten zusätzlichen zwei Millionen sind es nun 5,5 Millionen Franken mehr als noch vor sieben Jahren. Die Jugendkultur erhält gemäss dem Initiativkomitee insgesamt 4,5 Million pro Jahr.
Das ist im Vergleich zum Gesamtbudget ein kleiner Betrag. Und doch beunruhigt das Aufbegehren die Kulturverantwortlichen. Es könnte Begehrlichkeiten und Forderungen anderer Kultur- und Kunstszenen wecken. Der vermeintlich «ewige» Verteilschlüssel, nach welchem Museen, Theater und Tanz sowie E-Musik je nach Berechnungsmodell mindestens 85 Prozent der staatlichen Förderbeiträge bekommen, wird erstmals angefochten.
Mit dem Sportmuseum hat gerade erst ein Museum sein Ende mangels Förderung bekannt gegeben. Steht die historisch gewachsene Museenstadt Basel vor einer Zeitenwende? Entbrennt ein Klassenkampf um Kulturgelder?
In Zürich ist das Szenario bereits eingetreten. Dort fordern Filmschaffende und Game-Entwickler eine zeitgemässe Verdoppelung ihrer Beiträge auf 40 Millionen Franken. Wenn es sein muss auch auf Kosten von Tanz, Theater oder dem grossen Subventionsbrocken Opernhaus. Ob berechtigt oder nicht: Das ist eindeutig ein Angriff der neuen Kreativindustrie auf die etablierten Institutionen.
Eine Umverteilung nach oben
Basel ist bekanntlich weniger aufgeregt. Die grössten Subventionsempfänger sind das Theater Basel, das Sinfonieorchester Basel und die fünf staatlichen Museen. Ihre Unterstützung ist wegen ihrem staatspolitischen Auftrag kaum umstritten.
Selbst die ausserordentlichen zwei Millionen Franken für das Kunstmuseum werden politisch kaum für Opposition sorgen. Zum einen weil die Ursache der Budgetlücke eine Fehlkalkulation in der Politik war.
Dass zum anderen die Bürgerlichen der für die Fehlkalkulation verantwortlichen rot-grünen Mehrheit keinen Strick drehten, dürfte vor allem einen Grund haben: Bei der subventionierten Hochkultur geht es um Institutionen, die von der bildungsbürgerlichen Oberschicht überdurchschnittlich genutzt werden.
Denn die Besucher betreten selber eine Bühne, auf der man sich als Kultur-Connaisseur und Unterstützer profilieren kann. Der kulturelle Wert des Theaters Basel etwa wurde gerade bestätigt mit der Wahl zum besten deutschsprachigen Theater 2018.
Der finanzielle Wert eines Theater- oder Museumsbesuchs ist indes um ein Vielfaches höher als der bezahlte Eintrittspreis. So wird jeder Eintritt ins Theater Basel mit 230 Franken subventioniert. In der Hochkultur findet eine ungewöhnliche Umverteilung von Steuergeldern statt: Sozial Schwächere subventionieren das kulturelle Vergnügen der überdurchschnittlich gut verdienenden Bildungsbürger.
Dieser Umstand wurde bereits im 91 Seiten starken Kulturleitbild von 2012 scharf kritisiert:
«Der Blick auf Nutzerstudien von Kulturangeboten zeigt, dass weder im Hinblick auf die Generationen noch auf soziale Schichten oder ethnische Gruppen im jeweiligen Publikum auch nur annähernd ein Abbild der gegenwärtigen Gesellschaft vorliegt. Dies wäre aber zur Legitimation einer öffentlichen Kulturförderung, die von Steuergeldern aller Bürgerinnen und Bürger finanziert wird, notwendig. Auf kulturpolitischer Ebene und vor dem Hintergrund der Migrationsgesellschaft ist dieser Zustand als Problem anerkannt.»
Als Lösung setzt man nicht auf eine demokratischere Verteilung der Gelder. Vielmehr verpflichtet man die Grossempfänger auf bessere Vermittlung, damit sie ein neues Publikum erreichen. «Kulturelle Bildung entsteht durch Teilhabe der Nutzerinnen und Nutzer an Kulturangeboten (Partizipation). Kulturelle Bildung wiederum ist die Voraussetzung für eine aktive Teilhabe. Kulturelle Teilhabe ist daher wesentliches Ziel der Kulturpolitik», heisst es im Kulturleitbild.
Über die Bücher gehen kann beflügeln
Besonders in den Fokus gerieten die vielen Basler Orchester. In der Analyse zum Orchester-Förderkonzept für den Grossen Rat stand:
«Die Vielfalt in der Orchesterkultur korrespondiert nur partiell mit der Publikumsnachfrage, da die Publikumszahlen mit seinem angestammt älteren Publikum in Konzerten der Klassischen Musik eher rückläufig sind. Diese Tendenz wird sicherlich dadurch gefördert, dass viele Musikangebote im ähnlichen Segment angeboten werden, sodass es zu unnötigen Konkurrenzverhältnissen kommt, die weder einen Mehrwert für die Künstlerinnen und Künstler noch für das Publikum bedeuten.»
Das neue Förderkonzept 2015 verlangt von den Orchestern nicht nur, ihr Publikum zu erneuern, sie müssen auch ihr Profil schärfen. Für das Sinfonieorchester Basel (SOB), das wegen seiner staatstragenden Aufgaben von allen Orchestern den mit Abstand grössten Subventionsbetrag bekommt (15 Millionen), war beides befruchtend.
Gemäss Kommunikationsleiterin Cristina Steinle verzeichnet das SOB in dieser Saison 20 Prozent Neuabonnenten bei einer Gesamtzunahme von elf Prozent. «Neue Formate wie die Picknick-Konzerte erfreuen sich grosser Beliebtheit und ziehen insbesondere Familien mit Kindern an», sagt sie. «Unsere Cocktailkonzerte müssen wir inzwischen wiederholen, da die Nachfrage so stark ist, und auch hier trifft sich ein jüngeres Publikum.»
Das SOB ist überzeugt, dass mit Projekten an den Schulen, Live-Begleitung von Filmklassikern wie «Ben Hur» und «Indiana Jones» oder Cross-over-Projekten mit den Lovebugs oder Elektronik-Produzent Nik von Frankenberg ein Publikumsnachwuchs gewonnen werden kann.
Auch die «vier Wanderjahre» während des Stadtcasino-Umbaus waren «kreativ beflügelnd», da unterschiedliche Konzertorte wie Münster und Musical Theater zu unterschiedlicher Musik inspirierten. Steinle betont, dass sich das Orchester über die vergangenen Jahre ein eigenes künstlerisches Profil erarbeiten konnte. Besonders seit Chefdirigent Ivor Bolton 2015 den Stab übernommen hat.
Auch beim Theater Basel, mit fast 40 Millionen Franken (aus beiden Basel) der grösste Subventionsempfänger, kam 2015 ein neuer Direktor. Andreas Beck konnte mit seinem hochstehenden Theater die Gesamtauslastung von 50 Prozent auf fast 70 Prozent heben. Die Bindung zur freien Szene suchte er jedoch kaum.
Das kann man aber von seinem frisch gewählten Nachfolger Benedikt von Peter durchaus erwarten. Gemäss der «Luzerner Zeitung» steigerte der kommunikative Intendant in seiner ersten Spielzeit nicht nur den Publikumszuspruch um 20 Prozent auf über 80 Prozent Auslastung. «Sein Raumtheater steht bei aller Innovation in erster Linie für ‹Volksnähe›», schwärmt die Zeitung. Ausserdem suche er die Vernetzung mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und den Kontakt zur freien Szene.
Kultursubventionen sind Investitionen
Auch bei der Wahl des neuen Direktors für das Kunstmuseum war es ein wichtiges Kriterium, dass eine Öffnung der Institution für ihre Besitzer, also die Baslerinnen und Basler, stattfinden kann. Josef Helfenstein schaffte es an seinem letzten Arbeitsort, der Menil Collection in Houston, sowohl ein finanzstarkes wie auch ein sozial unterprivilegiertes Publikum für Kunst und Kultur zu interessieren. Über die Jahre gelang ihm eine Verdoppelung der Besucherzahlen. Auch weil Programme organisiert wurden mit Kindern aus den unterprivilegierten Quartieren.
Zudem hat das Museum vermehrt mit sehr unterschiedlichen Institutionen, Universitäten, Vereinen und Organisationen zusammengearbeitet. «Das Museum wurde zugänglicher, und es kamen mehr Leute, weil es Teil und Treffpunkt der Stadt wurde, quer durch die Schichten», sagt Helfenstein. «Damit wollten wir dem eigentlichen Zweck des Museums näherkommen.»
Zum jetzigen Zeitpunkt anhand von Publikumszahlen messen zu wollen, ob in Basel bereits eine demografische Demokratisierung stattgefunden hat, wäre allerdings verfrüht. Kulturpolitisch spannend ist aber der Blick nach Zürich.
Dort hat BAK Economics 2015 den ökonomischen Nutzen der Kultursubventionen für die Stadt analysiert. Das überraschende Ergebnis: Für jeden Subventionsfranken an die Kulturinstitute entsteht ausserhalb der Kulturbranche eine Wertschöpfung von 50 Rappen. Kultursubventionen sind also eigentlich Investitionen. Nicht nur, weil ein attraktives Kulturangebot steuerkräftige Bewohner in die Stadt lockt. Es zieht auch Touristen an und generiert Arbeitsplätze.
Für Basel fehlt eine entsprechende Studie, Martin Eichler von BAK Economics bestätigt aber: «Die Untersuchung fokussiert zwar zahlenmässig auf die Kultur in der Stadt und Region Zürich, die darin enthaltenen Aussagen und Schlussfolgerungen haben aber auch für Basel Gültigkeit.»
Eine Anfrage bei Basel Tourismus zeigt: Die Museen ziehen Touristen an. Freizeittouristen buchen etwa einen Drittel der Übernachtungen in Basel. Gemäss Marketingleiter Christoph Bosshard ergab eine repräsentative Befragung von Schweiz Tourismus 2017, dass Kunst und Kultur bei Basel-Besuchern im Vergleich mit den übrigen Schweizer Städten überproportional hoch gefragt sind. «Es kann wohl davon ausgegangen werden, dass rund die Hälfte der Freizeittouristen in Basel Kulturtouristen im engeren Sinn sind.» Umgerechnet in Logiernächte entspreche das etwa 230’000 Übernachtungen.
Was genau gefragt ist, kann man an der Nutzung der Basel Card sehen. Diese existiert seit Januar und gibt Touristen 50 Prozent Reduktion auf Eintritte für Museen und Theater, aber auch für Zoo, Rheinschiffe und Sightseeing-Bus.
Top 10 der Nutzung der Basel Card von Januar bis August 2018 (ohne Fähren und ÖV):
- Kunstmuseum
- Zoo
- Fondation Beyeler
- Museum Tinguely
- Papiermühle
- City Bus
- Vitra Design Museum
- Spielzeug Welten Museum
- BPG (Basler Personenschifffahrt)
- Naturhistorisches Museum
Damit «Basel – Culture Unlimited» mehr wird als ein Vermarktungsslogan, muss man auch die vielfältige und lebhafte Kulturszene neben den Institutionen miteinbeziehen. Doch wie viel vom Fördertopf bleibt für die Basler Kunst- und Kulturschaffenden, die nicht einem der staatlich subventionierten Betriebe angehören? Was für Kredite können sie selber anfragen?
Schleichende Akademisierung
Man kann die Spartenkredite nicht einfach zusammenzählen, da es gerade bei Tanz und Theater Mischrechnungen gibt. So fliesst ein Teil der Kasernensubventionen auch in Produktionen. Aber so oder so gerechnet: Es bleibt für die Basler Kunst- und Kulturschaffenden nur ein kleiner einstelliger Prozentsatz der öffentlichen Kulturförderung.
Aufstockungen der Budgets führen im Grossen Rat jeweils zu hitzigen Diskussionen, selbst wenn es um vergleichsweise kleine Beträge geht, wie 2015 bei der Aufstockung der Filmförderung um 300’000 Franken. «Die Aufstockung», sagt ein bekannter Filmschaffender, «hat zu einer grossen Aufbruchstimmung und einer neuen Dynamik geführt. Es entstehen laufend neue Produktionsfirmen, und für Filmschaffende in verschiedenen Bereichen ist Basel ein guter Arbeitsplatz geworden, während vorher viele nach Zürich oder an andere Orte weggezogen sind.»
Die TagesWoche hat ein gutes Dutzend Kulturschaffende aus verschiedenen Sparten und Generationen zur Kulturförderung befragt. Einzelne wollten nicht namentlich genannt werden, weil sie Benachteiligung bei der nächsten Eingabe fürchteten. Darum verzichten wir bei allen auf Namen.
Die Befragung kann so unmöglich repräsentativ sein. Dennoch ergaben sich spartenübergreifend interessante Schnittmengen.
Bei der Zusammenarbeit zwischen freier Szene und subventionierten Betrieben werden Kaserne und Kunsthalle gelobt. Das ist schön, gehört aber auch zum Aufgabenprofil dieser Häuser. Bei den Institutionen wird das Kunstmuseum unter Direktor Helfenstein gelobt, während man beim Theater auf den neuen Intendanten hofft. Der mit internationalen Preisen ausgezeichnete Andreas Beck hat und sucht anscheinend keinen Draht zur lokalen Szene.
Den Fördergremien in Basel attestiert man Fachwissen. Skeptisch beobachtet wird die Professionalisierung im Kulturbereich. Hochschulen etwa treiben diese voran, aber auch die Anforderungen bei Jurierungen steigen. Das berge Gefahren. Noch brauche man zwar keinen Hochschulabschluss, um als Künstlerin Chancen auf Förderung zu bekommen. Aber es werden bereits gewisse Tendenzen beobachtet. Eine befragte Autorin und Theaterschaffende beschreibt die wie folgt: «Durch die in den Schulen behandelten Theorien sieht man auch bei den Arbeiten vermehrt akademische Thematiken, die dann wiederum den Nerv der Fachjury treffen.»
Spannend wird es an der Peripherie
Ähnliches sagt ein Branchen-Kollege: «Wer die ‹Antrags-Prosa› nicht beherrscht, braucht Hilfe, um überhaupt eine Chance auf Gelder zu haben.» Ein international erfolgreicher bildender Künstler meint: «Professionalisierung? Eher Administrierung der Förderung. Es gibt trotz Professionalisierung nach wie vor kaum allgemeine Kriterien zur Definition von Qualität. Erst recht nicht, weil sich das Spektrum von Kunst enorm erweitert hat.» Im Jargon der zitierten Autorin heisst das: «Hybride Kunstformen haben es schwerer, da sie nicht in die fixen Förderkriterien passen.»
Eine Akademisierung wünscht sich niemand. Mehrheitlich wird auch abgeraten von einer Eventisierung der Kultur, um mehr Publikum anzulocken. Kommerziell mag so etwas zwar funktionieren, doch liegt der Fokus von Publikum und Veranstaltung nicht auf dem Thema.
Wie schon in der Online-Befragung zum neuen Kulturleitbild 2020–2025 durch die Abteilung Kultur wünschen sich die Kulturschaffenden Freiraum, wo man Kunst und Kultur produzieren und zeigen kann. Denn in der Peripherie der Kulturlandschaft finden sich die verrücktesten Projekte.
Mangelndes Geld wurde kaum beklagt. Reglementarische Hürden, wie Lautstärkebegrenzungen oder starre Strukturen scheinen in der freien Szene die grösseren Verhinderer zu sein.