Ist Raphael Wicky ein Wahrsager? Hatte der Trainer des FC Basel am Samstag nicht gesagt, «es wird ein unglaublich harter Match werden, wir werden zusammen kämpfen und leiden müssen»? So kam es dann auch. Nur von der Schlusspointe war nicht die Rede gewesen. Von einem beherzt vorgetragenen, sauber ausgespielten Angriff in der 89. Minute. Von einem Querpass des einen Aussenverteidigers, Raoul Petretta, auf den anderen, Michael Lang. Und von dem Tor, mit dem der FC Basel seiner reichen Geschichte an grossen Siegen einen weiteren Gigantensturz hinzugefügt hat.
Der FC Basel schlägt Manchester United – das hatten der Mannschaft nicht viele zugetraut, und noch weniger nach dieser ersten Halbzeit, in der Basel beinahe unter dem gegnerischen Druck eingebrochen wäre und mit Mühe und Not ein Nullzunull in die Kabine rettete. Und dann wiederholte sich die Episode von 2011. Damals warf der FCB die Engländer gleich ganz raus aus der Champions League. Soweit konnte es am Mittwoch nicht kommen, weil ManU mit dem Maximum von zwölf Punkten und in einer anderen Verfassung in Basel auftauchte, als damals noch unter Alex Ferguson. Was den neuerlichen Coup nur noch mehr aufwertet.
Am Kräfteverhältnis hat sich seither nicht viel geändert. Hier die globale Marke Manchester United, das umsatzstärkste Fussballunternehmen der Welt, das als internationales Schwergewicht dem FC Basel gegenübertritt, der eine ganz andere Gewichtsklasse verkörpert. Eher europäisches Weltergewicht.
Und dann wird mehr Drama geboten, als man annehmen durfte. Erst musste sich der FC Basel dominieren lassen, musste er leiden. Manchester erspielte sich mit beeindruckender physischer Masse, gepaart mit technischer Finesse und Leichtfüssigkeit Chance um Chance. Und die Frage lautete irgendwann Mitte des ersten Druchgangs: Wann macht das Starensemble von José Mourinho ernst?
Dem Dauerdruck widerstanden
Es brauchte Tomas Vaclik im FCB-Tor, mehrfach, es brauchte Manuel Akanji, der den Ball mit dem Kopf von der Linie kratzte (12. Minute). Dann, als der FCB dem Gegner nicht mehr gewachsen schien, touchierte Fellainis Kopfball den Pfosten (42.) und krachte Rojos Schuss aus 35 Metern an die Querlatte (45.). Diesem Dauerdruck widerstanden zu haben, sich einfach nicht unterkriegen zu lassen – das war zur Pause eigentlich aus Basler Perspektive schon lobenswert genug.
Was dann passiert ist, kann Raphael Wicky auch nicht schlüssig erklären. Plötzlich trauten sich seine Spieler selbst etwas. Der hinreissende Geoffroy Serey Dié setzte ein Signal, als er das Pressing der Engländer mit einem gewagten Solo ins Leere laufen liess. Der Ivorer war es auch, der mit seinen Distanzschüssen Zeichen setzen wollte: Wir sind auch noch da! Seinen Pfundsschuss aus gut und gerne 30 Metern, der Sergio Romero zu einer ersten grossen Parade herausforderte (77.), begeisterte das Publikum. Serey Dié bezahlte den Kraftakt jedoch mit einer Muskelverletzung, die seine Auswechslung erzwang.
Weil von Manchester offensiv immer weniger, bald nichts mehr kam, weil auch die Einwechslung von Zlatan Ibrahimovic verpuffte, fasste der FCB mehr und mehr Mut. Wahrscheinlich, vermutet Raphael Wicky, haben seine Spieler gespürt, das noch mehr geht. Meter um Meter näherte sich der FCB dem Tor, fühlte er mit seinen Gegenstössen dem schier übermächtigen Gegner auf den Zahn. In der 67. Minute landet ein Kopfball von Lang am Lattenkreuz, und drei Minuten später hätte Renato Steffen nach einer Intervention von Rojo gerne einen Elfmeter bekommen.
Und dann wurde vor den 36’000 Menschen im St.-Jakob-Park aus einem packenden Spiel eines mit einem faszinierenden Drehbuch. Eine weitere jener magischen europäischen Nächte, mit denen Basel in den vergangenen 16 Jahren schon so oft verwöhnt wurde. Erst wurde gelitten, dann ging alles auf in einer riesigen Jubeltraube. Zuunterst lag Marco Streller, der Sportchef, der 2011 beim Coup gegen Manchester United noch selbst zu den Torschützen gezählt hatte. Und Michael Lang, dem Siegtorschützen, kamen die Tränen, als er nach dem Abpfiff stammelte: «Es ist unbeschreiblich.»
Die neue Ausgangslage: Basel überwintert europäisch und spielt in Lissabon um die Achtelfinals
Die erste gute Nachricht erreichte Basel schon rund eine Stunde vor dem Anpfiff des Spiels gegen Manchester United: ZSKA Moskau besiegte im eigenen Stadion Benfica Lissabon mit 2:0 (Tore: 13. Schennikov, 56. Jardel/Eigentor). Die Portugiesen beenden diese Gruppenphase somit auf dem letzten Rang, Basel mindestens auf dem dritten, der die Teilnahme an den Europa-League-Sechzehntelfinals bedeuten würde.
Am 5. Dezember in Lissabon geht es für den FCB aber um noch mehr: um den zweiten Platz und den Sprung in die Achtelfinals. Moskau spielt gleichzeitig in Manchester, und kann mit einem Sieg, der höher ausfällt als die 1:4-Heimniederlage gegen die Engländer sogar noch Gruppensieger werden. Verliert Moskau in Manchester, könnte sich der FCB in Lissabon sogar eine Niederlage erlauben und wäre dank des besseren direkten Vergleichs mit dem ZSKA Zweiter und damit in den Achtelfinals.
Bei einem Basler und einem Moskauer Sieg gibt es eine neue Konstellation: Dann werden die Ergebnisse der drei punktgleichen Mannschaften untereinander verrechnet, spielt der direkte Vergleich keine Rolle mehr und entscheidet das Torverhältnis aus den Begegnungen ohne Beteiligung von Lissabon.
Trainer-Monologe:
Rapahel Wicky, FC Basel:
«Ich habe immer wieder gesagt: Wenn wir gegen eine Mannschaft wie Manchester United punkten wollen, dann muss alles zusammenpassen, dann brauchen wir eine perfekte Nacht. Dann braucht man auch eine grossen Torhüter, der uns im Spiel hält. Und den hatten wir. Ich bin stolz auf die Mannschaft.
Ich wusste zur Halbzeit schon, dass wir Glück hatten, mit einem Nullzunull in die Kabine zu kommen. Das wichtigste war, nicht in Rückstand geraten zu sein. Wir haben versucht, in der Defensive ein paar kleine Dinge zu ändern. Weil Pogba und Herrera zu viele Freiheiten hatten, haben wir keinen Zugriff mehr im Mittelfeld bekommen. Das wollten wir in der zweiten Halbzeit ändern, und die beiden früher stören. Viel mehr habe ich in der Pause gar nicht gesagt, das war keine extreme Ansprache ans Team.
Dann sind wir aus der Halbzeit gekommen, haben mehr den Ball gehabt, sind gefährlicher geworden und plötzlich sind wir zu Chancen gekommen. Das war sehr mutig von meiner Mannschaft, sie wurde von Minute zu Minute selbstbewusster. Ob das auch am Gegner lag, kann ich nicht beurteilen. Von Manchester kam zwar nicht mehr viel an Chancen, aber auf diesem Niveau kann man sich nie sicher sein.
Warum es der FC Basel immer wieder schafft, grosse Mannschaften zu schlagen? Darauf kann ich keine richtige Antwort geben. Ich war bei früheren Gelegenheiten nicht der Trainer, höchstens als TV-Experte dabei und habe die Spiele genossen. Wir haben in den vergangenen Wochen oft vom Glauben geredet, mit dem etwas bewirkt werden kann. Und ich habe vor dem Spiel versucht, Druck wegzunehmen, das Resultat in Moskau ins Positive umzuwandeln, habe der Mannschaft gesagt, dass wir nichts zu verlieren haben, dass wir befreit aufspielen können.
Serey Dié war fantastisch, das ist das richtige Wort. Ich habe immer gesagt, er ist wichtig für unsere Mannschaft, das hat er heute wieder gezeigt, und ich hoffe, der Oberschenkel ist nicht zu sehr lädiert.»
José Mourinho, Manchester United:
«Die erste Halbzeit war stark von meiner Mannschaft, richtig gut. Der einzige Fehler war, dass wir nicht getroffen haben. Es kann 3:0, 4:0 oder 5:0 stehen. Wir hätten auch ein sechstes oder siebtes Tor machen können mit allen unseren Chancen. Wir hatten ein klares Übergewicht, und es wirkte in der Halbzeitpause so, als ob es ein leichtes Spiel für uns wäre. Als ob man sich zurücklehnen und eine Zigarre rauchen könnte.
Dann haben wir den Gegner aufgebaut. Natürlich war ein gewisser Frust dabei, dass wir die Tore nicht gemacht haben, vielleicht haben wir auch gedacht, dass das Unentschieden, der eine Punkt, reicht. Und der Gegner kam dann über Konter und seinen Enthusiasmus. So ist es ein Spiel geworden, das wir gewinnen können – und dann verlieren. Das ist gut für sie (Basel). Und für mich ist es schwer, sauer auf mein Team zu sein. Auch wenn die zweite Halbzeit schlecht war von uns. So ist Fussball, das kann passieren.»
Die Aufstellungen: Mourinho lässt kräftig rotieren
FCB-Trainer Raphael Wicky vertraute abgesehen von Ricky van Wolfswinkel (verletzt) und Taulant Xhaka (gesperrt) der Elf, die gegen Lissabon 5:0 gewonnen hatte. Mohamed Elyounoussi kam als Flügel zum Einsatz, Geoffroy Serey Dié ersetzte Xhaka im zentralen Mittelfeld, und Dimitri Oberlin, gegen Benfica noch über den Flügel agierend, spielte Mittelstürmer.
José Mourinho verändert die Startelf von Manchester United im Vergleich zum Samstag in der Premier League (4:1 gegen Newcastle) auf sieben Positionen. Lediglich Smalling, Martial, Pogba und Lukaku waren in Basel von Beginn an dabei.
FC Basel (3-4-3-Grundordnung): Vaclik – Akanji, Suchy, Balanta – Lang, Serey Dié (80. Fransson), Zuffi, Petretta – Steffen, Oberlin, Elyounoussi.
Bank: Salvi (ET), Ajeti, Riveros, Manzambi, Itten, Bua.
Manchester United (4-2-3-1-Grundordnung): Romero – Darmian, Smalling, Blind, Rojo – Fellaini, Herrera – Lingard (63. Rashford), Pogba (65. Matic), Martial (74. Ibrahimovic) – Lukaku.
Bank: Pereira (ET), Lindelöf, Shaw, McTominay.
Das Aufwärmprogramm