Da haben Sie, liebe Sophie, für Europäer, welche das Wahlverhalten in den USA verstehen möchten, wichtige Informationen aufbereitet. Man hört natürlich immer wieder von Problemen mit dem Wahlen in den USA - und Bush's doch vermutlich gefakter Wahlsieg seinerzeit in Florida ist hier zu Lande keineswegs vergessen. Dasselbe gilt wohl auch, was das antiquiert erscheinende Wahlmännerverfahren betrifft. In Europa wäre es inzwischen ziemlich überall undenkbar, dass jemand Präsident oder eine Partei Wahlsieger eines Landes sein könnte, obwohl sein Gegenkandidat oder die Konkurrenzparteien in der Wahl nachgewiesenermaßen über 700'000 Stimmen mehr erhalten hatte(n). Nun, in Grosbritannien mit seinem einstufigen Mehrheitswahlrewcht ist solcherlei an sich möglich, aber erfahrungsgemäss eher unwahrscheinlich. In Frankreich oder in der Schweiz bei Regierungs- oder Ständeratswahlen geht es, sofern Kandidaten in einem ersten Wahlgang nicht die absolute Mehrheit der Wählerstimmen erhalten, zur Ballotage, zu zweiten Wahlgängen.In Deutschland ist solches bei Oberbürgermeisterwahlen Usus, in Osteuropa bei Parlamentswahlen usw.
Demokratie braucht Regeln. Wenn regeln nicht mehr ausdrücken können, was Mehrheiten bei einer Wahl eigentlich wollen, sollte man im Interesse der Demokratie als Staatsform die Regeln ändern. Dabei ist es natürlich für die Vertrauensbildung von Politik in der Wählerschaft notwendig, Lösungen zu finden, welche allen Wahlberechtigten, unabhängig von ihrer "Stellung" innerhalb der staatlich organisierten Gesellschaft, gleiche Wahlrechte garantiert.
Gleichheit vor dem Gesetz! Inzwischen scheint es so zu sein, dass eine solche Forderung in den USA (aber, was etwa Wahlkreiseinteilungen betrifft, auch in Großbritannien) als "alteuropäisch" oder als "sozialistisch" und dergleichen mehr verunglimpft wird.
Sie beschreiben in ihrem Artikel Zustände in Ohio. Ohio, wird uns hier in Europa seit Wochen ständig mitgeteilt, sei einer der so genannter Swing-Bundesstaaten, also ein Staat, in dem sich Wählermehrheiten von Wahl zu Wahl zu ändern pflegen - was dann bei dem Wahlmännerkonstrukt für die Präsidentenwahl gesamtstaatlich entscheidende Folgen haben kann.
Sie beschreiben die Kampagnen der Republikaner und der Demokraten. Die Republikaner wollen offenbar bedeutende Minderheiten wie Latinos oder Farbige von den Wahlurnen fernhalten, und sei es mit blossen Drohungen oder mit massiven Verunsicherungskampagnen. Dass dabei das Meldeverfahren in den USA eine zentrale Rolle spielt, wundert nicht.
Dazu einige Bemerkungen:
Als USA-Reisender weiss ich aber auch, wie peinlich genau Flughafenzoll und dergleichen Institutionen der USA es mit unseren Pässen nimmt, auch mit dem Status unserer Anmeldungen in unseren europäischen Staaten, wie CIA und andere US-Geheimdienste unseren alltäglichen innereuopäischen Zahlungsverkehr überprüfen wollen usw., kurz: Wie US-Behörden versuchen, die Europäer zu gläsernen Bürgern ihrer eigenen Staaten zu machen, damit sie mal in die USA einreisen dürfen. Indem sie nämlich die EU oder die europäischen Staaten insgesamt mit einem riesigen Katalog von Ausschließlichkeiten zu polizeistaatlichen Organisationen zwingen wollen, die sie bei sich zu Hause niemals durchsetzen könnten. Da sehe ich einen eklatanten Widerspruch zu den "Freiheits"-Gesängen der "voice of america"-Botschaften.
Anders gesagt:
Gegenüber der Machtpolitik, welche die USA uns restlichen Erdenbewohnern dadurch manifestiert, dass sie in uns zuerst immer potentielle Sicherheitsrisiken für die "Sicherheit" der USA sehen, die man "draussen" halten muss, fühlt man sich weltweit immer hilfloser. Offensichtlich, folge ich Ihrem Bericht, liebe Sophie, gibt es da in den USA auch innenpolitische Entsprechungen gegenüber einem großen Teil der Inlandbevölkerung. "Man", also weiss in der Hautfarbe, will unter sich dier "amerikanische Freiheit" leben. Nun, solcherlei Absichten existieren natürlich auch im Alten Europa, wenn ich da an Le Pen, an Blocher und Co. denke.Allerdings stelle ich auch fest, dass diese mit Xenophobie handelnden Europäer von US-Behörden kaum als Sicherheitsgefahr für "die" USA angesehen werden.
Genau dies ist wohl aber auch ein Grund, weshalb Obama in den meisten europäischen Staaten grosse Mehrheiten hinter sich bringen würde, stünden er und Romney hier zur Wahl. Es ereignet sich durchaus eine Art existentieller Kulturverschiebung innerhalb des klassischen Westens der Zeit seit dem 2. Weltkrieg, denke ich. Die US-Machtdemonstrationen auch uns ganz individuell gegenüber erscheinen jedenfalls vielen von uns nicht mehr nachahmenswert oder gar vorbildlich.
Sie schreiben, dass Basel im Interesse seines Images "endlich" das Gesetz umsetzen müsse.
Welches Gesetz, wenn ich fragen darf? Das kantonale, oder dann die Rechtslage, welche im Bund gilt ? Wenn ich die europäische Rauchergesetzgebung anschaue: In Deutschland gelten, wie in der Schweiz in den 26 Kantonen, in den 16 Bundesländern verschiedene, voneinander abweichende Rauchergesetze. In weniger föderalistisch verfassten Staaten wie Frankreich oder Italien gelten national gesehen gleiche Gesetze. In der EU wiederum gelten sowohl regional als auch national betrachtet wiederum ganz verschiedene Gesetze. Aus all den genannten Staatseinheiten kommen jährlich Zehntausende von Messe- und Kongressbesuchern sowie, wenn ich der entsprechenden Stadtwerbung glaube, sehr herbeigelockte Stadttouristen nach Basel. Nicht anzunehmen, dass alle diese Besucher Nichtraucher sind. Insofern ist das Ding namens "Fümoar" nicht per se imageschädlich. Ich kann mich erinnern, vor 5 Jahren anlässllich eines längeren Aufenthaltes in München, damals als Nichtraucher, zusammen mit rauchenden Freunden mehrere Raucherkneipen besucht zu haben, wo ich als erstes eine Raucherkarte zu erwerben hatte. Die Fümoar-Idee existiert also nicht bloss in Basel. In Bayern hat die regierende CSU allerdings das allgemeine Raucherverbot, welches sie einführen wollte, ganz rasch zurückgezogen, als sie bemerken musste, dass sie damit Wählerstimmen verlieren könnte. Sie hat dann trotzdem etliche verloren...Effekt: Man braucht nun in München keine Raucherkarten mehr zu erwerben.
Hier in Berlin gibt es zahlreiche Raucherkneipen, Raucherbars, Raucherlounges usw. Geregelt ist dabei der Zutritt von Jugendlichen. Affichiert ist also etwa: "Raucherkneipe, Zutritt nur über 18 Jahre". Die Raucherkneipe ist als solche erkennbar. Wo solcherlei nicht angeschrieben ist, kann man von einer Nichtrauchergaststätte ausgehen. Ich finde, diese Regelung erlaubt es Nichtrauchern und Rauchern, sich so zu entscheiden, wie sie möchten. Es existiert eine Wahlmöglichkeit.
Soviel zu vernünftiger, nachvollziehbarer Gesetzgebung.
Andere Sachlagen in diesem Zusammenhang betreffen die so genannte Gesundheitsfrage,die Antiraucherproklamationen des WHO, die global aufgezogene Perfidität der Tabakindustrie in ihrer Werbung usw. Da existieren Interessenlagen und damit auch Interessenkonflikte, welche teilweise wie Religionskriege geführt werden. Die Neigung prohibitive Rechtssetzung als einzig "normal" hinzustellen, kommt in der neueren Zeit, seit Beginn des 20. Jahrhunderts, immer wieder aus den USA. Seit den Zeiten des aufkommenden Bürgertums zu Beginn des 18. Jahrhunderts gab es in Europa Bestrebungen, die einfachen Leute zu bevormunden, damit sie ihre Arbeitskraft nicht verlieren ( was in der Schweiz bis hin zu Kleidervorschriften im zwinglianischen Zürich des 18. Jahrhunderts ging). Gerade die Arbeiterbewegung hat diese prohibitiven Absichten früh als "falsche Moral", als Unterdrückungsmittel erkannt und bekämpft. Übrigens auch in den USA. Dass die Nazis im Namen ihres Menschheitsbild vom "Gesunden" und vom unwerten Leben des "Kranken" ausgehend Mord, Lebensvernichtung in grossem Stil betrieben haben, ist bekannt.
Dass mit Hilfe von Prohibition das "Gesunde" gefördert werde, ist mindestens diskussionswürdig. Die Nähe von Prohibition und Diktatur ist keineswegs ein Gespenst, welches Raucher pflegen, sondern immer wieder erkennbar.
Deshalb erscheint mir Ihr Diktum gegen Raucher, Herr Boesiger, von gefährlicher Intoleranz geprägt.
"Ein Produkt nur nach dem Gusto des Produzenten herzustellen und gegen die Bedürfnisse der Abnehmer kann niemals zum Erfolg führen - egal wie viele Mitarbeiter man entlässt!"(Cornelis Bockemühl hier in der TW)
Genau so ist es.
"Ist" bedeutet für mich, dass der Markt eben auch dort funktioniert, wo Ideologen - die zwar in seinem Namen Ideologie betreiben - übersehen, dass "Markt" keine Interpretationsangelegenheit, sondern schlicht eine allgemeine Lebensgrundlage darstellt.
Der Markt besteht aus Angebot und Nachfrage.
Nachfrage!
Blocher und Co. - dazu gehören im konkreten Fall der fallierenden BaZ auch Leute wie Tettamanti oder Suter oder jemand wie Leutenegger, welcher sich in deren Kunstlicht räkelt, weil er meint, es sei die ewige Sonne, die da leuchte - bilden sich ein, alleinseligmachende Marktbestimmer zu sein. Irgendwann versteigen sie sich in Unfehlbarkeitspositionen und machen auf Papst. Sie übersehen den Nachfrageteil des Marktes, weil sie sich einbilden, den Markt mit ihren Produkten quasi monoton beherrschen zu können. Die Ideologie von Blocher und Co. besteht seit langer Zeit in einer Anbetung des Finanzkapitalismus namens Sharholder Value. Tettamanti verkörpert diesen Typus dieses mehr oder weniger inhaltsleeren Rednitejägers geradezu paradigmatisch genau: Kurstreiberei an Börsen, Kauf, "Sanierung", was meistens mit der Aushöhlung von eingekauften Unternehmen geschieht, mit Massenentlassungen usw., und dann wird verkauft, werden real erwirtschaftete Gewinne in den Orkus der globalisierten Spekulation eingebracht.
Blocher hat sich teilweise auch so benommen, aber er ist von einer anderen Unternehmerphilosophie geprägt: Seine EMS-Chemie ist ein reales Unternehmen, ohne Zweifel. Da wird produziert und es wird der reale Markt für diese produzierte Ware beobachtet.
Dass er aber seit Jahren ein zweites Standbein gepflegt hat, ist eigentlich auch bekannt. Es trägt unter anderem den Namen "Pharmavision". Während Tettamanti - einst kurze Zeit CVP-Regierungsrat im Kanton Tessin, der wegen eines Steuerskandals nach nur 2 Jahren Regierungstätigkeit zurücktreten musste - sich seine Macherhände nicht mit Marktbeobachtung, mit Nachfrageforschung, mit sinnvoller Produkteentwicklung und dergleichen realer Wirtschaftstätigkeit mehr schmutzig macht, also den Spekulanten von der Sorte des an sich lieber anonym bleibenden Renditejägers abgibt, ist Blocher für die Seinen so etwas wie ein Papst. Er verkörpert - diesbezüglich einem Berlusconi oder auch einem Haider sehr verwandt - den "Führer", der zu allem und jedem die einzige Wahrheit besitzt und verkündet.
In der Kombination von Tettamanti und Blocher ergibt sich ein Macherprofil, welches alles, was der eigenen "Meinung" unpassend erscheint, ausblendet. Vermutlich hat Blocher wirklich angenommen, er könne der Regio Basiliensis seine SVP-Allüren quasi aufzwingen, indem er das einstige regionale Fast-Monopolprintmedium hintenherum kauft und Herrn Somm als Erzieher der regionalen Zeitungsleser einsetzt. Unterschätzt haben Blocher und seine servilen Diener die Adressaten seiner Bekehrungsmission. Die wollen in grosser, wirtschaftlich gesehen für die BaZ offensichtlich bedrohlichen Zahl den Somm-Sermon nicht schlucken. Für Tettamanti war das sofort ein Grund, auszusteigen. Er sah bald ein, das seine Renditevorhaben weder durch Holdingkonstruktionen noch durch jemanden wie Herrn Somm erfüllt werden können.
Der langen Rede kurzer Sinn:
Blocher ist halt doch nicht der unfehlbare Papst.
Somm ist zwar ein Kardinal, wohl so etwas wie der Präfekt der Inquisition von Blochers Gnaden. Aber wie im realen (katholischen) Leben verlieren sich seine Wirkungsmöglichkeiten, seine ex cathedra-Verkündigungen des rechten Glaubens samt einem ausgeprägten Hang zur unterschweligen Hetze gegen Nicht- oder Andersgläubige in den realen Zeitläuften.
Oder, um auf die Bemerkung von Herrn Bockmühle zurückzukommen:
Der Markt ist keine Ideologie, sondern eine alltägliche Tauschangelegenheit.
Klar ist: Einige EU-Institutionen befinden sich - nicht zum ersten Mal und nicht zum letzten Mal - in einer Krise. Klar ist aber auch: Die EU ist in der Lage, Krisen als solche zu erkennen und sie immer wieder zu überwinden.
Dass die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien,Portugal und Griechenland, teilweise auch in Italien ein Problem mit Sprengkraft darstellt, ist offensichtlich. Was im Szenariotreiben von Maurer und Co. aber geflissentlich übersehen wird: Gerade die Freizügigkeit innerhalb der EU hilft, die Sprengkraft zu entschärfen. Europa gewinnt in dieser Krise mehr an gemeinsamer "Innerlichkeit". Die Krise wird nämlich zu einem grossen Teil nicht als institutionelle wahrgenommen, sondern als eine von der internationalen Finanzindustrie verursachte, der man nur mit neuen Regulierungen begegnen kann. Der Prozess der Regulierung braucht Zeit, er ist zudem nicht bloss auf die EU beschränkt. Wesentlichste Bestandteile der gegenwärtigen globalen Finanz-Krisenursache und ihrer Folgen werden durch die USA generiert. Dass die EU nicht einfach "auseinanderfallen" wird, zeigt beispielsweise das Ergebnis der jüngsten Parlamentswahlen in den Niederlanden. Trotz Krise hat das rechtsnationalistische Lager eine massive Niederlage erlitten. Gewonnen haben die EU-Befürworter.
Dass Maurer und Co. mit Bürgerkriegsszenarien im Kopf der Schweizer Armee neue Polizeiaufgaben eröffnen wollen, spricht Bände:
Einerseits verlangt die SVP-Ideologie für die Schweiz die totale Abschottung des Landes gegenüber der EU. Auf der anderen Seite nimmt man Krisensituationen in der EU nicht als Prozess wahr, sondern als schlussendlich militärische Bedrohung des Staates Schweiz. Dass die nicht zu übersehenden Probleme in der Schweiz, was zukünftige Wirtschafts- und Sozalpolitik betrifft, mit ihrer Verstrickung in Finanzmärkten, mit Deregulierung, mit Steuerhinterziehungsschlupfloch und dergleichen mehr (siehe dazu den Artikel über die Rohstoffkonzerne mit Sitz in der Schweiz in der jüngsten Printausgabe der Tages Woche) zu tun haben könnte, kommt Maurer , kommt den "Planungsstrategen der Armee, kommt gewissen Managern der schweizerischen Finanzindustrie offensichtlich nicht in den Sinn.
Peinlich. Nichts als peinlich. Und eine Weltsicht, deren Beschränktheit eine wirkliche Gefahr für die Souveränität der Schweiz darstellt.
Als Auslandschweizer habe ich die Tages Woche schätzen gelernt: Die Printausgabe vermittelt mir Nachrichtenqualität und zugleich immer wieder Übersicht über die politisch-kulturelle Situation in Basel, in der Schweiz, aber auch weit darüber hinaus. Mich spricht die lokale Bindung an Basel an, nicht nur, weil ich über 30 Jahre in Basel gewohnt habe, sondern vor allem, weil die Entwicklungen, über die in der Tages Woche berichtet und diskutiert wird, quasi paradigmatisch für westeuropäische - mindestens für hauptsächlich deutschsprachige - Stadt-Zustände stehen. Mich beeindruckt dabei die Genauigkeit, mit der die Tages Woche auftritt.
Der tägliche Internetauftritt der Tages Woche wirkt auf mich sehr zukunftsfähig. Hier hat die Tages Woche ihren Startvorteil, welcher darin bestanden hat, spät im Zeitungs-Printzeitalter anzutreten, ausserordentlich kreativ und intelligent, bezogen auf die Möglichkeiten der allgemeinen sozialen Kommunikation wie der speziellen Diskurse, gestaltet. Ich kenne jedenfalls im deutschen Sprachraum ausser dem "Freitag", mit dem die Tages Woche eine Tauschverbindung kennt, kein Beispiel, welches qualitativ auch nur in die Nähe des Tages Woche-Konzepts kommt.
Kurz: Ziemlich großartig, was Sie, geschätzte TW-Journalistinnen und Journalisten leisten!
Alois-Karl Hürlimann, Berlin
Das "Sicherheitsempfinden" wird auch in Deutschland als Wahlkampfmittel verwendet. Aufschlussreich finde ich, dass dieses "Empfinden" einfach als gegeben higestellt wird.
Heute erhielt ich einen Anruf eines Freundes aus der Schweiz, der mich fragte: "Was ist denn bei ich in Berlin los. Da kannst Du ja nicht mehr aus dem Haus gehen". Auf meine Rückfrage, weshalb er mich solcherlei frage, antwortete er:"Aber da wurde doch mitten in Berlin, am Alexanderplatz, ein junger Mann in aller Öffentlichkei ermordet."
Ja, in aller Öffentlichkeit, an einem belebten Ort, und vor kurzem wurde ebenfalls in aller Öffentlichkeit, allerdings nicht am Alexanderplatz, ein junger Mann von einem Unbekannten angeschossen und lebensgefährlich verletzt. Und kurz vorher, vor etwa 2 Wochen, geschah dasselbe bereits einmal.
Da empfindet man, meinte mein Freund, sicher Ungutes, wenn man über den Alexanderplatz geht.
Ich bin heute über diesen Platz gegangen - wie gleichzeitig wohl einige hundert, wenn nicht eher einige tausend andere Personen auch. Und ich habe für mich, bezogen auf mich, festgestellt: Keine Empfindung, dass dies gefährlich sein könnte.
Bin ich "unempfindlich" für verbrecherische Taten ?
Bin ich nicht. Die Tat von einigen jungen Leuten an drei anderen jungen Leuten, welche zum Tod eines jungen Mannes führten, finde ich verabscheuungswürdig.
Dass dann Politiker und Medienleute - in ihrem Selbstverständnis bei solchen Entrüstungskundgebungen wohl von der Meinung beherrscht, sie vertreten das "Gesunde", die "Normalität" usw. - sofort nach mehr "Polizeipräsenz" rufen, dass jedes Mal, wenn eine verabscheuungswürdige Tat geschieht, nach elektronischer Überwachung des öffentlichen Raumes oder nach hartem "Durchgreifen" gerufen wird: Wen überrascht das noch ?
Ob mit dieser Rezeptur irgend ein Verbrechen verhindert werden kann ?
Genau diese Fragestellung wird überhaupt nicht in Erwägung gezogen.
Einmal etwas andersherum überlegt:
Zum Beispiel: Früher, bis vor etwa 20 Jahren, waren in den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht nur ein Tramführer mit Kamerablick in den Fahrgastraum oder bei einem U-Bahnhof hallenumfassende Kameras und Kameras in der Führerkabine des U-Bahnzuges zur Stelle, sondern hinten, beim Einstieg ins Tram, Billeteure, Billeteusen, oder es waren Zugsabfertigungsleute, welche den Überblick über das Geschehen auf dem Bahnsteig hatten, jederzeit zugegen. Solche Personal"ausrüstung" ist heute angeblich zu teuer. An ihrer Stelle tummeln sich nun ganze Armeen von oft genug sehr fragwürdigen "Sicherheitsdiensten" im öffentlichen Raum herum, dort, wo früher der "Schugger", der "Wachmann", wie er in Berlin genannt wurde, zu Fuss, also langsam, mit Überblick und daraus gesammelter Erfahrung präsent war. Auch hier heisst es heute sofort: Solche Präsenz von Personal ist zu teuer.
Ein weiterer Unterschied zu "früher" liegt darin, dass die öffentliche Sicherheit zunehmend auf elektronische Hilfsmittel reduziert oder so genannt "privatisiert" wurde.
Einen anderen Unterschied zu "früher" kann man darin erkennen, dass die Medienöffentlicheit zunehmend ein sich häufig selber produzierendes Skandalisierungsmoment für jeden Augenblick des Tages als Grundlage für Einschaltquote oder Auflage benutzt. Noch nie habe ich im Zusammenhang mit dem so genannten "Sicherheitsempfinden" beispielsweise von analytischen Untersuchungen über den Einfluss auf das "Sicherheitsempfinden" der täglich ununterbrochen ausgestrahlten Krimis haben könnte, gelesen oder gehört. Am laufenden Band geschieht virtuell und bebildert Mord an Mord, Vergewaltigung an Vergewaltigung, seriell nicht nur in privaten Fernsehkanälen, sondern etwa beim ZDF täglich meistens gleich mehrmals, beginnend mit Vorabendkrimis und fortgesetzt mit allerlei schärferem Zeug bis in die frühen Morgenstunden des nächsten Tages.
Wer täglich stundenlang vor der Glotze sitzt, kommt gar nicht darum herum, die Allgegenwart von wüster Kriminalität als Bedrohung des eigenen Sicherheitsempfindens zu verstehen. Statistiken hin oder her.
Dass dieses Empfinden mit der Alltagsrealität wenig zu tun hat, spielt dabei keine Rolle. Dass es rentabel erscheint, dieses "Empfinden" manipulativ zu beeinflussen, um die Leute mit Verunsicherungskaskaden in Spannung und dadurch bei Zuschauer - Leser-Treue zu halten, ist mindestens als Feststellung wohl nicht aus der Luft gegriffen.
Konkret allerdings wird damit - in gewissen politischen und/ oder publizistischen Gemengenlagen wohl so gewollt - keine zusätzliche "Sicherheit" gewonnen. Denn konkret nachgewiesene Sicherheit rentiert nicht! Sie existiert einfach, was natürlich weder "spannend" noch "berichtenswert" ist und sich schon gar nicht als Wahlkampfeldorado eignet.
Ohne In Infrastruktur funktioniert im öffentlichen Leben, in der Arbeits-, der Sozial- und der Kulturwelt nichts.
Infrastrukturen müssen funktionieren. Sie werden nie "rentieren" im Sinne eines durchaus auch ökonomisch als beliebig anzusehenden definierten "Kostendeckungsgrades" von über 50 %.
Deshalb:
Es wird selbstredend keine S-Bahnlinie in der Schweiz auf Grund der mit Parametern ausserhalb des realen Lebens angereicherten Kostenfaktorenberechnung irgendwelcher "Ökonomen" in irgend einem Bundesamt eingestellt werden, weder heute noch in absehbarer Zeit (also der nächsten 30 oder 40 Jahre).
Mit anderen Worten:
Solche "Faktorenberechnungen" sind sinnlos. Sie eignen sich nicht einmal als Planungsspielgrundlagen. Ausser viel Lärm und allerhand ideologischem Share-Holder-Quacksalber ist da nichts zu holen. Es wäre bedeutend sinnvoller, die Arbeitskraft der Beamten in diesem Bundesamt auf die Bewältigung der Herausforderungen der von der Globalisierung bis zur lokalen Arbeitsstelle geforderten allgemeinen Infrastrukturen , was u.a. auch die alltägliche Mobilität sehr vieler Menschen betrifft, umsetzungsnah einzusetzen.
Die auffallende Großbuchstabenverwendung in ihrem Kommentar in "Ehren". Deren Abfolge lässt immerhin auf Ihre äusserste "Sicherheit des Urteils" schliessen:
JAA
NIEMALS
ICH
DANKEND
SCHLEUNIGST
DAS EUROPA
WIRKLICH WOLLEN
NICHT
SONDERN
"EUROPA VON UNTEN"
ALLES
DAS W Ä R E MEIN EUROPA
"WÄRE"
Ich lebe in eine EU-Mitgliedstaat. Ich lebe nicht in einer Diktatur, sondern in einem Land, welches eine sehr offene Gesellschaft rechtlich, politisch, kulturell, individuell schützt. Ich kann mich - dank Schengen - als Schweizer in diesem Land, Deutschland, niederlassen. Ich kann mich in beinahe ganz Europa ohne Passformalitäten berücksichtigen zu müssen frei bewegen. In meiner Wohnstadt leben Zehntausende aus Spanien, Zehntausende aus Polen, Hunderttausende aus der Türkei, Tausende aus der Schweiz, zahlreiche Menschen aus so ziemlich allen Gegenden der Welt. Sie arbeiten hier, sie leben hier, sie können hier ihre Religionen, ihre Unreligiosität, ihre sexuellen Neigungen, ihre gesellschaftlichen Vorstellungen zu verwirklichen versuchen. Genau so wie Deutsche dies in Italien, in Frankreich, in Großbritannien oder in Slowenien können, genauer: können dürfen, wenn sie denn wollen.
Das von Ihnen reklamierte "Europa von Unten" existiert längst. Natürlich wird über dessen Ausgestaltung diskutiert, gestritten, es gibt Deutsche oder Franzosen oder Österreicher oder Schweden, welche sagen:
"Wir Deutschen zuerst", oder:
"Wir Österreicher werden überrannt", oder:
"Die Niederlande werden von Brüssel aus kujoniert", und so weiter.
Aber die letzten Parlamentswahlen in die zweite, die entscheidende Kammer des niederländischen Parlaments hat gezeigt, dass ein Bewusstsein für Europa, eine Verantwortung für Europa ausserordentlich mehrheitsfähig ist, wenn es denn darauf ankommt. Der Xenophobe W. mitsamt seiner SVP-Verwandtschaftspolitik ist geradezu offensichtlich gescheitert.
Europa von Unten:
Die Regionen, von denen Sie schreiben, werden innerhalb der EU seit langer Zeit stark gefördert. Befürworter von Abspaltungen ihrer Regionen von zentral regierten Nationalstaaten - etwa in Schottland in GB, etwa die Basken oder die Katalenen in Spanien usw. - auch die konkret von ehemaligen Nationalstaaten abgespaltenen Staaten wie Slowenien oder die Slowakei, sie alle, und zwar deren Bevölkerung insgesamt, wollen in der EU bleiben oder, wie Kroatien, Serbien, Montenegro in die EU aufgenommen werden. Sie wollen die EU als ihr Dach, nicht die herkömmlichen Nationalstaaten.
Warum wohl ?
Weil die EU eben ein föderales Gebilde ist, welches den einzelnen Regionen und Kleinstaaten wie grösseren Staatsgebilden jenen Rahmen gibt, innerhalb dem sich Vielfältigkeit, Heterogenität, Eigenständigkeiten begegnen und fruchtbar untereinander auseinandersetzen können.
Bevor Sie ihre Großbuchstaben weiterhin als angeblich "sichere" Wahrheiten darstellen, sollten Sie sich vielleicht mal etwas genauer informieren, wie es denn alltäglich tatsächlich so ist in Europa. Was Sie hier vorgetragen haben, sind meiner Ansicht nach ohne besondere Anstrengung zu formulierende Vorurteile, anders gesagt: Stammtischbehauptungen.
Dass es mit der Markthalle als Shop-Center nichts werden würde, war vorauszusehen. Da ist einmal die Lage. Man hätte in der unmittelbaren Nachbarschaft studieren können, was eine falsche "Analyse" ergibt: in den Jahrzehnten,während denen ich in Basel gewohnt habe, war vis-à-vis ja bereits ein Mini-"Center" in Betrieb - eine dunkle Ecke mit "Geschöften", welche kaum "Alltagspublikum" angezogen haben. Es ist meiner Erinnerung nach aber auch eine Ecke, die man so überall dort findet, wo "Investoren" gemeint haben, wenn sie "investieren", das heisst auf teure Mieten hinspekulieren, ergebe sich automatisch ein Publikumsfluss. Notfalls schreien diese "Managements" dann nach Parkplätzen, damit die autofahrende Kundschaft ihr "Center" auch besuchen könne.
Ach, es ist ein nichturbanes Lied, ein garstiges zudem.
Die Markthalle war jahrzehntelang ein Umschlagplatz der Metzger, der Gemüsehändler, eine Art Les Halles. Das Publikum bildeten Lieferanten, Grosshändler und Ladenbesitzer.
Die Bewegungen der Bahnhofpassanten hörten in Richtung Markthalle eigentlich, so lange ich ich erinnern kann, spätestens beim Café Frey auf. Dafür gab und gibt es wohl einen einleuchtenden Grund: Der Basler Haupt-Bahnhof liegt nicht im Stadtzentrum. Die Passanten in der Gegend sind zum allergrössten Teil Menschen, welche mit dem Tram oder dem Bus weiterkommen wollen.
All die auf Renditevoraussagen abgerichteten smarten Analysten müssen so etwas natürlich nicht wissen, Banken schon gar nicht.
Kurz:
Das wird so lange nichts, als die Markthalle "rentieren" soll. Verdunkeltes Dach und 8 Beamer samt Werbefilmchen hin oder her.
Dabei könnte man sich in diesem riesigen Raum vielerlei Interessantes vorstellen, es wurde durchaus Handfestes hier bereits mehrfach ausgeführt.
Übrigens: Solche "Investitionen" haben auch in meiner Wohnstadt Berlin durchaus zahlreiche "Leichen" hervorgebracht, etwa an der Schloßstrasse in meinem Nachbarbezirk Steglitz. Irgendwann gibt es in jeder Stadt einfach genügend H&M, Zara, Swatch, Pizza-Hut und dergleichen mehr.
Ich finde es passend, an dieser Stelle, nach dem Interview mit Herrn Nägelin, die Redaktion der TagesWoche zu loben:
Sie stellt jene Fragen, welche offensichtlich nicht nur in Basel, sondern beispielsweise auch in meiner Wohnstadt Berlin viele Bewohnerinnen und Bewohner beschäftigen:
Stadtprobleme halt eben.
Nicht Welt- oder Ideologiepolitik, sondern das, was einen freut, ärgert, was man diskutiert haben möchte, wo man denkt, die Lokalpolitik könnte zu Lösungen beitragen.
Wenn ich mich an den Wahlkampf zu den Abgeordnetenhauswahlen hier in Berlin vor einem Jahr erinnere, fällt mir auf, wie unprätentiös die TagesWoche-Redaktion den "Puls" in der Stadt zu erfahren versucht hat. In Berlin haben das sämtliche Medienerzeugnisse vor einem Jahr nicht fertig gebracht. Vielmehr wurde herumgeschwafelt, wurden Umfragen noch und noch veröffentlicht und so, als seien es Wahlergebnisse, kommentiert. Der Aufwand gewisser Parteien - je weniger Stimmen sie anlässlich der wirklichen Wahl einfuhren, desto präsenter waren sie im Plakatwald in der Stadt, zuvorderst die FDP - hat bei zahlreichen Journalisten eine Wahrnehmungstrübung über die effektiven Probleme vieler Stadtbewohner bewirkt. Dabei geht und ging es in Berlin exakt um dieselben Sorgen, welche die TagesWoche in ihren Fragen an die Regierungskandidatin und die Regierungskandidaten zur Rede bringt: Mieten, Freiräume, Versorgung in den Stadtteilen, Lärm, Verkehrsmix. Interessant am Berliner Wahlergebnis: Die von rechten und rechtsextremen Parteien beschworene "Integrationsproblematik", in der Schweiz unter dem Begriff "Ausländer" vor allem von der SVP, aber auch den den so genannt "Bürgerlichen" etwa in Fragen des Asylrechts herumposaunt, spielte bei der Wahl in Berlin insofern keine Rolle, als diese Beschwörer samt ihren Drohgemälden über "Gewalt auf der Strasse", die es zu bändigen gelte, keinerlei messbaren Sukkurs durch die Wählenden erhielten.
Kurz:
Die TagesWoche-Redaktion stellt meiner Ansicht nach die für das urbane Alltagsleben richtigen Fragen. Das ist ein unübersehbares Zeichen für hohe journalistische Qualität.