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4 Beiträge: Artikel Kommentare
  • Die Renaissance der Nazi-Vergleiche

    Sehr geehrter Herr Kreis Ihre Buchbesprechung verweilt nicht beim Subjekt des Buchtitels, dem Faschismus-Vorwurf an "den Islam". Umso mehr interessiert mich Ihre Position und die Vertiefung Ihrer Kritik am europäischen Umgang mit dem Nazi-Vergleich. Wenn z.B. in den 1970er-/80er-Jahren schwarz Vermummte in Basel das "Hirschi" angriffen und die "Hirschi"-Leute ins Alarmtelefon riefen: "Die Faschos sind da!", hat das aber m.E. viel mehr mit den Anfängen der Nazi-Zeit zu tun, als Ihr harmloser Pausenhof-Vergleich. Auch in Nazi-Deutschland war ja nicht ab 1921 (als Hitler Parteivorsitzender wurde) jeden Tag Reichskristallnacht. Auch dort hat sich die Lage langsam zugespitzt, das Regime über die Jahre hinweg immer härter durchgegriffen. Da waren doch, nicht nur in Basel, in ganz Europa, junge Leute daran, ihre Lebensvisionen (auf beiden Seiten des politisch Spektrums) unter Bezugnahme auf die jüngere Geschichte zu entwickeln. Mittlerweile sind etliche dieser damals anonymen Jungen in der "richtigen Politik" (der parlamentarischen Politik, die (soweit sie das "neben" der Wirtschaft kann) das Land regiert) aktiv. Bleibt also nicht vor diesem Hintergrund die Frage, wie weit die idealistischen Jugend-Vorstellungen das politische Handeln dieser Leute bis heute im Hinterkopf mitbestimmt? Nach der Räumung der "kleinen Allmend" Bern habe ich die Jenischen gesehen, die, von Polizeibussen aus der Turnhalle, in der sie festgehalten wurden, zurück gebracht, weinend ihre mit Nummern verschmierten Hände und Arme zeigten. Seither im Internet kursierende Youtube-Filmchen mögen zwar Ihrer Argumentation, dass mit skandalisierenden Bildern und Vergleichen fragwürdig Politik gemacht wird, eine zumindest scheinbare Bestätigung geben. Aber die vom Säugling bis zum 80-jährigen Greis nummerierten Jenischen sind die lebenden Kinder und Urenkel einer bis heute in Deutschland nicht anerkannten und weiterhin ausgegrenzten Opfergruppe. Etliche von ihnen hatten Verwandte mit der berüchtigten tätowierten KZ-Nummer, haben deren Lebensgeschichten noch mit eigenen Ohren gehört. Ist da der erlebte Vergleich wirklich zu verurteilen? Oder sind nicht doch "rein rationale" polizeiliche Massnahmen, die von Polizeitechnikern im digitalen Zeitalter "wertfrei" und ohne historische Referenz ersonnen wurden, der Nazi-Zeit punktuell um vieles Näher, als uns lieb sein kann? Der 24. April in Bern war keine Reichskristallnacht. Dieser Vergleich wäre unzulässig. Doch diese fand "erst" 1938 statt. "Schon" ab 1936 wurden "Zigeuner" im Zwangslager, das den harmlosen Namen "Berlin-Marzahn Rastplatz" trug, zusammengepfercht, unbesehen, ob sie je in Wohnwagen gelebt hatten. Auch in Bern waren die Verhaftungen willkürlich. Nicht alle Besitzer der dort stationierten Wohnwagen wurden verhaftet. Hingegen waren unter den Verhafteten auch Jenische, die gar keinen Wohnwagen haben. Vergleich unzulässig? In den 1980er-Jahren endete die Demonstration der "Fahrenden" in Luzern mit der Schaffung des ersten staatlichen "Durchgangsplatzes". Ein Erfolg, der den Jenischen in harter politischer Debatte und auch aus Respekt vor deren Vergangenheit und politischer Verantwortung für diese Vergangenheit zugestanden wurde. Wie die Demonstration 2014 endete, haben wir letzte Woche in der Presse lesen können. In diesem Falle hat die Presse kaum "skandalisiert". Im Gegenteil hat, trotz vieler Darstellungen über den Platzmangel der "Fahrenden", mit Titeln wie "BEA-Stunk" (Blick), die Sichtweise der Behörden ausreichend Platz bekommen. Umso mehr bleibt die Frage, wohin die Gesellschaft im 21. Jahrhundert steuert. Hartes Durchgreifen ist wieder salonfähig geworden. Der Vergleich mit dem 20. Jahrhundert wird verpönt. Sind Vergleiche über schleichende Prozesse wirklich unstatthaft?

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  • Kultwerk #126: Der grosse Diktator

    Selbstverständlich wäre es fatal, eine Hierarchie der Opfergruppen zu machen (was Ansatzweise leider in Berlin geschah mit der Eröffnung des exklusiv den Juden gewidmeten Holocaust-Memorial und dem darauf folgenden unwürdigen "Wettlauf" um die Mahnmale der andern Gruppen). Fakt ist aber, dass Chaplin das Treatment des Films 1938 einreichte, als die "Anhalte-" und "Arbeits-"Lager zweifellos schon schlimm genug waren, jedoch noch längst nicht den traurigen "Standard" der Vernichtungsmaschinerie ab 1941 hatten. Zwar war wohl zur Zeit der Premiere (1940) auch ausserhalb Deutschlands schon einiges mehr über die KZ bekannt als beim Schreiben des Treatments. Nach 1941 haben die Nazis mit dem Tötungsapparat (übrigens auch gegenüber den andern Opfergruppen, siehe zB. Aktion T4, Aktion Brandt, die alle frühestens 1940 begannen) erst "richtig losgelegt". Es war zweifellos kein Zuckerschlecken, in einem Arbeitslager bis zum Umfallen Steine schleppen zu müssen und soll in keiner Weise verharmlost werden. Auf der andern Seite wird es Chaplin nicht gerecht, ihm aus dieser sich zu Zeiten des Filmdrehs erst allmählich schneller drehenden Gewaltspirale der Nazis einen Strick drehen zu wollen. „Hätte ich von den Schrecken in den deutschen Konzentrationslagern gewusst, ich hätte Der große Diktator nicht zustande bringen, hätte mich über den mörderischen Wahnsinn der Nazis nicht lustig machen können“, schrieb Chaplin Jahre danach in seiner Autobiographie. Genau DESHALB (was übrigens alles einfach bei Wikipedia rercherchierbar ist, auch ohne dass man (wie ich) als Aktivist einer Opfergruppe sich jahrzehntelang mit dem Thema auseinandersetzt) ist die von mir kritisierte Passage im Artikel von Andreas Schneitter schludrig geschriebener Journalismus und als solcher kritisierbar. So ehrenhaft es manchmal ist, die TaWo zu verteidigen: Grummel scheint meinen vielleicht zu ausführlichen Kommentar von gestern Abend missverstanden zu haben oder hat sich nur an einem Teil der Argumente orientiert. Ja, es ist manchmal schwer, gut, kurz und präzis zu argumentieren. Das geht auf meine Kappe. Vorwürfe zu postulieren, die zwar auch schon durch die Presse geisterten, die aber definitiv nicht haltbar sind, widerspricht dem Eigenanspruch einer Zeitungsredaktion trotz aller Debatte hier ZU stark.

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  • Kultwerk #126: Der grosse Diktator

    Ja, die Nazis waren Antisemiten, ja, die Reichskristallnacht war 1938. Aber nein: Chaplin hat die KZ nicht "verharmlost" oder "offensichtlich nichts gewusst". Am 12. November 1938 wurde das Treatment des Films bei der Copyright-Behörde eingereicht. In dieser Zeit waren neben den "Politischen" die Asozialen, Homosexuellen, Zeugen Jehovas, Sinti, Jenische die grössten Gruppen der KZ-Insassen - in KZs, die sehr brutale "Arbeitslager", "Festhaltelager" etc. waren. Die vierte Phase der NS-KZ begann etwa Anfang 1942 und endete 1945. Sie war vor allem durch die massive Judenverfolgung gekennzeichnet. Als „Endlösung der Judenfrage“ bezeichneten die Nazis seit Juli 1941 ihr Ziel, alle von ihnen als Juden definierten Personen zu ermorden, Der "grosse Diktator" hat es nicht verdient, von einem "kleinen Journalisten" dermassen oberflächlich und schlecht recherchiert rezensiert zu werden. Chaplin muss sich auch zum 125. Geburtstag nichts vorwerfen lassen. Sein Diktator ist bis heute um Längen besser als andere Spielfilme, die sich als "Anti-Kriegsfilme" u.ä. feiern liessen.

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  • Voilà! Ganz neue Seiten

    ich kenne die Pröbeleien, die dazu verleiten, beim "photoschöppeln" mit "Blocksatz" Wörter an den linken und rechten Rand des Bilds zu kleben. Ich weiss deshalb, dass ich kein Talent habe, TaWo-Gestalter zu werden. Aber weiss das die Redaktion auch?

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  • Voilà! Ganz neue Seiten

    《Bleiwüste》war das schlimmste Schimpfwort des alten Schriftsetzers. Er ahnte nicht, dass darauf die neue TaWo folgt.

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  • #Yolo, raus mit der Beta-Version: Was am neuen Nachrichtenportal Watson auffällt

    An der Wahl der Kacheln fürs Bad können schon Mal Ehen scheitern. Bei Windows 8 und Watson hat jeder die seinen.

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  • Die grosse Schwellenangst

    ch serena unterschlägt als Detail in ihrer Replik den ICN, die "Schweizer Variante" des ICE, der ab Basel die Schnellzugverbindung durch das Laufental und zT. den Interregio Fricktal - Flughafen ZH bedient. Es geht auch nicht darum, "im Ausland alles besser" zu finden. Fakt ist aber, dass mit den z.T. erst kürzlich getätigten Rollmaterial-Bestellungen sowohl der SBB als auch der BVB die Benutzerfreundlichkeit des ÖV für die nächsten Jahrzehnte schon jetzt zementiert ist. Da nutzt das Lamento, zumindest für den Moment, tatsächlich ziemlich genau: NICHTS. Fakt ist andererseits auch, dass die Planungen bislang ziemlich fernab des "Durchschnittsbenutzers" gemacht werden von Leuten, die, wenn nicht im Dienst-Mercedes, so doch sicher in der 1. Klasse zur Sitzung reisen. Und da sind wir schon nahe am Punkt, wieso sich Lamento zum jetzigen Zeitpunkt vielleicht doch lohnen kann: Solange Rollstuhlfahrerinnen, Sehbehinderte usw. alleine in der "Behinderten-Ecke" stehen, muss ihre Lobby irgendwelchen Pflästerchen zustimmen, die zT. millionenteuer sein können, aber weder die sogenannten "Behinderten" wirklich gleichberechtigt in die Gesellschaft integrieren noch den Müttern, Kleinkindern, alten Menschen viel helfen. Mit "menschengerechtem ÖV" meine ich genau das: überwinden dieses Schubladen-Denkens, langfristiger Einbezug breiter Bevölkerungsschichten in die ALLERERSTEN Planungsschritte und damit hoffentlich eine nächste ÖV-Generation, die von Anfang an die verschiedenen Benutzer-Sorgen berücksichtigt und nicht in Farbwahlen und einem weiteren Lamento über verpasste Chancen endet.

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  • Das Restaurant am Dreiländereck, das keines mehr sein darf

    Eine Theaterbühne wird bespielt, im Restaurant werde ich bewirtet. Wer eine Buvette bespielt, verliert mein Vertrauen in seine Sprachkompetenz und hat ausgespielt.

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  • Die grosse Schwellenangst

    Die in Basel SBB häufig verkehrenden ICE-, TGV- und ICN-Züge sind für durchtrainierte Bergsteiger gebaut. Die neuen Tramrampen (Muster an der Endstation Kleinhüningen) werden auch nur noch von diesen überquert. Hydraulisch abgesenkte Busse machen in andern Ländern den Einstieg für alle leichter, vom Kleinkind bis zum Greis. Nicht "Behinderten-" sondern Menschen-gerechter ÖV wär mit heutiger Technik problemlos möglich. Doch die Trams für die neuen Bergsteigerrampen sind längst bestellt, der "Zug für alle" ist wieder ein Mal längst abgefahren. Wird der ÖV von Robotern geplant? Wohl noch nicht, aber von Männern, die nicht wissen, wie ihre Frauen den Kinderwagen ins Tram hieven und bei denen der Rollator in ihrer Lebensplanung nicht vorkommt.

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  • Privatsphäre-Debakel bei Bank Coop: Kontoauszüge falsch verschickt

    Die Bank macht nur, was auf jeder Einkaufstüte steht: für mich und dich. Sozial und gerecht nach dem Zufallsprinzip macht sie die Umverteilungs-Initiative überflüssig.

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